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# taz.de -- Muslimische Frauen gegen Femen: „Du brauchst mich nicht zu befrei…
> Die Femen-Aktivistinnen protestieren für die Frauenrechte – auch von
> islamischen Frauen. Einige Muslima fühlen sich bevormundet und wehren
> sich.
Bild: Aktivistinnen von Femen protestieren Anfang April am „Topless Jihad Day…
Der Feind trägt ein Kopftuch oder hat einen Penis. Der Feind an diesem 8.
April heißt Wladimir Putin. Als der russische Präsident mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel über die Hannover-Messe spaziert, ist der Zeitpunkt gekommen,
ihn anzufallen. Und am Ende ist alles wie immer: Fünf Frauen mit nacktem
Oberkörper, auf den sie „Fuck dictator“ gepinselt haben, und mit Blumen im
Haar rennen schreiend auf die Delegation zu. Sicherheitsleute halten sie
auf, sie brüllen weiter und werden abtransportiert. Putin wirft ihnen einen
anzüglichen Blick zu und sagt später: „Mir hat es gefallen.“
„Putin hatte Angst. Der fürchtet sich vor nackten Frauen“, sagt Alexandra
Shevchenko.
Die 25-jährige sitzt in einem Café in Berlin-Mitte und sieht sehr zufrieden
aus. Das Bild von Putin und ihr ging um die Welt. Ständig klingelt ihr
iPhone. „Aktivistinnen“, entschuldigt sie sich und geht ran. Der bekannte
Busen der attraktiven Ukrainerin steckt unter einem engen T-Shirt. Mit der
engen Jeans, den sehr hohen Absätzen und dem wasserstoffblonden langen
Haaren fällt die Mitbegründerin der Feministengruppe Femen auf. „Ich bin
Vollzeitaktivistin, gehöre zu der Schocktruppe des Feminismus“, sagt sie
und zieht ihre schwarz nachgemalten Augenbrauen hoch.
## „Sextrimismus“
Die Bewegung Femen wurde 2008 in der Ukraine gegründet und kämpft mit
Brüsten für Frauenrechte, gegen das Patriarchat, Religion und gegen
Sexismus. Ihre Taktik nennen sie „Sextrimismus“, der nackte Körper ist das
Medium, mit dem sie provozieren. Meistens sind es ungewöhnliche Aktionen,
mit denen die Frauen auf sich aufmerksam machen. Als im vergangenem Jahr
zwei Sängerinnen der russischen Band „Pussy Riot“ wegen religiösen Hasses
verurteilt wurden, sägte eine halbnackte Femen-Aktivistin in Kiew ein
riesiges Holz-Kruzifix um – in Anwesenheit zahlreicher Journalisten.
Warum immer oben ohne? Warum die Heftigkeit? „Angezogen werden wir nicht
beachtet“, sagt Shevchenko. Außerdem steckten sie mitten in einer
Revolution, da seien alle Mittel recht. Und ja, es gehe auch um mediale
Präsenz.
Heute haben Femen über 300 Anhängerinnen weltweit. Die Frauen finanzieren
sich nach eigenen Angaben über Spenden und Fanartikel – erhältlich sind
Tassen und T-Shirts mit stilisierten Brüsten, dem Symbol von Femen.
Mittlerweile gibt es Ableger in Brasilien, Tunesien und Frankreich. Anfang
des Jahres formierte sich [1][auch in Deutschland] eine Gruppe, die bisher
etwa 30 Mitglieder zählt.
## „Beine breit, Schultern gerade, Brust raus“
Shevchenko ist jetzt in Berlin, um den Deutschen Nachhilfe beim
Protestieren zu geben. Etwa bei der Körperhaltung: „Beine breit, Schultern
gerade, Brust raus“, so soll die klassische Femen im Einsatz ausschauen,
sagt sie. „Die Haltung eines zum Angriff bereiten Tieres.“ Im Gespräch
fallen unentwegt Wörter wie „Feinde“, „Sieg“ und „Kampf“. „Ich s…
Mädchen, die das Zeug als Anführerin haben“, lobt Shevchenko die Deutschen.
Der Angriff auf Putin war der bisher medienwirksamste Einsatz der Gruppe
hierzulande. Dabei erregte eine Aktion kurz zuvor viel mehr Protest: Am 4.
