# taz.de -- Gespräch unter Kopftuchträgerinnen: „Wer ist die Frau darunter?… | |
> Muslimas und katholische Nonnen tragen Kopftuch. Aber die Reaktionen | |
> darauf sind unterschiedlich. Schwester Ursula und Fatima El Sayed im | |
> Gespräch. | |
Bild: Die katholische Ordensschwester Ursula Hertewich und die Muslima Fatima E… | |
taz am wochenende: Frau El Sayed, Schwester Ursula, Sie gehören | |
unterschiedlichen Religionen an, bedecken aber beide Ihre Haare. Wie ist | |
es, wenn Sie einander so sehen? | |
Schwester Ursula: Ich habe sofort gedacht: Was für eine sympathische, | |
schöne Frau. | |
Fatima El Sayed: Ich spüre gleich eine Verbundenheit. Mir ist bewusst, dass | |
wir aus verschiedenen Kontexten kommen. Aber es gibt ein Gefühl von | |
Gemeinsamkeit und Solidarität, auch wenn wir uns noch nicht kennen. | |
Wie kam es, dass Sie Schleier und Hijab tragen? | |
El Sayed: Ich bin in einer religiösen Familie groß geworden und habe mich | |
früh mit dem Thema auseinandergesetzt. Mit 14, 15 habe ich entschieden, | |
dass ich Kopftuch tragen möchte. Meine Eltern waren nicht begeistert. Die | |
wissen um die Politisierung des Kopftuchs und die potentiellen Konflikte, | |
die daraus erwachsen. Dadurch konnte ich aber viel für mich klären. Mir war | |
klar, dass ich auf Widerstände stoßen würde. Aber das Tuch war Ausdruck | |
eines inneren Prozesses und meiner Identität. | |
Sie haben es dann einfach aufgesetzt? | |
El Sayed: Als ich in den Sommerferien in Großbritannien war, um mein | |
Englisch zu verbessern, habe ich es zum ersten Mal getragen. Die | |
Gesellschaft dort ist multikultureller, es war einfacher. Nach den Ferien | |
bin ich mit Kopftuch zurück an die Schule. | |
Schwester Ursula: Für mich war es ein langer Weg. Ich hatte durch mein | |
Elternhaus einen freien, liberalen Zugang zum Glauben und war sehr früh | |
sehr begeistert in der Kirche engagiert. Aber immer war klar: alles, nur | |
nicht Kloster. Das war der Inbegriff einer Lebensform, die von Verboten | |
geprägt ist. Da war der Gedanke: Du darfst nichts mehr, was Spaß macht, und | |
musst nur noch Regeln befolgen. | |
Was hat Sie am Ende umdenken lassen? | |
Schwester Ursula: Ich habe dann als Apothekerin gearbeitet, dachte aber | |
immer: Was mir wirklich wichtig ist, kommt in meinem Leben zu wenig vor. | |
Als ich zum ersten Mal auf den Arenberg in Koblenz gekommen bin, fand ich | |
die Art und Weise, wie die Schwestern dort Glauben leben und teilen, so | |
powervoll, dass ich dachte, Wahnsinn, die machen genau, wonach du dich | |
sehnst. Mit 30 bin ich eingetreten, ein Jahr später wurde ich eingekleidet. | |
Ich habe meine Jeans in der Sakristei abgelegt und war ab sofort mit | |
Schleier unterwegs. Das war trotz allem ein harter Schritt. | |
Der Schleier als notwendiges Übel? | |
Schwester Ursula: Ja. Dass sich dieser Orden für ein Kleid entschieden | |
hatte, war die bittere Pille, die ich geschluckt habe. Ich musste mich | |
dadurch aber auch damit auseinandersetzen, dass jetzt alle sehen, was mir | |
heilig ist. Interessant war, dass das schon am Tag nach der Einkleidung | |
kein Thema mehr für mich war. Ich trage nach außen, was ich liebe. | |
Wie waren die Reaktionen? | |
Schwester Ursula: Durchweg positiv. Das habe ich sofort gespürt, als ich | |
auf die Straße gegangen bin. Menschen vertrauen mir ihren Koffer an, damit | |
ich kurz darauf aufpasse. Oder es entstehen gute Gespräche. In besonders | |
katholischen Gegenden wie zum Teil in Bayern werde ich manchmal auch zum | |
Kaffee eingeladen, was ich aber ziemlich daneben finde. | |
Was stört Sie? | |
Schwester Ursula: Es gibt Leute, die es viel nötiger hätten, eingeladen zu | |
