# taz.de -- Entsorgung von Atommüll: Dilemma am Deich | |
> Im Atomkraftwerk Brunsbüttel sollen ab 2015 Castor-Behälter mit Atommüll | |
> zwischenlagern. Vor Ort ist man darüber wenig erfreut – auch bei den | |
> Grünen. Ihr Umweltminister hatte das Land als Lagerort angeboten | |
Bild: Die Schienen führen schnurstracks zum Atomkraftwerk in Brunsbüttel. | |
HAMBURG taz | Noch ist die Kacke in Brunsbüttel nicht am dampfen: Kalt und | |
starr liegen die Köttel der heimischen Schafe auf dem Elbdeich. Dahinter, | |
dicht an der Elbe, ruht die „schwarze Kiste“, wie einige hier das | |
Atomkraftwerk Brunsbüttel nennen. Keine zwei Kilometer weiter, dem Deich an | |
der Elbe entlang, liegt der Hafen der Stadt Brunsbüttel. Er ist nicht | |
besonders groß, drei Liegeplätze hat er. Er ist aber auch nicht zu klein – | |
etwa, um Castor-Behälter mit deutschem Atommüll aus der britischen | |
Wiederaufbereitungsanlage Sellafield von einem Schiff umzuschlagen. | |
Atommüll, der praktischerweise gleich über die Schienen transportiert | |
werden kann, die schnurgerade vom Hafen auf das Gelände des Atomkraftwerks | |
Brunsbüttel führen. Praktisch auch, um die langen, teuren Castor-Proteste | |
der Atomkraftgegner erheblich zu verkürzen. | |
Ein AKW direkt neben einem Hafen, das ist mit der Grund, warum Brunsbüttel | |
bei Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) zuoberst auf der Liste | |
gewünschter Atommüll-Zwischenlager steht. Denn mit dem kürzlich | |
beschlossenen Kompromiss für das Endlager-Suchgesetz sollen keine weiteren | |
Castoren mehr nach Gorleben gelangen. Dafür sollen die restlichen 26 | |
Behälter Atommüll, die noch aus Sellafield und dem französischen La Hague | |
ab 2015 vertragsgemäß wieder zurück nach Deutschland müssen, an anderen | |
Orten dezentral gelagert werden. | |
In Schleswig-Holstein hatte ausgerechnet ein Grüner – Umweltminister Robert | |
Habeck – in einem Vorstoß die Bereitschaft signalisiert, einen Teil des | |
Atommülls aus Sellafield aufzunehmen. Bis ein Endlager gefunden ist. | |
Baden-Württemberg will sich um die fünf Behälter aus La Hague kümmern. Doch | |
sonst hat noch kein weiteres Bundesland den Finger gehoben. Groß ist | |
deshalb die Angst in Brunsbüttel, dass der Ort für Jahrzehnte zum neuen | |
Atom-Klo der Nation wird – und Austragungsort heftiger Anti-Atom-Proteste. | |
Auf dem Deich zwischen Hafen und Atomkraftwerk Brunsbüttel steht Karsten | |
Hinrichsen. Er trägt Rucksack und Regenjacke, seine grauen Locken wehen im | |
Wind. Der Elbe entlang blickt er in die Ferne, zum Atomkraftwerk im | |
benachbarten Brokdorf. „Das ist so ein eklatanter Widerspruch“, sagt er, | |
„hier soll der Atommüll angehäuft werden – und ein paar Kilometer weiter … | |
Brokdorf wird er weiterhin produziert.“ Hinrichsen, 70 Jahre alt, kämpft | |
bereits seit 40 Jahren gegen die Atomkraft. 13 Jahre lang hat der | |
pensionierte Meteorologe gegen die Betriebsgenehmigung des Reaktors in | |
seinem Wohnort Brokdorf geklagt. Ohne Erfolg. Man nennt ihn den „Don | |
Quijote“ von Brokdorf, ein drahtiger Mann von bemerkenswerter Zähigkeit. | |
Der Ausstieg aus der Atomenergie, das geht ihm nicht schnell genug: „Erst | |
muss der Sofortausstieg her – dann würden wir eine Zwischenlagerung in | |
Brunsbüttel vielleicht mit anderen Augen sehen.“ Hinrichsen ist enttäuscht | |
von den Grünen. Nicht das erste Mal, wie er sagt. Umweltminister Habeck | |
habe die Chance verpasst, die Zwischenlagerung von Atommüll als Bedingung | |
für ein sofortiges Abschalten von Brokdorf zu stellen. „Ein Kuhhandel“, sei | |
dieser Vorstoß, bei dem man sich von Vattenfall abhängig mache. Denn die | |
Betreiber des Atomkraftwerkes wollen für eine Zwischenlagerung von | |
zusätzlichem Atommüll sicherlich ein paar finanzielle „Leckerlis“ sehen, | |
vermutet Hinrichsen. | |
Die Grünen im Kreis Dithmarschen und in Brunsbüttel stecken nun in einem | |
ungemütlichen Dilemma. Für ihren Umweltminister Robert Habeck wird der | |
Dienstag nicht einfach: Auf dem kleinen Parteitag des Grünen | |
Landesverbandes in Neumünster muss er seiner Partei erklären, warum | |
ausgerechnet sie, die Atomkraftgegner schlechthin, sich nun um den Atommüll | |
kümmern müssen. Sie, die jahrzehntelang gegen dessen Produktion gekämpft | |
haben. Währenddessen die anderen Parteien, allen voran CDU und FDP, nun so | |
tun, als ginge sie die Entsorgung der Überreste der Atomkraft gar nichts | |
an. | |
Auch für den Brunsbütteler Ortsverband der Grünen kommt der Zeitpunkt der | |
