# taz.de -- Europäische Protestbewegungen: Wenn Krisenkinder erzählen | |
> Der Krise kann niemand entkommen. Aktivisten aus Spanien und Griechenland | |
> fragen, warum es nicht auch in Deutschland Proteste gibt. | |
Bild: Tasos Koronakis, Moderatorin Eva Völpel und Eduardo Baches i Lumbierres … | |
BERLIN taz | Wie ist das eigentlich, wenn fast jeder in einer Familie | |
arbeitslos ist? Wenn selbst an Feiertagen Zwangsräumungen stattfinden und | |
die Menschen im Winter Sommerkleidung tragen, weil sie ihre warme Kleidung | |
verkauft haben, um sich Lebensmittel leisten zu können? Die Eurokrise ist | |
etwas abstraktes, schematisches. Die Schicksale einzelner Spanier oder | |
Griechen bleiben oft dahinter zurück, über ihre Alltagskämpfe wissen wir | |
wenig. | |
Tasos Koronakis kann davon erzählen. Eduardo Baches i Lumbierres auch. | |
Ersterer ist Parteisekretär der linken griechischen Partei Syriza und | |
organisiert geichzeitig an der Basis Suppenküchen und Gesundheitszentren. | |
Letzterer engagiert sich in Spanien für Hypotheken-Geschädigte. Gemeinsam | |
berichten sie auf dem taz.lab von ihrem Leben zwischen Nothilfe und | |
Protest. | |
Es sei ein täglicher Spagat, sagt Tasos Koronakis. Einer zwischen der | |
aufdiktierten Sparpolitik und den Nöten der Menschen. „Es ist eine sehr | |
schwierige und unsichere Situation. Jeder von uns hat mindestens einen | |
Arbeitslosen in der Familie. Alte Menschen können von 40 Jahren Arbeit | |
nicht leben“, berichtet er. Hinzu komme die ernüchternde Erkenntnis, dass | |
sich selbst tagelange Generalstreiks nichts an der schwierigen Lage | |
änderten: „Wir sind fast jeden Tag auf der Straße und nichts passiert.“ | |
Also gehe es erst einmal darum, die dringenden Probleme zu lösen. Und die | |
Menschen innerhalb der Bewegung mitzunehmen, um das „Desaster aufzuhalten“, | |
wie Koronakis es nennt. | |
In seiner Region engagierten sich rund 100 Mitglieder bei dieser | |
Nothilfearbeit. „Wir gehen samstags in Supermärkte, sprechen Menschen an | |
und bitten sie, ein Produkt mehr zu kaufen, etwa Öl oder Pasta.“ Diese | |
Lebensmittel würden gesammelt und Bedürftige erhielten jeweils eine Tüte | |
davon. „Oder wir organisieren Märkte, bei denen die Erzeuger ihre Produkte | |
günstiger verkaufen.“ | |
## Harte Auseinandersetzungen mit den Nazis | |
Seine Partei erhielt bei der Parlamentswahl im Mai 2012 16,8 Prozent der | |
Wählerstimmen und wurde zweitstärkste Kraft, gefolgt von der | |
neofaschistischen Partei „Goldene Morgendämmerung“. Im Juni 2012 gab es | |
Neuwahlen - Syriza holte 26,89 Prozent und wurde damit gleichfalls | |
zweistärkste Kraft. Dass Syriza in der Berichterstattung der Medien so oft | |
mit den Rechten gleichgestellt werde, sei ein echtes Problem, meint | |
Koronakis. „Für die sind links und rechts das selbe. Das ist für uns nur | |
schwer anfechtbar.“ | |
Dabei sei die tägliche Auseinandersetzung mit den Neofaschisten schon hart | |
genug. „Die Nazis in unserem Viertel sammeln Unterschriften dafür, unsere | |
Initiative aus unserem Haus zu werfen. Sie organisieren Blutspenden, bei | |
denen Griechen nur für Griechen spenden sollen. Das wollen wir nicht.“ | |
Für Eduardo Baches i Lumbierres sind es die Folgen einer geplatzten | |
Immobilienblase, die seine täglichen Kämpfe ausmachen. „Selbst an | |
Wochenenden und Feiertagen werden Wohnungen zwangsgeräumt.“ Landesweit sind | |
es Berechnungen zufolge jeden Tag etwa 400 Wohnungen. „Allein in Katalonien | |
sind es mehrere hundert pro Tag“, schätzt Baches. Er selbst wohnt in der | |
150.000 Einwohner zählenden Stadt Lleida und vertritt dort die | |
Hypotheken-Geschädigten. | |
## Bleiben, für die Zukunft | |
Familien, die ihre Schulden nicht bezahlen könnten, hausten mittlerweile in | |
Schiffscontainern. „Zunächst war es noch möglich, dass die Zwangsgeräumten | |
von familiären Netzwerken aufgefangen wurden. Aber das geht jetzt nicht | |
mehr, es sind einfach zu viele.“ Da sei es besonders zynisch, dass der | |
Leerstand an Wohnraum gleichzeitig so hoch sei. In seiner Region stünden | |
zehntausend Wohnungen leer, „aber sie gehören den Banken“, sagt er | |
ernüchtert. | |
Als er vor zwei Tagen nach Berlin gekommen sei, sei er erstaunt gewesen | |
über die vielen jungen Menschen aus seinem Heimatland, die hier lebten. | |
„Diese Auswanderungsbewegung wird in Spanien immer verneint. Aber es gibt | |
sie und sie ist ein echtes Problem.“ Denn gerade die jungen, gut | |
ausgebildeten Menschen müssten im Land bleiben, um an einer Zukunft zu | |
arbeiten, fordert er. „Aber wenn sie alle fortgehen, wer kämpft dann noch?“ | |
Dabei müsse sich Spanien daran erinnern, wie es war, als das Land der EU | |
beitrat. „Das geschah damals mit sehr viel Leidenschaft. Diesen Geist | |
müssen wir wieder auferstehen lassen“, sagt er noch. „Aber was können wir | |
tun, welche Ideen habt Ihr beiden für ein besseres Europa?“, will ein Mann | |
aus dem Publikum von den beiden Aktivisten wissen. | |
„Ihr hier in Deutschland müsst Euch gegen die deutsche Regierung wenden, so | |
wie alle Menschen in Europa sich gegen ihre Regierungen wenden müssen“, | |
sagt Tasos Koronakis mit lauter Stimme ans Publikum gewandt. Die EU müsse | |
wieder demokratischer werden, fügt Eduardo Baches hinzu. „Eine Bank kann | |
nicht mehr Macht haben als die Demokratie.“ | |
20 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Maren Hennemuth | |
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