# taz.de -- Die Femen-Frauen in Deutschland: Inglourious Breasterds | |
> Sie ziehen blank, malen mit Acryl Parolen auf ihre Brüste und schreien | |
> „Fuck off NPD!“ Die Femen-Frauen sind in Deutschland angekommen. | |
Bild: Anti-Nazi-Protest: Die Aktivistinnen von Femen vergangenen Februar in Ber… | |
„Schau, der Pfannkuchen sieht aus wie Pussy Riot. Du isst eine Pussy Riot!“ | |
Vergnügtes Gekichere. Halb nackt steht Klara vor dem Herd, verteilt | |
Pfannkuchen, gießt Kaffee nach. „Fuck off Nazis“ steht auf ihrer Brust. | |
Klara ist eine Aktivistin in Berlin, die sich von den Protestmethoden der | |
ukrainischen Frauengruppe Femen inspirieren lässt und die, wie alle anderen | |
auch, nur mit Vornamen im Text auftauchen will. | |
In diesen Wochen sind die Ukrainerinnen in Berlin – sie arbeiten am Export | |
ihres Protests. Angefangen haben die Femen vor fünf Jahren, als sie in Kiew | |
mit nacktem Oberkörper gegen Gewalt gegen Frauen demonstrierten. Auf ihre | |
Brüste sind die Parolen geschrieben. | |
„Los, Mädels, beeilt euch, wir müssen uns noch ein paar Hosenträger | |
besorgen!“, sagt eine. „Die einzige Angst, die ich habe, ist, dass wir das | |
nicht schaffen, was wir uns vorgenommen haben“, sagt eine andere, Alexandra | |
soll sie hier heißen. Dabei wird auf ihren nackten Rücken ein fettes, | |
schwarzes Hakenkreuz gepinselt, rot durchgestrichen. „Ups, das Kreuz ist | |
falsch herum, oder nicht?“ | |
Irina, die es malte, ist es peinlich, sie ist Grafikdesignerin und findet, | |
sie müsste es wissen. Ansonsten sitzt jede ihrer Linien perfekt. „Hitler | |
kaputt!“ prangt auf Alexandras kleinen Brüsten. Dazu ein Plakat: „Kein Asyl | |
für Nazis!“ Es verschwindet, sorgfältig gefaltet, in der Jeanshose von | |
Josephine. | |
## „Wir sind härter als andere feministische Bewegungen“ | |
Irina ist klein, ihr Busen im Vergleich zu Alexandras eher füllig. „Ich | |
hatte früher keine Ahnung, dass es so viele verschiedene Brustformen gibt!“ | |
Der Blick ihrer dunklen glühenden Augen ist stark. „Kill Nazis“ steht auf | |
ihrer Brust. Sie zögert kurz und setzt das Wort „Kill“ in | |
Anführungsstriche. „Als wir im Kiewer Flughafen eine Aktion gegen den | |
russischen Patriarchen machten, hatte Irina auf ihrer Brust 'Kill Kirill!' | |
stehen. Sie bekam fünfzehn Tage Arrest. Wir wollen ja nicht übertreiben!“ | |
Die Frauen tunken ihre Pinsel in die Acrylfarbe. „Acrylfarbe juckt zwar ein | |
bisschen, geht aber mit Seife schnell wieder ab“, sagt Irina. | |
Die Frauen bereiten sich vor. Üben. Spielen. Denn am nächsten Tag, dem | |
Samstag, will die NPD gegen den Bau eines Asylbewerberheims in Neukölln | |
vorgehen. Mit Hunderten Antifademonstranten wird gerechnet. Auch mit zwei | |
Dutzend Polizeiwagen und vielen Polizisten. Nicht aber mit Alexandra und | |
den Freundinnen. | |
Noch ist Freitag. In der kleinen Wohnung von Klara im Berliner Stadtteil | |
Wedding sammeln sich die Femen-Aktivistinnen. Klara ist 22 und studiert | |
Ingenieurswesen. Drei junge Frauen sind extra aus Hamburg angereist. Unter | |
ihnen Irina und die 19-jährige Philosophiestudentin Josephine, die Neue. | |
Die Stimmung ist ausgelassen. Alexandra verteilt T-Shirts und Caps mit | |
Femen-Logo. Sie ist vor einem Monat aus Kiew gekommen, um dem deutschen | |
Ableger, der Femen Germany, das Kriegshandwerk beizubringen. „Wir sind | |
härter, provozierender als andere feministische Bewegungen. Wir kämpfen an | |
vorderster Front.“ | |
Weiter Pulli, kuschelige Socken, von Make-up keine Spur. Sie wirkt eher | |
schüchtern, sobald sie zu sprechen anfängt, verstummt alles. Alexandra legt | |
ihren Plan für die morgige Aktion detailliert und mit Verve und lebhafter | |
Mimik dar. | |
## Ein Hakenkreuz auf der Hand | |
Wer sich im Netz tummelt und wem feministischer Protest nicht fremd ist, | |
der erkennt sie, ihr markantes Gesicht, das in der letzten Zeit häufig in | |
den Medien zu sehen war. Wutverzerrt an den Boden gedrückt, flankiert von | |
zwei Polizeistiefeln. Mit zurückgezogenen Armen auf dem roten | |
Berlinale-Teppich. Siegesstrahlend mit einer Fackel in der Hand in der | |
Hamburger Hubertusstraße. Makelloser Busen, blonde Mähne, Blumenkranz. | |
Perfekt, anmutig, hüllenlos und felsenstark. Jeanne dArc neu. | |
Alexandra malt sich ein schwarzes Hakenkreuz auf die Handoberfläche, nähert | |
sich graziös einem der Mädchen. Wupps, kriegt dieses einen Stempel an die | |
Stirn gedrückt. Als den Anwesenden klar wird, was Alexandra, die | |