werden. Ich möchte nicht in den Himmel gehoben werden, nur weil ich | |
Schwester bin. Da wird eine Heiligkeit in mich reininterpretiert, die echt | |
nervt. Aber ein zugewandtes Vorschussvertrauen, das finde ich schön. | |
El Sayed: Das gibt es bei mir leider nicht, im Gegenteil. Ich musste mich | |
von Anfang an rechtfertigen. Schon auf dem Gymnasium war ich die Einzige | |
mit Kopftuch. Mit Freundinnen habe ich darüber diskutiert, ob sie noch mit | |
mir befreundet sein wollen. | |
Wie ist das heute? | |
El Sayed: Ich wünsche mir manchmal, dass das Kopftuch weniger aufgeladen | |
wäre und ich unbemerkt damit rumlaufen könnte. Ich bin ein offener und | |
positiver Mensch, aber die Anfeindungen, die ich erlebe, perlen nicht so | |
leicht an mir ab. Einmal hat mir jemand „Terroristin“ hinterhergeschrien. | |
Ein andermal hat ein Mann neben mir im Bus in meine Richtung gezischt: „am | |
liebsten vergasen“. | |
Haben Sie reagiert? | |
El Sayed: Nein. Ich war ziemlich schockiert und hatte Angst, dass er | |
übergriffig wird. Ich bin dann einfach sitzen geblieben. Ich räume nicht | |
den Platz, nur weil mich jemand beschimpft. | |
Sind Sie schon mal körperlich angegriffen worden? | |
El Sayed: Nein, aber Frauen in meinem Umfeld schon. Wie krass es ist, kommt | |
auch auf die Nachrichtenlage an. Wenn mediale Diskurse hochkochen, | |
angeheizt durch Thilo Sarrazin zum Beispiel, oder als es wie vor vier | |
Jahren die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht gab, ist die Situation | |
für erkennbare Musliminnen schwerer. | |
Ist es auch eine Frage des Ortes, wie Ihnen begegnet wird? | |
Schwester Ursula: Ich werde in Berlin total oft für eine Muslima gehalten. | |
El Sayed: In Berlin empfinde ich es grundsätzlich als angenehmer als | |
beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, wo ich aufgewachsen bin. Ich werde | |
zwar angepöbelt, aber gleichzeitig gibt es Menschen, die im Zweifelsfall | |
Zivilcourage zeigen. Auch der soziale Raum spielt eine Rolle: In | |
akademisierten Kreisen ist es enorm schwer, sich als kopftuchtragende Frau | |
zu behaupten. Für viele ist das Tuch befremdlich. Mir wird Urteilsfähigkeit | |
abgesprochen oder Bildung. | |
Schwester Ursula: Das passiert mir auch. Wenn ich mich dann als halbwegs | |
intelligent erweise, sind die Leute überrascht. Im Kloster und trotzdem was | |
in der Birne. Das finde ich schon krass. | |
El Sayed: Wenn ich mit Menschen persönlich spreche, ist es einfacher. Aber | |
erst mal herrscht ein mediales Bild von der naiven und ungebildeten | |
Muslima, das mir keine Individualität ermöglicht. Die muss ich mir immer | |
erst erkämpfen. | |
Hatten Sie durch das Kopftuch konkrete Nachteile zum Beispiel in der | |
beruflichen Laufbahn? | |
El Sayed: Ja. Ich wollte Lehrerin werden. Aber die Lage war damals sehr | |
angespannt, es gab den Prozess um Fereshta Ludin, die vor dem | |
Bundesverfassungsgericht geklagt hatte, um im Unterricht Kopftuch tragen zu | |
dürfen, und verlor. Ich wollte damals ein Praktikum an einer Schule machen, | |
die entschied, dass ich das mit Kopftuch nicht dürfe. Das war der erste | |
Schlag ins Gesicht. Danach dachte ich, nee, das tue ich mir nicht an. Ich | |
habe mich dann anderweitig orientiert. | |
Wie würden Sie es erklären, dass die eine beleidigt wird und Nachteile | |
durch das Kopftuch hat, die andere aber nicht? | |
Schwester Ursula: Menschen suchen Sündenböcke. Wenn eine Frau etwas | |
verkörpert, was auch mit Bösem in Verbindung gebracht wird – sei es | |
islamistischer Terrorismus, seien es Kinderschänder in der katholischen | |
