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# taz.de -- Wahlen in Mali: Mit Nina zurück zur Normalität
> Moctar Touré wurde von Islamisten verstümmelt. Jetzt darf er Malis neuen
> Präsidenten wählen. Ein neues Leben gibt es für ihn dennoch nicht.
Bild: Wahlplakate in Gao
GAO/BAMAKO taz | Träge steht ein Esel vor dem hellgelben Gebäude der Banque
de Developpement du Mali. Beste Lage in Gao. Die Bank liegt an der
Hauptstraße der größten Stadt im Norden Malis. Doch niemand scheucht das
Grautier fort. Die Bank ist seit mehr als einem Jahr verrammelt. Wann sie
wieder öffnet, weiß niemand.
Stattdessen haben verschiedene Parteien sie zur Werbefläche für die
Präsidentschaftswahl vom kommenden Sonntag umfunktioniert. Der bekannteste
Kandidat Ibrahim Boubacar Keïta lacht dort, Modibo Sidibé ist zu sehen und
auch Haïdara Aïchata Cissé, die einzige Frau gegen 26 Männer. In Gao könnte
sie Stimmen holen, schließlich kommt sie aus dem Ort Bourem ganz in der
Nähe.
In Gao haben sich die Kandidaten in den vergangenen zwei Wochen alle
sprichwörtlich die Klinke in die Hand gegeben. Die besonders Bekannten auf
dem Platz der Unabhängigkeit mitten in der Stadt, die unbekannteren auf
kleineren Plätzen oder Innenhöfen. Moussa Mara füllte vergangenen Samstag
nicht einmal den Garten des früheren Hotels Atlantide de Gao. Nur seine
Anhänger, alle in Gelb gekleidet, kamen – aber keine Neugierigen.
Moctar Touré hätte die Möglichkeit gehabt, ihn zu sehen. An jenem Morgen
ist der 27-Jährige zu Fuß unterwegs. Ohne Ziel zieht er durch Gaos Straßen.
Im vergangenen Jahr, als bewaffnete Gruppen den Norden Malis beherrschten,
war er drei Monate lang von der islamistischen Bewegung für Einheit und
Dschihad in Westafrika (Mujao) eingesperrt. Er setzt sich auf eine Holzbank
im Schatten und erzählt.
## Keine Musik, kein Tanz, kein Alkohol
„Jemand hatte mir Waffen von der Armee gegeben“, sagt Moctar Touré. Davon
habe die Mujao Wind bekommen. Er wurde verhaftet, eingesperrt und bekam
schließlich den rechten Arm abgehackt: Das Zeichen dafür, dass er ein Dieb
sei. „Ich habe gefragt, warum sie das machen müssen. Es hieß nur: Das ist
die Scharia.“ Moctar Touré spricht eintönig, fast emotionslos.
Unter den Islamisten war es verboten, Musik zu hören, zu tanzen, Alkohol zu
trinken, sich zu amüsieren. Das ist längst wieder möglich. Überall in Gao
gibt es Bier. Nur die Kühlung ist noch ein Problem, denn seit der
Islamistenherrschaft gibt es kaum Strom, höchstens ein paar Stunden am
Abend. Zum Kühlen werden Eisblöcke aus dem Nachbarland Niger geholt. All
das lähmt die Wirtschaft.
Viele Malier hoffen, dass sich das jetzt ändert. Die Wahlen gelten als
wichtiger Schritt zurück zur Demokratie. Denn Mali wurde letztes Jahr nicht
nur von der Eroberung des Nordens durch Islamisten und Tuareg-Rebellen
gelähmt, sondern auch vom Staatsstreich des 22. März 2012 in Bamako.
Seitdem gibt es keinen demokratisch legitimierten Präsidenten mehr.
„Wir brauchen ganz dringend wieder einen richtigen Präsidenten, damit in
Mali diese Übergangsphase beendet wird“, sagt Sangaré Nana Coulibaly, die
in Bamako lebt. Stolz hält sie ihre „Nina“ (Numéro d’identification
nationale) in die Luft. Ohne diese Karte mit biometrischen Daten darf
niemand wählen. Die Mutter und Großmutter steckt ihre Karte wieder sorgsam
in die Tasche. Alle Daten sind richtig, und das Foto stimmt auch.
## 1,9 Millionen Karten falsch gedruckt
Die Karte war immer wieder in der Kritik, niemand glaubte daran, dass es
tatsächlich gelingen wird, die Ninas zu drucken und dann auch noch in ganz
Mali zu verteilen. Wenige Tage vor der Wahl liegt die Quote der
Kartenverteilung bei mehr als 80 Prozent. Doch die Freude wurde am Mittwoch
wieder gedämpft. Auf einer Pressekonferenz der Wahlbeobachtermission der
Afrikanischen Union (AU) heißt es nun: 1,9 Millionen Karten sollen falsch
gedruckt worden sein. Welche Konsequenzen daraus gezogen werden, ist
unklar.
Ziemlich deutlich ist schon jetzt, dass es in Mali mit den Wahlen keinen
politischen Aufbruch geben wird. Die Kandidaten sind alte Bekannte:
Parlamentspräsidenten, Premierminister, Minister aus früheren Zeiten. Viele
hatten unter dem 2012 gestürzten Präsidenten Amadou Toumani Touré (ATT)
gute Posten. Doch über ATT, der seit dem Staatsstreich im Senegal lebt,
spricht niemand öffentlich. Sich auf ihn zu beziehen, würde die Chancen
jedes Kandidaten in der ohnehin schon umkämpften Wahl eher schwächen.
Die besten Aussichten hat nach jetzigem Stand Ibrahim Boubacar Keïta, ein
ehemaliger Premierminister und mehrfacher Wahlverlierer gegen ATT. Auf
seinen Plakaten wirbt der 68-jährige „IBK“ mit der Parole „Mali ist
unteilbar“ und spricht damit vielen Menschen aus der Seele. Gute Chancen
haben auch Soumaïla Cissé und Modibo Sidibé. Eine Stichwahl am 11. August
gilt als wahrscheinlich.
In Gao schüttelt Moctar Touré nur mit dem Kopf, als von den Wahlen die Rede
ist. Für einen kurzen Moment wird seine Stimme ein bisschen energisch: „Ja,
die Politiker waren hier. Aber seitdem die Mujao weg sind, hat von denen
niemand etwas gemacht.“ Finanzielle Entschädigung für den verlorenen
rechten Arm hat es bisher nicht gegeben. Dabei würde er gar nicht viel
wollen. Ein bisschen Geld, für ein neues Leben und einen neuen Job. „Ich
habe vorher immer gearbeitet“, sagt er und dreht den Kopf zum weißen Lkw
auf der gegenüberliegenden Straßenseite. So einen ist der 27-Jährige früher
auch gefahren. Als es die Mujao noch nicht gab, als Mali geeint und
friedlich war.
27 Jul 2013
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Mujao
Mali
Islamismus
Präsidentschaftswahl
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