Kommissarin der Truppe, vorhat, bricht Jubel aus. Das will die entblößte | |
Slawin morgen versuchen: dem Berliner Naziboss Udo Pastörs eine verpassen. | |
„Wow!“ | |
Es wird ein langer Abend. Die grünhaarige Debbie berichtet von ihrer | |
Erfahrung mit Antifa-Kundgebungen. Die Engländerin Pippa will wissen, ob | |
sich „Inglourious Breasterds“ ins Deutsche übersetzen lässt. NPD googeln, | |
Plakate malen, Witze reißen. „Ist der Udo kriminell, ins Gefängnis, aber | |
schnell!“ – „Sascha, frag ihn doch, ob er dir ein Busenautogramm gibt.“ | |
Spätabends gehts dann noch in eine Nachtbar am Hackeschen Markt, wo der | |
Partykönig DJ Hell, ein alter Freund und Femen-Gönner, eine Performance | |
gibt. Die Femen schießen in der U-Bahn Fotos, stellen sie ins Netz, kichern | |
unentwegt. Sie tragen Blumenkränzchen und ziehen Blicke auf sich. Vor der | |
Bar steht eine Riesenschlange. Sie werden erkannt: „Hey, das sind doch die | |
Ukrainerinnen!“ Die Mädchen strahlen. Bei der Nachtperformance sind sie die | |
Stars. | |
## Den Nazis ein Stinkefinger | |
Samstagmittag. Doppelte Polizistenreihe vor dem Eingang in das | |
Gemeinschaftshaus Gropius in Neukölln. Als den Mädchen klar wird, dass sie | |
es ins Innere des Gebäudes nicht schaffen, entscheiden sie sich kurzerhand | |
für den Sturm. Alexandra gibt den Start. Eine Sekunde später liegen die | |
Jacken auf dem Asphalt, fünf Amazonen fliegen eine nach der anderen über | |
die Absperrung, setzen im Flug noch die Kränzchen auf, falten die Plakate | |
aus. | |
Einen Augenblick lang erstarrt der Platz ob so viel nackter Haut bei | |
klirrender Kälte. „Fuck off NPD!“, „Na-zis raus!!“ grölende Mäuler, | |
erhobene Fäuste, der Stinkefinger von Alexandra ist ein Femeninchen im | |
Rampenlicht. Ein Hingucker. „Sie sieht aus wie Veronica Ferres, nur | |
frischer!“, flüstert eine Journalistin. Sehr schnell kriegt sich alles | |
wieder ein. Die Polizisten bekommen ihre steinernen Gesichter zurück. Die | |
Antifas skandieren. Die Nazis amüsieren sich: „Lasst sie doch, lasst sie | |
herkommen!“ „Sextremismus heißt, den Feind direkt in seiner Höhle nackt | |
anzugreifen.“ | |
Die Polizei schreitet ein. Die Kriegerinnen zappeln, winden sich. Die | |
Polizisten bemühen sich sichtlich um sanfte Griffe. Die Fotografen | |
schwitzen. Klara wird ein Dutzend Kratzer davontragen, woher, weiß sie | |
nicht so genau. „In dem Moment ist man so voll Adrenalin, dass man gar | |
nichts mehr merkt.“ | |
Alexandras Trupp wird gegen die Wand gestellt. Josephine zittert am ganzen | |
Leib. Sie werden in die entlegenen Polizeiwagen hinter dem Gebäude | |
abtransportiert. "Wenn man sich auszieht in der Kälte und dann in das warme | |
Polizeiauto kommt, härtet das ab wie die Sauna." Identität feststellen, | |
sich einzeln draußen vor dem Wagen fotografieren lassen, immer noch oben | |
ohne, mittlerweile fast eine halbe Stunde, mit einer Nummer in der Hand. | |
Platzverweis. Für Alexandra der fünfzigste in ihrem Femen-Leben. | |
Ende der Veranstaltung. Es dauert noch eine halbe Stunde, bis die Polizei | |
sämtliche Jacken einsammelt. Die Mädchen finden einander, umarmen sich, | |
tauschen ihre Erlebnisse aus. Sie sehen erschöpft und glücklich aus. | |
Alexandra hat jetzt rote Wollhandschuhe und trägt ernste Miene. Sie | |
telefoniert ununterbrochen. "Ich bin eine Femen!", strahlt Josephine. "Als | |
ich abgeführt wurde, hat ein Polizist zu mir gesagt: ,Ja, ich würde viel | |
lieber andere Leute festnehmen, die hier gerade auf diesem Platz sind. Aber | |
er musste halt seinen Job machen.' Ich kann das verstehen." Hand in Hand | |
ziehen die Mädchen von dannen. Zum Abschied winken sie den Polizisten im | |
Wagen. Diese winken zurück. In der Ukraine laufen gegen Femen zehn | |
Strafverfahren wegen Rowdytums. | |
Wieder in der Wohnung, googeln sie frische Pressefotos. "Vor Ort werden uns | |
Dutzende Leute sehen. Durch die Kameras erreichen wir die Köpfe von | |
Millionen!" Die NPD-Veranstaltung war ein voller Erfolg. "Die Frauen haben | |
mehr Eier als wir", schreibt ein User. "Coole Bilder, können wir alle vier | |
posten?" „Nein, nimm nur ein Foto, und dann kommt jede Stunde ein neues | |
dazu. Niemals ein Album!“ „Du kannst aber einen guten Ausdruck im Gesicht | |
machen! Die Fotos von meiner ersten Aktion fand ich hässlich.“ „Was machen | |
wir eigentlich als Nächstes?“ | |
Und ich? Zwei Tage Kriegsreporterin in Berlin. Genug. | |
22 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Irina Serdyuk | |
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