Kirche –, dann ist es leicht, mit Schimpftiraden anzufangen. | |
Das muslimische Kopftuch steht viel stärker in der Kritik. | |
El Sayed: Das bewegt sich in einem anderen historischen Kontext. Wenn wir | |
uns die Entwicklung des Christentums und des Islams in Deutschland | |
anschauen, ist das Christentum ganz anders verwurzelt. Der Islam wurde im | |
Zuge von Kolonialismus und Imperialismus immer auch als das Fremde, das | |
Bedrohliche dargestellt und wird heute oft auf seine extremistischen | |
Auswüchse reduziert. In diesem Kontext werden Muslimas in Mithaftung | |
genommen für Taten, die sie nicht begangen haben. | |
Kann es auch daran liegen, dass das Christentum den Schleier nicht allen | |
gläubigen Frauen vorschreibt, der Islam aber schon? | |
Schwester Ursula: Die Gefahr von Unfreiheit und Unmündigkeit gibt es in | |
allen Religionen. Bei meinem Schleier ist sie nur auf den ersten Blick | |
nicht so ersichtlich. Für viele gehöre ich halt zu den paar Verrückten, die | |
den Schleier noch freiwillig anziehen, weil der Orden es so will. Und im | |
Islam ist es eben die Regel. | |
Wo sehen Sie die Gefahr der Unfreiheit im Christentum? | |
Schwester Ursula: Manche Menschen möchten die Freiheit, die von Gott | |
geschenkt ist, gar nicht wahrnehmen. Heute ist vieles sehr beliebig | |
geworden, dadurch nehmen wiederum extreme Tendenzen zu. Auch ein | |
frömmelnder, rigider Katholizismus wird wieder attraktiver, der erlaubt und | |
verbietet oder auch bestraft. Ich finde das erschreckend. Aber sein | |
Gewissen anzuschalten und selbst zu urteilen, was gut ist und was schlecht | |
ist, ist anstrengender, als nach starren Regeln zu handeln. | |
El Sayed: Wenn wir den Rechtsruck und antimuslimischen Rassismus in | |
Deutschland sehen, wird klar, dass Einfachheit bequemer ist als Vielfalt | |
und Komplexität. Beides erfordert die Fähigkeit, auch Spannungen aushalten | |
zu können. Schubladen machen das leichter. | |
Trotzdem: Da ist Zwang, das Kopftuch zu tragen. Oder? | |
El Sayed: Ich sehe in meiner Religion sehr viele Freiheiten. Ich empfinde | |
das Tuch nicht als einschränkend – es gibt mir Sicherheit. Es nimmt mir | |
auch Druck, zum Beispiel den, mich einem oberflächlichen Schönheitsideal zu | |
unterwerfen. Und es ist ein Ausdruck von Schlichtheit: In einer komplexen | |
Welt werde ich durch meine Religion aufgefangen. Ja, klar, auch in | |
Religionsgemeinschaften sollte der Anspruch da sein, alle Menschen so leben | |
zu lassen, wie sie möchten. Daran können und müssen wir arbeiten. Aber wenn | |
ich mich für meine Religion entscheide, weiß ich, worauf ich mich einlasse | |
und tue das aus Überzeugung. Ich finde es problematisch, religiösen Frauen | |
diese Entscheidungsfreiheit abzusprechen. | |
Schwester Ursula: Die Menschen, die wirklich Ernst machen mit ihrer | |
Religion, die ihren Glauben leben, sich aber hinterfragen lassen, sind oft | |
sehr unaggressiv. Suchende Menschen kommen sich nah. Die Gefahr geht von | |
denen aus, die angstgesteuert Halbwahrheiten verbreiten, sich darin | |
einmauern und sich Fragen nicht stellen. So funktioniert Leben nicht. So | |
entsteht Fundamentalismus. | |
El Sayed: Das würde ich unterschreiben. | |
Legitimieren Sie nicht auch problematische Positionen innerhalb Ihrer | |
jeweiligen Religion, indem Sie Schleier und Hijab tragen? | |
El Sayed: Ich verwehre mich dagegen, als Individuum dafür in Haft genommen | |
zu werden, was von bestimmten Gemeinschaften innerhalb einer Religion | |
propagiert oder vollzogen wird. Warum muss ich mich rechtfertigen, wenn es | |
einen Anschlag gab? Wie kommen Menschen darauf, dass ich eine Verbindung | |