April demonstrierten sie mit beim europaweiten „Topless Jihad Day“ für die
Freiheit der Frau in islamischen Ländern. Aus Solidarität mit der
Tunesierin Amina Tyler, die mit Nacktfotos im Internet gegen religiöse
Unterdrückung in ihrem Land protestierte. Ultrakonservative muslimische
Geistliche forderten, die 19-Jährige zu steinigen.
In Berlin versammelten sich sechs Femen-Aktivistinnen am „Topless Jihad
Day“ vor einer Moschee. „Niemand kann Religion dazu benutzen, um Frauen zu
unterdrücken“, riefen sie.
## „Muslima-Pride“ vs. „Topless Jihad Day“
Am selben Tag saß Betül Ulusoy an ihrem Schreibtisch und lernte für ihr
erstes Juraexamen. Als sie online vom „Oben-ohne-Jihad“ las, entschied sie
spontan, eine Gegenkampagne zu starten, und gründete die Facebook-Gruppe
[2][„Muslima-Pride“]. Tags darauf parodierte sie mit fünf Freundinnen die
Femen vor der gleichen Moschee, mit Kopftüchern, langer Kleidung und
Schildern mit Aufschriften wie „Du brauchst mich nicht befreien, ich bin
frei“.
Shevchenko und Ulusoy haben sich noch nie getroffen – und sie lehnen eine
Begegnung auch ab. Beide fühlen sich von der jeweils anderen
missverstanden, zu groß seien die Meinungsverschiedenheiten, heißt es von
beiden Seiten, das Misstrauen ist gegenseitig.
Anders als Femen-Mitgründerin Shevchenko sieht sich Ulusoy nicht als
Feministin: „Ich kämpfe für jede Form von Freiheit und für jeden Menschen.
Wenn morgen Männer unterdrückt würden, würde ich mich genauso auch für sie
einsetzen.“
Ulusoy blickt ernst und spricht langsam, sie denkt über jede ihrer Aussagen
nach. Wie eine, die die Kontrolle über ihre Worte nicht verlieren will.
Anders als Shevchenko ist sie es nicht gewohnt, mit Journalisten zu reden.
Eine Frau mit auffallend hübschem Gesicht und dezentem Make-up. Sie
„irritiert die Pauschalisierung“ von Femen, sagt die 24-jährige
Deutschtürkin, die ein Kopftuch trägt.
## Kopftuch=Konzentrationslager?
Für Shevchenko ist sie wegen dieses Stück Stoffs eine Sklavin, die befreit
gehört. „Das Kopftuch ist vergleichbar mit einem Konzentrationslager“, sagt
die Aktivistin. „Nein“, entgegnet Ulusoy, ihre Verhüllung sei für sie als
Kind zunächst „das Symbol des Erwachsenwerdens gewesen, heute unterstützt
es meinen Charakter“. Außerdem sei es ja nicht an ihrem Kopf festgenagelt,
sie könne es jederzeit hinterfragen. Also auch ablegen. „Solche Frauen
hatten doch nie die Wahl. Sie kennen den Unterschied zwischen Freiheit und
Unfreiheit nicht“, kritisiert die Femen-Aktivistin.
Auch sie habe als Kind die orthodoxe Kirchen besuchen müssen und erst als
junge Frau bemerkt, wie sehr der Glauben sie als Frau einschränke. „Es tut
mir leid, wenn sie persönlich so schlechte Erfahrungen gemacht hat“,
entgegnet Ulusoy auf solche Argumente: „Mein Freiheitsverständnis ist
umfassender – niemand soll eingeschränkt werden. Freiheit darf sich nicht
da erschöpfen, wo meine persönliche Freiheit aufhört.“
Es gehe ihr eigentlich gar nicht um Femen, es gehe um die in aller Welt
verbreiteten Vorurteile. „Uns Musliminnen wird immer wieder unterstellt,
wir könnten gar nicht Entscheidungen eigenverantwortlich treffen. Uns wird
das Denkvermögen abgesprochen“, kritisiert sie.
Sofia Ahmed aus Birmingham geht da ein wenig weiter. Sie greift Femen
frontal an und gründete nach dem „Topless-Jihad“ die Facebook-Gruppe
[3][„Muslim Women Against Femen“], die mittlerweile über 9.000 Likes hat.
