| # taz.de -- Feministin über #Aufschrei und Folgen: „Es gibt neue Allianzen“ | |
| > Einen „feministischen Frühling“ sieht die Feministin Angela McRobbie. Der | |
| > Zorn der Jungen sei klüger als die Wut der Alice-Schwarzer-Generation. | |
| Bild: „Die eher performative, die schauspielerische Form, in der junge Frauen… | |
| taz: Frau McRobbie, in Deutschland rufen heute Frauen nach einer Quote für | |
| Topjobs. Und es gab einen „Aufschrei“ auf Twitter gegen den alltäglichen | |
| Sexismus. Gute Nachrichten für den Feminismus? | |
| Angela McRobbie: Wir haben einen kleinen feministischen Frühling. Aber man | |
| sieht auch, wie zart er noch ist: Die Stern-Journalistin selbst war sich | |
| darüber unsicher, was sie da angestoßen hat. Es gibt aber nun neue | |
| Allianzen, zum Glück auch mit der älteren Generation der Feministinnen. | |
| Diese Allianz ist neu. Eigentlich sind die älteren Feministinnen ja extrem | |
| unbeliebt. | |
| Ja, für mindestens zehn Jahre war der Feminismus aus dem politischen Leben | |
| exkommuniziert. Eine selbstbewusste junge Frau sein und Feministin sein, | |
| das schloss sich geradezu aus. Das hatte damit zu tun, dass der politische | |
| Feminismus in den achtziger Jahren eng an die Sozialdemokratie und die | |
| Kultur der Linken gekoppelt war. Nach dem Ende des Kommunismus und mit dem | |
| Aufstieg der Neoliberalen erfand die Sozialdemokratie sich neu: New Labour. | |
| Teile der alten linken Politik wurden desavouiert und verdrängt: die | |
| Gewerkschaften, Feminismus und auch Antirassismus. Es gab noch | |
| Feministinnen in der Partei, aber sie outeten sich nicht, wenn sie in der | |
| Partei noch etwas werden wollten. Und das färbte auch auf die Populärkultur | |
| ab. | |
| Und es gibt keine legitimen Gründe, den Feminismus der Siebziger und | |
| Achtziger zu kritisieren ? | |
| Es gibt immer Schwächephasen in politischen Bewegungen. Und es gab immer | |
| verschiedene Strömungen. Die radikalen Feministinnen waren eher | |
| separatistisch und auch sehr wütend. Diese Antimännerhaltung führte zu | |
| nichts mehr. Auch die Haltung zur Pornografie wurde überdacht. Viele der | |
| Protagonistinnen schlugen dann auch einen neuen Weg ein. Und dann kamen die | |
| Queer Politics und sagten, die Grenzen zwischen männlich und weiblich sind | |
| sowieso konstruiert. Aber diese Entwicklungen geben natürlich keinen | |
| Anlass, zu sagen: Wir brauchen oder wollen den Feminismus nicht mehr. | |
| Die jungen Frauen in Deutschland wollen alles: attraktiv für Männer sein | |
| und trotzdem selbstständig. Verständlich? | |
| Ja, aber das ist einer der mächtigsten Mythen über den Feminismus: die | |
| Siebziger-Jahre-Feministinnen wollten auch attraktiv sein. Sehen Sie sich | |
| doch nur die Fotos der jungen Alice Schwarzer an: eine schöne junge Frau, | |
| außerordentlich sexy. Was wir wollten, war, uns vom Mainstream abzusetzen. | |
| Wir wollten nicht so aussehen, wie die Frauen in der Cosmopolitan. Aber wir | |
| waren gut aussehende Frauen. | |
| Die jüngeren Feministinnen werden auch nicht mehr so wütend. Wütend werden | |
| heißt schwach werden. | |
| Die eher performative, die schauspielerische Form, in der junge Frauen | |
| heute ihre Wut ausdrücken, finde ich nicht schlecht: Die Slutwalks haben | |
| eine Menge Aufmerksamkeit in den Medien bekommen – ohne irgendwelche Leben | |
| zu gefährden oder selbst auszubrennen. Es ist klug, cool zu bleiben. | |
| In Ihrem Buch „Top Girls“ sind Sie etwas pessimistischer. Der Diskurs des | |
| „Empowerment“, der jungen Frauen statt Feminismus serviert wird, schwächt | |
| sie, haben Sie geschrieben. | |
| Ja, aber das war vor dem kleinen feministischen Frühling. Ich war umringt | |
| von sexistischer Werbung, die sich als „Ironie“ verkleidete. Junge Frauen | |
| fanden es normal, in Lapdance-Clubs zu gehen. Es gab nicht mal ein | |
| unzufriedenes Flüstern. Meine Studentinnen dachten, sie brauchen keinen | |
| Feminismus, weil sie selbstbewusst genug sind. Das ist sicher | |
| verführerisch. Aber es ist kein Ersatz für feministische Politik. | |
| Aber diese Meritokratie von New Labour: Du kannst es schaffen, wir helfen | |
| dir – das war doch ein vielversprechender Ansatz, oder? | |
| Ja, aber zur selben Zeit hieß es: Du brauchst keinen Feminismus mehr. Du | |
| sollst gesellschaftliche Strukturen nicht mehr kritisieren, Frauen sind | |
| doch schon fast gleichgestellt. Aber die Meritokratie funktioniert nicht | |
