# taz.de -- Gedenken an die NSU-Morde: Planspiel statt Schwerpunkt | |
> Wenn der Kirchentag endet, beginnt einer der größten Terrorprozesse in | |
> Deutschland. In Hamburg bestimmt er die Debatten bloß in „kleineren | |
> Formaten“. | |
Bild: Eine einsame Blume: in der Schützestraße 37 ermordete der NSU 2001 den … | |
Hamburg taz | Das Programmheft des Evangelischen Kirchentags 2013 hat 620 | |
Seiten. Debatten um Gerechtigkeit sind darin aufgelistet, Diskussionen über | |
Frieden und Klimawandel – die großen politischen Themen der Zeit eben. | |
[1][Nur ein Stichwort haben die Kirchentagsplaner nicht in ihr Büchlein | |
geschrieben: NSU]. | |
Deutschlands größter Terrorprozess seit der RAF beginnt am kommenden | |
Montag. Es geht um Mord, um Ressentiments in den Behörden und in der | |
Gesellschaft. Um Opfer von Rechtsextremisten, die selbst in den Verdacht | |
gerieten, Täter zu sein. Muss sich etwas ändern? | |
Der Vortrag von Daniel Köhler und Fabian Wichmann vom | |
[2][Aussteigerprogramm „Exit“] heißt „Rechtsextremismusarbeit nach der | |
NSU“. Er ist im Internet angekündigt, in der Programmdatenbank der | |
Kirchentagswebseite, in der man nach Schlagworten suchen kann – wenn man | |
sie kennt. | |
„Das sind Workshops und kleinere Formate“, sagt Studienleiterin Silke | |
Lechner, die für das thematische Programm verantwortlich ist. Diese seien | |
erst spät geplant worden, lange nach den offiziellen Veranstaltungen. | |
Draußen strahlt die Nachmittagssonne, Raum 14 im Congress Center hat keine | |
Fenster. Acht Erwachsene sind gekommen und ein Junge, vielleicht 14 Jahre | |
alt. Ein Stuhlkreis reiche doch aus, schlägt jemand vor. Ein Pult für die | |
Exit-Referenten, vor so wenigen Zuschauern, das sei doch albern. | |
## Sweatshirts mit großen Aufdrucken | |
Ob man die irgendwo nachlesen könne, diese Kleidungsmarken von den Nazis, | |
will eine ältere Dame wissen. Sie hat Angst, irrtümlich beim nächsten | |
Einkauf ein rechtslastiges Label zu unterstützen. „Nein, nein“, sagt ein | |
Mann, der die Bluse der Seniorin mustert, „das ist ohnehin nicht Ihr | |
Dresscode“. Rechte würden eher Sweatshirts mit großen Aufdrucken tragen, | |
erklärt Wichmann. | |
Köhler und er beantworten 90 Minuten lang Fragen zu rechten Netzwerken, | |
rechten Symbolen und zur „Völkischen Kindererziehung“. Das sei ja letztlich | |
auch ein Religionsangebot, sagt ein Zuhörer. „Arbeitet ihr auch mit | |
Sektenbeauftragten zusammen?“ Gibt es die eigentlich noch? „Das machen doch | |
die Kirchen“, überlegt er dann. | |
Die [3][Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus] gibt es | |
seit drei Jahren. Damals gegründet von „mehr als einhundert Engagierten aus | |
Kirche und Zivilgesellschaft“, steht in ihrer Broschüre. Vor ihrer Bühne | |
auf dem Kirchentag sitzen 30 Interessierte. „Die Folgen der NSU-Morde – | |
eine selbstkritische Reflektion“, heißt diese Podiumsdiskussion. | |
Es ist 17.30 Uhr. Die ersten Aussteller räumen ihre Messestände auf. | |
„Wussten die deutschen Behörden genug, um Taten zu verhindern?“, fragt der | |
Opferanwalt Alexander Kienzle auf der Bühne. „Gibt es ein Mitverschulden?“ | |
Katharina König, linke Landtagsabgeordnete aus Thüringen, findet: „Die | |
Behörden blockieren die Aufklärung.“ | |
## Interaktive Planspiele | |
Ist dies ein Problem, bei dem sich Christen einmischen sollten? „Wir | |
arbeiten nicht nur mit tagespolitischen Fragen, sondern fragen uns eher: | |
Was steht dahinter?“, sagt die Programmverantworliche Lechner. Deshalb | |
biete man interaktive Planspiele an, über Menschenfeindlichkeit in der | |
Mitte der Gesellschaft. Die Idee: „Ein heiteres Dorffest entpuppt sich als | |
völkische Sonnwendfeier.“ Auf diese Weise setze man sich doch mit dem Thema | |
auseinander. | |
Nicht zu vergessen, sagt Lechner, sei zudem das „Nachtgebet mit Gedenken an | |
die NSU-Opfer“ an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Diese Veranstaltung habe | |
sie im Januar auch ins Printprogramm geschrieben: Freitag, 3. Mai, 22 Uhr. | |
An der Veranstaltung hätten 60 Leute teilgenommen. „Neuengamme ist ja auch | |
ziemlich weit draußen“, sagt Lechner. | |
Nicht ganz so weit entfernt vom Kirchentagsgelände liegt die Schützenstraße | |
39 in Hamburg-Bahrenfeld. Am 27. Juni 2001 ermordete der NSU hier den Obst- | |
und Gemüsehändler Süleyman Tasköprü. Er war 31 Jahre alt, als ihn drei | |
Kopfschüsse im Laden seines Vaters tödlich trafen. Seitdem ist das Geschäft | |
geschlossen. Vor den Laden, hat man – gut sichbar – zwei schwarze | |
Gedenksteine mit den Namen aller NSU-Opfer aufgestellt. Ein einsamer Topf | |
mit Blumen steht daneben. Spuren von KirchentagsbesucherInnen findet man | |
hier nicht. (Mitarbeit: Paul Taylan Kilic) | |
4 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Rechter-Terror/!t178/ | |
[2] http://www.exit-deutschland.de/ | |
[3] http://www.bagkr.de/aktuell/newsletter/34-evangelischen-kirchentag-in-hambu… | |
## AUTOREN | |
Kristiana Ludwig | |
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