zum Iran oder der Türkei habe? Offenbar gibt es gesellschaftliche Ängste | |
und Unsicherheiten – und ich bin eine erkennbare Projektionsfläche dafür. | |
Ich finde das kurios. Ich gehe ja nach rechtsextremen Anschlägen auch nicht | |
auf weiße Männer zu und sage, na los, bezieht mal Stellung. | |
Schwester Ursula: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Welt durch unser | |
Leben und unser Zeichen heiler werden kann. Wir ziehen ein Ordenskleid an, | |
weil wir erkennbar und ansprechbar sein wollen. Die Frage ist, wer ist die | |
Frau unter dem Schleier? Was macht die aus? Natürlich gibt es darunter | |
unfreie Menschen. Aber es gibt eben auch extrem freie. Ich habe selten so | |
freie Menschen kennengelernt wie im Kloster. | |
Was macht diese Freiheit aus? | |
Schwester Ursula: Viele Menschen draußen streben nach einer Vogelfreiheit, | |
in der sie sich an nichts halten müssen. Die macht sie aber nicht | |
glücklich, weil sie nicht wissen, wo sie hingehören. Die Freiheit, die im | |
religiösen Kontext geschenkt wird, bedeutet Bindung. Das macht glücklich. | |
Schwester Ursula, fühlen Sie sich angesprochen, wenn alle paar Monate die | |
Diskussion ums muslimische Kopftuch hochkocht? | |
Schwester Ursula: Schon, ja. Weil ich weiß, was es mit mir machen würde, | |
wenn es verboten würde. Ich will mir nicht vorschreiben lasse, was ich | |
trage, das ist eine private Entscheidung. Außerdem liebe ich es, wenn | |
Religionsgemeinschaften erkennbar unterwegs sind. Ich mag das bei Juden, | |
Buddhisten, Muslimas. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich das Kopftuch | |
nach und nach normalisiert. | |
Weil sich die Gesellschaft daran gewöhnt? | |
Schwester Ursula: Wir Ordensfrauen sterben aus. Wenn ich eine Schwester auf | |
der Straße sehe, grüßen wir uns, als würden wir uns ewig kennen. Im Moment | |
gibt es in Deutschland noch 3000 von uns, die wenigsten davon tragen ein | |
Kleid. In den 60ern waren es Millionen. Das Bild einer Nonne wird von | |
vielen Menschen einer älteren Generation noch als vertraut wahrgenommen. | |
Das kann auch im Fall des Kopftuchs passieren. Ich finde das gar nicht | |
problematisch. | |
Auch Feministinnen diskutieren das muslimische Kopftuch. Manche sagen, | |
Frauen sollten selbst entscheiden, ob sie es tragen wollen. Andere lehnen | |
es ab, weil es für patriarchale Unterdrückung steht. Haben Sie dafür | |
Verständnis? | |
El Sayed: Die Fragen, die gesellschaftlich aufgeworfen werden, sagen oft | |
mehr über die Gesellschaft aus als über die Subjekte, über die gesprochen | |
wird. Frauen aus feministischer Sicht ein Kopftuch abzusprechen, ist doch | |
selbst total paternalistisch. Da geht es nicht um mein Wohlergehen oder um | |
die Perspektive von Frauen, die Kopftuch tragen. Da geht es darum, wie die | |
Gesellschaft Frauen mit Kopftuch wahrnimmt. | |
Schwester Ursula: So darfst du sein, so darfst du nicht sein – davon müssen | |
wir wegkommen. | |
El Sayed: Wie oft kommen wir in den Nachrichten vor? Die Debatte wird über | |
unsere Köpfe hinweg geführt. Ja, es gibt einige sehr junge Mädchen mit | |
Kopftuch, was problematisch sein kann. Aber hierzulande sind deutlich mehr | |
Frauen mit Kopftuch von Rassismus und einer gravierenden | |
Chancenungleichheit betroffen. Wem wirklich an den Opfern gelegen ist, der | |
reagiert nicht mit Verboten. | |
Würden Sie sich als Feministinnen bezeichnen? | |
Schwester Ursula: Ich bin emanzipiert. Ich weiß, wer ich bin, was ich kann, | |
woher ich komme und wohin ich gehe. Außerdem bin ich eine leidenschaftliche | |
Kämpferin für Frauenrechte. Anfang März wäre ich gern zur | |