Debatte höchst ungelegen: Im Mai sind in Schleswig-Holstein Kommunalwahlen, | |
die Grünen hoffen auf den Einzug ins Rathaus. „Das wird uns sicher Stimmen | |
kosten“, sagt Vorstandsmitglied Christian Barz, der für den Stadtrat | |
kandidiert. Er wohnt keine 500 Meter vom Elbehafen entfernt, praktisch sein | |
ganzes Leben lang hatte der 46-Jährige das Industriegebiet in Sichtnähe. | |
„Wir wollen das Zeug natürlich auch nicht haben“, sagt er. „Aber jetzt t… | |
alle so, als seien die Grünen daran schuld, dass der Müll hierher kommt.“ | |
Die Verantwortung dafür müssten eigentlich andere übernehmen. Am Parteitag | |
der Grünen, da ist sich Barz sicher, „wird es heiß zu und hergehen“. | |
Vom Hafen bis zum Atomkraftwerk ist es ein kurzer, ungemütlicher | |
Spaziergang: entlang des Gleises, unter einem Förderband hindurch, vorbei | |
an schwarzen Schutthaufen mit Erzen, vorbei an einer brachliegenden | |
Industriefläche und drei Windrädern. Die Gegend hat das Wort verdient: | |
hässlich. „Schön, wie sie das alles hier neu angemalt haben“, sagt Karsten | |
Hinrichsen und meint damit das Informationszentrum direkt beim | |
Reaktorgebäude. „Es wirkt, als würden sie mit dem Betrieb gerade erst | |
beginnen.“ Dabei ist der Reaktor bereits fünf Jahre abgeschaltet, seit | |
einem Störfall im Sommer 2007. Den Antrag zum Abriss hat Vattenfall | |
gestellt. Im Gegensatz zu Brokdorf, wo Hinrichsen am vergangenen Sonntag | |
wieder eine Protestmeile organisiert hatte, ist in Brunsbüttel von Protest | |
nichts zu spüren. Auch jetzt noch wuseln Arbeiter mit blauen Helmen über | |
das Gelände. Der Parkplatz ist voll mit Autos der Angestellten. | |
Gleich hinter dem Reaktorgebäude steht das Zwischenlager am Rand des | |
Werksgeländes. Ein senffarbener Block mit Wänden aus 1,20 Meter dickem | |
Stahlbeton. Ab 2006 wurden hier die ersten Behälter eingelagert. Neun sind | |
es mittlerweile, elf weitere kommen in den nächsten Jahren dazu. Sie | |
enthalten ausschließlich abgebrannte Brennelemente aus Brunsbüttel. | |
Theoretisch hat es Platz für bis zu 80 Castor-Behälter. Genehmigte | |
Laufzeit: 40 Jahre. Doch für fremden Atommüll aus den | |
Wiederaufbereitungsanlagen liegt keine Genehmigung vor, die müsste der | |
Betreiber Vattenfall erst beim Bundesamt für Strahlenschutz beantragen. | |
Bei der Behörde liegt aber schon ein anderer Antrag von dem Unternehmen – | |
es möchte das Zwischenlager umbauen und auch mittel und schwachradioaktiven | |
Müll hier lagern. Das würde die Kapazität für Castoren erheblich senken, es | |
blieben nur noch 19 freie Stellplätze für sie. Aus der Pressestelle von | |
Vattenfall heißt es: „Wir sind bisher noch nicht in Gespräche eingebunden | |
worden. Deshalb können wir uns derzeit noch nicht dazu äußern.“ | |
Auch die Betreiber des Brunsbütteler Hafens wollen die Überlegungen von | |
Altmaier und Habeck nicht kommentieren. „Wir eruieren derzeit, welchen | |
Einfluss der mögliche Umschlag von Atommüll über den Elbehafen auf uns | |
haben könnte“, schreibt Geschäftsführer Frank Schnabel von Brunsbüttel | |
Ports. Der Elbehafen beschäftige sich jetzt erstmalig mit dem Thema | |
Atommüll und dessen Rahmenbedingungen. Noch sei es zu früh für eine | |
Gesamtbeurteilung. | |
So richtig Bock auf den Atommüll hat in Brunsbüttel niemand – obwohl sich | |
die Menschen hier nach Jahrzehnten mit Chemieindustrie und Atomkraftwerk an | |
einiges gewöhnt haben. Viele Einheimische arbeiten in diesen Betrieben. | |
Doch die Angst ist da vor weiterem Imageschaden, fallenden | |
Immobilienpreisen und ausbleibenden Touristen. „Die Mehrheit lehnt | |
zusätzlichen Atommüll ab“, sagt der Brunsbütteler parteilose Bürgermeister | |
Stefan Mohrdieck. „Der Müll, der bei uns produziert wurde, kann wieder | |
hierher kommen. Aber mehr nicht.“ An der Ratsversammlung am Mittwoch soll | |
eine entsprechende Resolution verabschiedet werden. | |
Karsten Hinrichsen blickt noch ein letztes Mal auf das Reaktorgebäude. | |
Irgendwie wirkt er gelassen. Vielleicht auch nur erschöpft. 40 Jahre Kampf | |
gegen die Atomkraft haben auch bei ihm Spuren hinterlassen, wenn auch nicht | |
unbedingt sichtbar. „Wir haben vor Jahrzehnten schon gegen die | |
Müll-Transporte nach Sellafield protestiert“, sagt er, „und da finde ich es | |
auch legitim, jetzt wieder gegen die Rücktransporte nach Brunsbüttel zu | |
protestieren.“ Das sagt er mit einem Lächeln. Die Ironie dahinter geht | |
Hinrichsen nicht ab. | |
23 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Adrian Meyer | |
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