Anders als Ulusoy ist sie mit ihrer Kritik wesentlich direkter: „Muslima
haben genug von der paternalistischen und parasitären Beziehung einiger
westlicher Feministinnen“, schreibt sie über Femen und empfindet „Abscheu
wegen der Art und Weise, in der sie islamfeindliche und rassistische
Rhetorik und Bildersprache zur Förderung ihres ’barbusigen Jihads‘
einsetzten“.
## „Mit dem Mittel des Schocks operieren“
Und die Studentin legt in einem Interview nach: „Für Femen sind Muslima
unterworfene Kreaturen, die von Männern kontrolliert werden. Wir müssen
daher von einer Gruppe perfekt herausgeputzter weißer Frauen befreit
werden, die sich nackt zur Schau stellen und mit dem Mittel des Schocks
operieren.“
Vielleicht haben die drei Frauen mehr gemeinsam, als sie wahrhaben wollen.
Sie sind jung und Akademikerinnen, kämpfen für Glaubensfreiheit, für ein
selbstbestimmtes Leben und gegen das Patriarchat. Sie haben ähnliche Ziele,
doch andere Vorstellungen von deren Umsetzung. Jede macht das auf ihre
Weise. Die eine engagiert sich fast nackt und mit Blumen im Haar, die
andere mit langer Kleidung und verhüllt.
Der Protestforscher Simon Teune sieht die Femen-Aktionen kritisch. Als die
Frauen gegen den Sextourismus in der Ukraine protestierten, hätten sie mit
ihren barbusigen Einsätzen überzeugend den männlichen Blick dafür
ausgenutzt, um die Gesellschaft auf Missstände aufmerksam zu machen. Doch
es fehle an der inhaltlichen Unterfütterung der Forderungen und manche
Aktionen seien sehr unbedarft.
Tatsächlich fallen die Aktivistinnen neben ihrem Körpereinsatz vor allem
wegen ihrer radikalen Sprüche auf. Als sie im Januar mit Fackeln durch das
Hamburger Rotlichtviertel zogen und gegen Zwangsprostitution protestierten,
schrieben sie den Nazi-KZ-Spruch „Arbeit macht frei“ an das Tor der
Herbertstraße. Ob das nicht perfide sei? „Warum? Gerade die Deutschen
müssen verstehen, dass Prostitution und Faschismus gleichzusetzen sind“,
antwortet Shevchenko, ihr Blick schaltet auf Angriff.
## Nur billige Provokation?
Sind Femen Wegbereiterinnen eines neuen, anderen Feminismus? Oder ist das
alles nur billige Provokation?
Protestforscher Teune sagt dem Femen-Phänomen jedenfalls nur eine begrenzte
Haltbarkeit voraus. „Die Bilder werden zwar immer wieder gerne genommen –
die Möglichkeit, mit einem nackten Körper Inhalte zu transportieren, wird
aber abnehmen“, so Teune. Denn neben den Inhalten fehle es auch am
Bewusstsein für die feministische Denktradition. „Wenn Femen für andere
spricht und für sich in Anspruch nimmt, diese befreien zu wollen, wird es
problematisch“, so Teune. Denn es werde vorweggenommen, was andere Frauen
denken.
Einen Tag nach dem Interview schickt Ulusoy eine lange Mail. Die Muslima
müssten sich nach allen Richtungen rechtfertigen, schreibt sie. „Das ist
nicht nur ärgerlich, sondern auch anstrengend, gar erschöpfend. Dabei
sollte sie doch geschützt werden – angeblich.“
Shevchenko dagegen hat es eilig. Sie muss morgen zurück nach Kiew, ihr
Visum läuft ab. Während des ganzen Gesprächs fragt sie nicht einmal nach
dem Namen der Journalisten oder welchem Medium sie da eigentlich gerade ein
Interview gibt – sie will nur wissen, wann der Text erscheint.
28 Apr 2013
## LINKS
[1] http://www.femen.de
[2] http://www.facebook.com/MuslimaPrideIntl?fref=ts
[3] http://www.facebook.com/MuslimWomenAgainstFemen?fref=ts
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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