UN-Frauenkonferenz nach New York geflogen, die wegen Corona leider nicht | |
wie geplant statt gefunden hat. | |
El Sayed: Ich verstehe mich schon konkret als feministisch. Ich sehe mich | |
aber weniger im Kontext des deutsch-weißen Feminismus, den ich oft | |
einseitig finde und der People of Colour oder Menschen mit | |
Migrationsgeschichte kaum einbezieht. In Bezug auf das muslimische Kopftuch | |
ist oft der Vorwurf, das sei nicht mehr zeitgemäß. Für mich ist das immer | |
wieder ein Gefühl von Fremdsein. Ich werde nicht anerkannt. Der | |
muslimisch-intersektionale Feminismus denkt mehr Dimensionen von Identität | |
mit, das repräsentiert mich eher. | |
Adressieren Sie den Antifeminismus in beiden Religionen? | |
Schwester Ursula: Es ist unsere Aufgabe, auch in Religionsgemeinschaften | |
den Finger in die Wunde zu legen, laut zu werden und uns einzusetzen. Das | |
mache ich intensiv. Aber Geschlechterungerechtigkeit gibt es ja nicht nur | |
in Religionen. Ich erlebe das nicht stärker in der Kirche als in der ganzen | |
Gesellschaft. | |
Es gibt meines Wissens keine weltlichen Jobs, die Frauen nicht antreten | |
dürfen. | |
Schwester Ursula: Das stimmt, das ist ein spezifisch katholisches Problem, | |
da arbeiten wir dran. Aber wie mit Frauen in dieser Welt umgegangen wird, | |
ist doch global dramatisch. Ich finde es eine Unverschämtheit, das den | |
Religionen zuzuschustern. Ja, die katholische Kirche steht noch am Anfang, | |
was Frauenrechte angeht. Aber es gibt einen intensiven Dialog. | |
Geschlechterungerechtigkeit ist kein religiöses Problem. | |
El Sayed: Klar, innerhalb von Religionsgemeinschaften wird sie religiös | |
begründet. Aber es gibt auch muslimisch-feministische Koranexegese, die | |
Texte reinterpretiert. Das ist sehr inspirierend. Aber das wird von der | |
deutschen Mehrheitsgesellschaft so nicht wahrgenommen. | |
Schwester Ursula: Ich habe übrigens oft den Eindruck, dass es für viele | |
Männer kaum zu ertragen ist, dass wir im Kloster einfach so ohne sie | |
glücklich werden. Wir bekommen auch keine Kinder, was für viele | |
Ordensfrauen durchaus eine sehr schwere Entscheidung ist. Frauen im Kloster | |
waren schon immer emanzipiert. Auch früher, als es für sie noch nichts gab | |
außer Heirat, gab es das Kloster, in dem sich extrem tolle Frauen fanden. | |
Die haben für unsere Rechte sehr viel geleistet. Und sie haben sich nicht | |
von irgendeinem Mann sagen lassen, wie sie ihr Leben gestalten. | |
Darf ich fragen, wer Sie ohne Kopftuch kennt? | |
El Sayed: Meine Familie. | |
Schwester Ursula: Meine Familie und die Arenberger Schwestern. Ab und zu | |
auch Gäste im Kloster. Und zum Sport gehe ich in zivil. | |
Wäre ein Leben ohne Kopftuch für Sie vorstellbar? | |
El Sayed: Das kommt auf den Grund an. Wenn es eine innere Überzeugung wäre, | |
klar. Aber für mich ist es eine Dimension meiner Beziehung zu Gott. Das | |
Ablegen des Tuchs wäre ein Verlust. Wenn mir das jemand vorschreiben | |
wollte, würde ich mich wehren. | |
Schwester Ursula: Ich habe einen durchaus nüchternen Zugang zum Schleier. | |
Ich finde es beispielsweise auch ganz angenehm, mir nicht jeden Tag | |
Gedanken um meine Frisur machen zu müssen. Wenn mir Menschen oder der Staat | |
vorschreiben wollten, ihn abzulegen: Rebellion. Aber wenn wir in der | |
Gemeinschaft beschließen würden, dass wir keinen Schleier mehr anziehen, | |
weil wir zum Beispiel anders auftreten wollen – das wäre für mich total | |
okay. | |
Das Gespräch wurde per Videotelefonat geführt. | |
7 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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