# taz.de -- Berliner Femen-Aktivistinnen: „Keine naiven nackten Frauen“ | |
> Sie wollen das Patriarchat zerstören, indem sie ihre Brüste zeigen: | |
> Alexandra Schewtschenko und Theresa Lenoard bauen die Femen-Gruppe in | |
> Berlin auf. | |
Bild: Femen-Aktivistinnen bei einer Anti-NPD-Demo in Berlin-Neukölln Mitte Feb… | |
taz: Wer sind Femen und wofür setzen Sie sich ein? | |
Alexandra Schewtschenko: Femen ist eine Bewegung von Frauen, die physisch | |
und moralisch dazu bereit sind, gegen das Patriarchat zu kämpfen. Wir sind | |
auch dazu bereit, Repressionen in Kauf zu nehmen, zusammengeschlagen zu | |
werden oder sogar im Gefängnis zu landen, um das wahre Gesicht des | |
Patriarchats zu enthüllen: die Sexindustrie, Diktatur und Religion. | |
Warum sind Sie nach Deutschland gekommen? | |
A.S.: Ich bin eine der ukrainischen Mitgründerinnen von Femen und | |
hergekommen, um Femen-Deutschland bei ihrer Gründung zu unterstützen. Die | |
AktivistInnen brauchen jemanden, der sie einweist. Sie können uns nicht | |
einfach kopieren. Es gibt bestimmte Strategien, die man nur in Kontakt mit | |
der Original-Femen-Gruppe erfährt. | |
Wie entstand der Kontakt zu Ihnen, Frau Lenoard? | |
Theresa Lenoard: Ich komme aus Berlin und hatte schon von Femen gehört. Ich | |
habe mich erkundigt und erfahren, dass sich in Berlin eine Femen-Gruppe | |
gründet. Dann trat ich ihnen bei. | |
Wie kamen Sie auf Deutschland? | |
T.L.: Femen ist eine Frauenrechtsbewegung. In jedem Land der Welt gibt es | |
einen Grund, sich für Frauenrechte starkzumachen. Frauen sind Männern nicht | |
gleichgestellt. In der Ukraine ist die Situation zwar anders als in | |
Deutschland, aber nur, was den Lebensstandard betrifft. Die Ungleichheit, | |
die sich zwischen Männern und Frauen unter den jeweils gegebenen | |
Bedingungen auftut, bleibt dieselbe. | |
Protestieren Sie in jedem Land auf die gleiche Weise? | |
A.S.: Bestimmte Methoden von uns sind universell anwendbar. Die Idee wurde | |
ja in der Ukraine geboren – in einem Land, das normalerweise sehr darauf | |
besteht, Sachen aus der westlichen Welt zu kopieren. Nun sehen wir, dass | |
diese in der Ukraine entstandene Idee in die „developed world“ kopiert | |
wird, nach Deutschland etwa. Unsere Ideen werden von Frauen in | |
unterschiedlichsten Ländern benutzt. Wenn sie unsere Hilfe brauchen, | |
unterstützen wir sie weltweit. | |
Wie sind Sie in Berlin organisiert? | |
A.S.: Wir treffen uns regelmäßig entweder in der Wohnung einer unserer | |
Aktivistinnen oder in einem Café. Wir schreiben ständig über Facebook oder | |
SMS – wir sind eigentlich permanent in Kontakt. Wir denken über | |
unterschiedliche Themen nach, gegen die oder für die wir protestieren | |
können. Ein festes Büro haben wir in Berlin aber nicht. Wir haben noch | |
nicht mal einen Platz für das Training. Aber wir sind ja auch gerade erst | |
am Anfang. | |
Welches Training meinen Sie? | |
A.S.: Als wir uns unsere Taktik und Ideologie überlegt haben – die wir | |
Sextremismus nennen –, haben wir verstanden, dass man sich vorbereiten | |
muss, um effektiv zu sein. Man muss für sextremistisches Handeln trainiert | |
sein. Wir stellen uns nicht einfach an die Straße mit einem Poster. Wir | |
klettern auf Gebäudedächer, auf Autos, und schrecken auch nicht vor der | |
Polizei oder Absperrungen zurück. Wir sind moralisch und körperlich | |
vorbereitet. Dabei wissen wir natürlich, dass die meisten Fotografen oder | |
Redakteure Männer sind. Wir werden nach unseren Protesten also von Männern | |
zensiert und nach ihren Ansichten beurteilt. Wir planen insofern, wie wir | |
rüberkommen – um nicht von den Fotografen als Objekte dargestellt zu | |
werden. Wir vermeiden es, auf den Fotos zu lachen oder Nervosität zu | |
zeigen, obwohl wir selbstverständlich nervös sind, wenn wir oben ohne in | |
