# taz.de -- Muslima über Ablegen des Kopftuchs: „Das beantworte ich nicht“ | |
> Tina Banze hat ein Stipendium fürs Schweigen bekommen. Sie trug eine | |
> Woche lang Glatze statt Kopftuch und äußerte sich nicht zu den Gründen. | |
Bild: Hat am Ende ihres Selbstexperiments das Kopftuch wieder angelegt: Tina Ba… | |
taz: Sie haben erklärt, sich nicht zum abgelegten Kopftuch erklären zu | |
wollen. Was wollten Sie damit erreichen, Frau Banze? | |
Tina Banze: Ich habe das Kopftuch abgesetzt, bevor öffentlich bekannt | |
wurde, dass ich [1][das Stipendium] erhalten habe. Insofern war das kein | |
Problem. | |
War das Medieninteresse für Sie dann doch eine Plattform, um Ihre Position | |
als Schwarze Muslima sichtbar zu machen? | |
Nein, das ist nicht meine Community. Ich bewege mich in bestimmten Kreisen | |
und da öffne ich mich und diskutiere Sachen. Aber das habe ich halt nicht | |
vor in der weißen deutschen Gesellschaft. | |
Jetzt gerade sprechen Sie mit der taz, einer überwiegend weißen Zeitung. | |
Ja – aber ich spreche nicht über alles, so wie ich innerhalb meiner | |
Community rede. Ich rede schon mit weißen Menschen, natürlich, aber eben | |
anders. | |
Eigentlich würde ich Sie jetzt gern nach Ihren Erfahrungen mit dem | |
abgelegten Kopftuch fragen, aber so wie ich Sie verstanden habe, wollen Sie | |
das nicht. | |
Über die Erfahrung, wie die anderen Menschen reagiert haben, kann ich | |
sprechen. | |
Gleichzeitig würde mich interessieren, was das Ablegen für Sie bedeutet | |
hat, für Ihr Selbstverständnis. | |
Darüber rede ich nicht, das ist Privatsache. Für mich war es ein | |
Selbstexperiment, damit ich es herausfinde, aber ich muss meine | |
persönlichen Erkenntnisse nicht in der Öffentlichkeit breittreten. Aber zu | |
den anderen: Sie ließen sich ganz klar in zwei Kategorien einteilen: Die | |
einen kannten mich und dachten: Okay, das ist Tina, wer weiß, was sie jetzt | |
gerade schon wieder macht. Sie haben es nicht weiter kommentiert außer | |
etwa: „Das sieht ja cool aus.“ Andere, die mich nicht so gut kannten, haben | |
die lustigsten Theorien an mich herangetragen: ob ich krank sei, ob ich | |
keine Muslima mehr sei, ob ich jetzt ein Mann sei. | |
Warum ein Mann? | |
Ich hatte meine Haare ja auf drei Millimeter gekürzt. Ich wurde ständig | |
darauf aufmerksam gemacht, dass das unweiblich sei oder ja doch gut | |
aussehe, obwohl ich eine Frau bin. Eine Person meinte: Jetzt kann man ja | |
endlich offen mit dir über den Islam reden. Das konnte man vorher nicht in | |
ihren Augen, weil ich so klar positioniert gewesen sei. Durch das Ablegen | |
des Kopftuchs war ich plötzlich ein offener Menschen für sie. Das fand ich | |
auch interessant, was das so macht. Als wäre ich jetzt plötzlich eine | |
andere Person. | |
Was haben diese Reaktionen mit Ihnen gemacht? | |
Ich bin Konvertitin, ich weiß schon, was das ausmacht, das war jetzt nichts | |
Schockierendes. Ich hatte auch schon zwei Jahre während meines Studiums | |
eine Glatze, daher kenne ich die Reaktionen. Und kurz nach der Glatze kam | |
das Kopftuch. | |
Ruft das Kopftuch noch einmal emotionalere Reaktionen hervor als die | |
Glatze? | |
Ja. Allerdings war ich noch Studentin, als ich die Glatze trug, ich war | |
nicht im Arbeitsleben. Das macht schon noch große Unterschiede. | |
Weil die Uni ein offeneres Milieu ist? | |
Das würde ich nicht grundsätzlich sagen. Als ich das erste Mal die Glatze | |
hatte, hat mich eine Kommilitonin gefragt, eine Masterstudentin, kein | |
kleines Mädchen, ob es stammesüblich sei, dass ich jetzt eine Glatze trage. | |
Ich würde nicht sagen, dass so eine Universität ein Schutzraum ist. | |
In der Vorstellung Ihrer Initiative „intersektional deutsch“ schreiben Sie | |
mit Nachdruck, dass es nicht um Opferporno geht. Wogegen richtet sich das? | |
Ich habe den Begriff letztes Jahr gelernt und finde ihn sehr treffend. | |
Wofür? | |
Für dieses voyeuristische Ergötzen und das Sich-daran-Aufgeilen, was andere | |
Menschen erleben, dieses Erleben dann aber auch wieder weg zu schalten und | |
dadurch abzustumpfen. Die einzige Position, die man als rassifizierte | |
Person in dieser Gesellschaft hat, ist eben die, maximal Unterhaltung zu | |
bieten. Wenn Schwarze Menschen zu Wort kommen, dann nur als Opfer. Und dann | |
können alle sagen: „Oh, das wusste ich gar nicht, oh wie traurig.“ Aber | |
darüber hinaus geht es nicht und es ändert nichts. | |
Haben die Erfahrungen an der Uni dazu geführt, dass Sie gelernt haben, sich | |