| für alle gleich, sondern es ist eine Herrschaft der Gewinner. Es ist die | |
| softe Version eines harten Neoliberalismus. Wer nicht mithält, ist selbst | |
| schuld. | |
| Einen ähnlichen Vorgang beschreiben Sie auf der soziokulturellen Ebene. Es | |
| habe nur eine vorgebliche Pluralisierung der Lebensstile gegeben. Wie | |
| meinen Sie das? | |
| Die neue Norm beinhaltet jetzt auch gleichgeschlechtliche Paare. Frauen, | |
| die Frauen heiraten, Männer, die Männer heiraten. Sie sollen auch gern | |
| Kinder bekommen. Damit werden sie vollends in das Kleinfamilienmodell | |
| gepresst, wo sich jeder auf die Hochzeit freut. Wer würde das schon | |
| schlechtmachen wollen? Aber es ist auch eine Normierung: Es geht immer um | |
| Kleinfamilien mit zwei Elternteilen. Familien mit einem Elternteil wirken | |
| dagegen wie gescheitert. Wie etwas, dessen man sich schämen muss. Und das | |
| hallt auch in einen anderen Raum hinein: Schwarze etwa haben öfter andere | |
| Familienformen als das „glückliche Paar“. Auch sie werden damit auf subtile | |
| Weise ausgegrenzt. | |
| Ähnlich betrachten Sie auch die „Freiheit“ der jungen Frauen: Es ist keine | |
| wirkliche Freiheit, schreiben Sie. | |
| Ich wollte – in Anlehnung an Michel Foucault – zeigen, dass unsere | |
| Gesellschaft heute mithilfe der Idee der Freiheit kontrolliert wird. Du | |
| sollst dich frei und glücklich fühlen. Und wenn du dich nicht so fühlst, | |
| geh zu einem Therapeuten oder lies ein Selbsthilfebuch. Das klingt wieder | |
| so: Jeder ist seines Glückes Schmied. Aber sehen Sie sich mal den | |
| Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen an. Oder sehen Sie in die | |
| Vorstandsetagen. Gerade las ich eine Statistik, laut der nur 8 Prozent der | |
| Frauen in Großbritannien mehr als 40.000 Pfund, also etwa 47.000 Euro pro | |
| Jahr verdienen. | |
| Aber zu einem Therapeuten kann man trotzdem gehen, wenn es einem schlecht | |
| geht, oder? | |
| Natürlich, aber sehen Sie sich die „Störungen“ der jungen Frauen einmal a… | |
| Die Magersucht etwa. Die British Medical Association hält fest, dass es | |
| „normal“ für Frauen sei, einen pathologischen Blick auf ihren Körper zu | |
| haben. Die Forschung zeigt, dass es ihnen besser geht, wenn sie | |
| zusammensitzen und darüber reden. Das ist das Restchen Feminismus, das | |
| übrig bleibt. Ich glaube, dass dieses Schönheitsregime, in das Frauen | |
| eingeschlossen sind, das Patriarchat abgelöst hat. Diese ständige | |
| Selbstbewertung, der Selbsthass kontrolliert die Frauen. Selbstkontrolle | |
| statt Fremdkontrolle. Und das unter dem Deckmantel der angeblichen | |
| Freiheit. Dabei kann es zu einer Art Folter werden, das Schönheitsideal | |
| erreichen zu wollen. Es gab vor Kurzem eine Werbung für | |
| Diätfrühstücksflocken, in der sich junge Frauen zurückerinnern und sagen: | |
| „Ach, wie war es als Kind schön, im Badeanzug am Strand zu sein und sich | |
| nicht schlecht zu fühlen.“ Das ist Werbung für Magersucht. | |
| Die jüngeren Feministinnen möchten sich aber nicht als potenzielle | |
| Anorektikerinnen darstellen. Sie wollen stark sein und sich nicht von | |
| Sexismus oder Lookismus stören lassen. Kann man einen coolen Feminismus | |
| entwickeln? | |
| Das kann man ja gerne glauben, aber es ist in meinen Augen keine | |
| feministische Strategie. Es ist das Quäntchen Feminismus, das übrig bleibt, | |
| wenn Frauen sich dem neoliberalen Zeitgeist anpassen. | |
| Vielleicht ist es aber auch die Form, in der der Feminismus überhaupt | |
| überleben konnte. Können Sie sich einen Feminismus vorstellen, der aus | |
| einer Position der Stärke argumentiert, ohne flach und angepasst zu sein? | |
| Ja, das kann ich. Aber das müsste ein Feminismus sein, der keine Angst hat, | |
| politisch zu werden. Feministinnen, die sich in der formalen Politik | |
| einmischen, in der Kommune, in Parteien. Es gibt diesen Netzfeminismus, der | |
| an die Riot Grrrls anknüpft. Den unterstütze ich. Aber was dort fehlt, ist | |
| die Langmut für politische Prozesse. Die Inszenierungen wie der Slutwalk | |
| sind sehr lebendig. Politik ist langweiliger. | |
| Ist das ein Aufruf? | |
| Ja. Und das meine ich ernst: Feministinnen, geht in die linken Parteien! | |
| ## ■ Angela McRobbie kommt für einen Diskussionsabend des nach Berlin. | |
| Thema: „There is more to sexism than meets the eye“. Am Montag, 20. Mai, 20 | |
| Uhr, im HAU Hebbel am Ufer 2 | |
| 16 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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