der Öffentlichkeit stehen. Wir trainieren, wie man richtig schreit, und wir | |
schreien laut. So laut, dass wir manchmal nach der Demonstration kaum reden | |
können. Wir sind keine naiven nackten Frauen. Wir sind aggressiv und wollen | |
angreifen. | |
Warum sind Sie bei Ihren Protesten nackt? | |
A.S.: Wir wollen damit zeigen, dass wir unbewaffnet sind. Wir erzeugen nur | |
dadurch Aufmerksamkeit, dass wir einerseits aggressiv und nackt an einem | |
nach Vorstellung vieler Männer ungewöhnlichen Ort für nackte Frauen sind – | |
man sieht uns nicht im Bordell, nicht nach 0 Uhr im Fernsehen, nicht in | |
einem Magazin und nicht auf dem Strich. Man sieht uns zur Primetime im | |
Fernsehen, und wir reden über politische und gesellschaftliche Probleme | |
statt nur über Ferraris, Bier oder Bordelle. Wir verändern die Bedeutung | |
weiblicher Nacktheit. Natürlich verändern wir die Welt nicht von heute auf | |
morgen, aber man sieht, wie diese friedlichen Frauen mit entblößten Brüsten | |
von der Polizei festgenommen werden – nur weil sie nackt sind. Wir beweisen | |
durch unseren Protest, dass wir keine Angst davor haben. Es gibt nichts, | |
für das wir uns schämen müssen. Wir verstecken unsere Körper nicht. | |
Warum haben Sie gegen Neonazis in Berlin demonstriert? | |
A.S.: Nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, haben wir über Themen | |
geredet, gegen die wir in Deutschland kämpfen müssen. Das Erste, auf das | |
wir kamen, war die Nazibewegung hier. Die ist immer noch ein großes | |
Problem. Und natürlich sollten wir gegen sie kämpfen. Jede normale Person | |
sollte gegen Nazis und ihre Ideologie kämpfen! | |
T.L.: Die NPD ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Allein schon die | |
Flüchtlingsproblematik zeigt, dass in Deutschland Rassismus nach wie vor | |
weit verbreitet ist. | |
Was hat sich durch Ihren Protest bereits verändert? | |
A.S.: Im Vergleich zu unserem Ziel, das Patriarchat zu zerstören, hat sich | |
noch sehr wenig getan. Aber wir haben den Feminismus generell in die | |
Ukraine gebracht. Bevor Femen auftrat, wusste keiner, was das überhaupt | |
ist. Wir haben auch keine Politikerin, die in der Öffentlichkeit sagen | |
würde, dass sie feministisch ist. Keine TV-Person, die das offen zugeben | |
würde – es gilt als Schande. Jeder in der Ukraine dachte vorher, dass | |
Feministinnen Frauen mit Schnurrbärten sind, die allen Männern ihre | |
Schwänze abschneiden wollen. Wir haben etwas angestoßen, weltweit. Und in | |
Deutschland denken jetzt wieder mehr Menschen über Prostitution nach. Wir | |
fordern das schwedische Modell: Nicht die Prostituierten sollen bestraft | |
werden, sondern die Zuhälter und Freier. | |
Sind Sie mit anderen Gruppen in Berlin vernetzt? | |
A.S.: Wir haben ein paar Kontakte, zum Beispiel zum Interkulturellen | |
Frauenzentrum S.U.S.I. Wir werden uns am 5. April um 19 Uhr in deren | |
Räumlichkeiten in Mitte treffen. JedeR, der sich mit Femen unterhalten | |
will, ist herzlich dazu eingeladen. Wir bieten eine offene Runde an. Wir | |
werden auch weder kämpfen noch unsere Brüste zeigen – wir wollen einfach | |
nur reden. Das können wir nämlich auch ganz gut. | |
Bei Aktionen in Hamburg sind Sie mit Anspielungen auf | |
nationalsozialistische Symbolik durch die Herbertstraße marschiert. Denken | |
Sie nicht, dass Sie durch solche Aktionen Unterstützung verlieren könnten? | |
A.S.: Ich denke wir haben das Recht dazu, auf diese Weise auf Gräueltaten | |
hinzuweisen, die Frauen nun seit Jahrtausenden angetan werden. Es ist | |
nichts anderes als ein andauernder Genozid. | |
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? A.S.: Darüber reden wir nicht mit | |
Journalisten. | |
8 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Igor Mitchnik | |
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