abzugrenzen? | |
Wovon? | |
Von Fragen, von Anmerkungen, von Irritation? | |
Das kam erst später. Ganz extrem im letzten Jahr, da habe ich eine | |
Weiterbildung im Bereich Antibias gemacht. In dem Moment habe ich gemerkt, | |
wo Grenzen sind, die ich gern früher ignoriert habe, wo ich sehr naiv | |
rangegangen bin und immer wieder verletzt wurde. Mir war gar nicht klar, | |
dass ich da anders reagieren kann, als offen zu sein und mich als | |
Lernmaterial zur Verfügung zu stellen. | |
In Ihrem Blog schreiben Sie: „Warum sollten wir unsere persönlichen | |
Angelegenheiten mit euch besprechen, wenn ihr nicht einmal wisst, dass | |
Ramadan ein Monat ist.“ Ist das solch eine Verweigerung, Lernmaterial zu | |
sein? | |
Ja. Es gibt eine Norm in dieser Gesellschaft, von der aus legitimiert wird, | |
wer was gefragt werden darf oder sich wozu erklären muss. Es ist einfach | |
die Frage: Möchte ich das mitmachen? Will ich diese Rolle annehmen oder | |
sage ich: „Nein, bilde dich doch selbst.“ | |
Ich habe mich früher an der Uni oft daran gestört, dass man sich durch | |
Fragen eine Blöße zu geben schien. Nach dem Motto: Man sollte wissen, was | |
gemeint ist, wenn wir über die Frankfurter Schule sprechen. Von daher ist | |
Fragen-Können für mich positiv besetzt – aber ich bin dann auch die | |
Fragende. | |
Aber genau das ist ja das Ding. Wenn wir die Frankfurter Schule betrachten, | |
dann sind wir alle Menschen, die das erst erlernen müssen und es gibt kein | |
Machtgefälle. Und unter Weißen kannst du natürlich alle Fragen stellen und | |
es gibt Critical-whiteness-Seminare, wo du bestimmte Fragen aus einer ganz | |
naiven Perspektive heraus stellen kannst. Wer immer das macht – Hut ab. Ich | |
könnte das nicht über mich ergehen lassen, diese erniedrigenden und | |
herabwürdigenden Fragen, die bestimmte Machtgefälle manifestieren. Aber | |
dafür gibt es Räume. Aber wenn du jeden Tag erklären musst, warum du in | |
diesem Land bist – wem nützt diese Frage und wem nicht? | |
Vielleicht noch mal zurück zum Beispiel Ramadan, weil ich darüber | |
gestolpert bin. Wo ist da für Sie das Machtgefälle? | |
Natürlich rede ich mit Menschen auch darüber, aber ich entscheide mit wem | |
und wann. Ich bin selbst konvertiert, ich musste mir auch das ganze Wissen | |
irgendwo herholen. Es ist halt Arbeit und es ist leichter, eine Person mit | |
der eigenen Dummheit zu belästigen. | |
Worüber sprechen Sie mit den Frauen in Ihrer Initiative Insektional | |
Deutsch? | |
Es geht um Erfahrungsaustausch, aber auch um Fallberatung. [2][Wir sind | |
Schwarze Cis-Frauen], die meisten davon tragen Kopftücher. | |
Was wäre ein Beispiel für eine Fallberatung? | |
Es gab einen Aufruf zum Thema Opferrolle. Welche Strategien gibt es, die | |
nicht anzunehmen? | |
Gibt es da eine besonders wirksame Strategie? | |
Das beantworte ich nicht. | |
Warum nicht? | |
Weil das nicht das Publikum dafür ist. Das ist ein Diskurs, der innerhalb | |
der Community stattfindet und den muss ich hier nicht breittreten. | |
Das verstehe ich. Und ich glaube, ich komme hier an eine gewisse | |
Sprachlosigkeit. | |
Super, das ist doch toll, dass es jetzt einen Punkt gibt, an dem einfach | |
auch mal weiße Menschen überlegen: Darf ich das eigentlich? Und nicht | |
einfach davon ausgehen, ich darf. | |
Ich stehe hier mit dem Fragezeichen, weil ich das Fragen, das | |
Angesprochenwerden ganz anders werte, als potenzielles Bindemittel. Und: | |
Ich erlebe unsere Gesellschaft eher als sprachlos. | |
Ich werde ständig angesprochen, vor allem wenn ich mit meinem Kind | |
unterwegs bin. | |
Was sagen die Leute? | |
Wie süß es ist, dass es schon so gut Deutsch kann, dass ich so gut Deutsch | |
kann, dass es tolle oder lustige Haare hat. Diese ganzen übergriffigen | |
Sachen, die sie zu Ihnen nicht sagen, weil sie denken: Das ist ja privat. | |
Bei mir erlebe ich es als Scheu zu interagieren oder als Gleichgültigkeit. | |
Ein Kind, das allein im Bus rumläuft, zu nehmen und zu sagen: „Hey, setz | |
dich doch mal neben mich, damit du nicht umfällst.“ | |
Ich würde genau das im Bus machen. Ich wohne aber auch nicht hier im | |
Hamburger Westen. | |
Welchen Unterschied macht das? | |
Hier ist es halt superweiß. | |
9 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hfbk-hamburg.de/de/service/pressemitteilungen/Stipendien-fuer-n… | |
[2] https://intersektionaldeutsch.com/ | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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