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# taz.de -- Leben in abgeschiedener Gemeinschaft: Von Klosterfrauen erprobt
> Für die einen ist häusliche Isolation schwer zu ertragen, für die anderen
> ein selbstgewählter Lebensstil. Besuch im Frauenkloster St. Johann.
Bild: Im Klostergarten von St. Johann in Müstair
In die eigenen vier Wände verbannt – mit Homeoffice, Workout neben dem Sofa
und Kontaktpflege per WhatsApp, Facebook oder Skype. Ob als Single, in der
Wohngemeinschaft oder mit der Familie – für viele ist die häusliche
Isolation schwer zu ertragen. Ganz anders für Domenica Dethomas. Seit
Jahrzehnten lebt die Ordensschwester im Kloster St. Johann in einem
entlegenen Winkel der südöstlichen Schweiz. In strenger Klausur. Die
altehrwürdigen Gemäuer darf sie nur in Absprache mit der Priorin verlassen.
Und nur, wenn sie einen triftigen Grund hat. Wie kann man sich freiwillig
zu so etwas verpflichten? Lebenslanger Stubenarrest?
Das Kloster, das heute zum Weltkulturerbe der Unesco gehört, steht nur ein
paar Minuten Fußweg von ihrem Elternhaus entfernt in Müstair nahe der
italienischen Grenze. „Es hatte früher einen Kindergarten“, erzählt sie.
„Da bin ich als kleines Kind bei einer Schwester gewesen, und dann habe ich
zu Hause gesagt: Wenn ich groß bin, möchte ich so werden wie Sor Angela.“
Doch ihr Weg führte nicht geradewegs in den Benediktinerorden. „Das war mir
viel zu streng“, erinnert sich Schwester Domenica. „Ich wusste ja, was auf
mich zukommt, und da waren viele Sachen, die mir nicht so passten. Also
dieser Gehorsam zum Beispiel.“ Vier Jahre lang hat sie die Entscheidung vor
sich hergeschoben. Als sie mit 25 Jahren in den Orden eintrat, sah sie für
sich keinen anderen Weg.
„Die Ehe habe ich schon in Erwägung gezogen. Aber ich habe gedacht: Nein,
das ist doch nichts für mich, immer beim Gleichen. Wobei ich jetzt ja auch
immer beim Gleichen bin“, lacht sie. Was sie vor allem am Leben im Kloster
überzeugte, war der Gedanke, in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu
leben. „Wenn das stimmt, ist es wie eine Familie, die funktioniert. Das
habe ich eigentlich immer gesucht. Das war der Traum, als ich noch meinen
Weg gesucht habe. Und ich bereue nicht, dass ich ins Kloster bin. Denn es
ist wirklich ein Leben für Gott, aber auch für sich und die Mitmenschen.“
Wobei es auch in dem Leben in einer Klostergemeinschaft Höhen und Tiefen
gibt. Die Benediktinerin erzählt von Momenten, wo sie am liebsten in ihr
Elternhaus zurückgelaufen wäre. „Manchmal war ich einfach wütend wegen
einem kleinen Vorkommnis, wo die Oberin mich zur Rechenschaft zog. Man
behält ja sein Temperament, und manchmal ist es schwer im Kloster.“
## Die Schönheit des Val Müstair
Dass sie dennoch solche Situationen gut überstanden hat, mag mit mehreren
Faktoren zusammenhängen. Zum einen mit ihrer Tätigkeit im früheren
Kindergarten des Klosters. 36 Jahre lang übte sie den Beruf der Erzieherin
aus und hatte Kontakt zu Kindern und Eltern aus der Welt jenseits der
Klostermauern. „Ich hatte bis zu 36 Fünf- und Sechsjährige. Das war ein
Unterschied! Wenn ich im Kloster war: heilige Stille, Gebet und Meditation.
Und dann komme ich runter: das pure Leben. Lachen, Schreien, Herumspringen.
Das war ein guter Ausgleich.“
Andererseits trägt auch die Umgebung dazu bei, dass sie sich hier wohl
fühlt. Das Val Müstair, ihre Heimat, ist ein beschauliches Gebirgstal, das
sich mit 80 Prozent biologischer Landwirtschaft der Nachhaltigkeit
verschrieben hat. Müstair selbst ist ein archaisches Dorf, mittendrin die
Chasa Chalavaina, ein etwa 700 Jahre altes Gasthaus, dessen Wirt selbst
längst in Pension gegangen sein könnte.
Das Beeindruckendste ist aber das Kloster selbst: im 8. Jahrhundert von
Karl dem Großen gegründet, nachdem er einen schweren Schneesturm in den
Bergen überstanden hatte. Es ist geschmückt von Fresken aus karolingischer
und romanischer Zeit, die heute zum Weltkulturerbe der Unesco gehören.
Neben dem frühmittelalterlichen Freskenzyklus werden im Klostermuseum über
1.200 Jahre Geschichte, archäologische Funde, Kunstschätze und
klösterlicher Alltag gezeigt.
Die Tatsache, hinter so geschichtsträchtigen Mauern zu leben, die mehr als
ein Jahrtausend Krisen, Kriegen und Naturkatastrophen standgehalten haben,
vermittelt ein Gefühl der Geborgenheit, des Kontinuums in einer
schnelllebigen Zeit. Heute sind die Klöster Besuchermagneten.
## Urlaub für Gestresste
Manche haben den Wunsch, hier länger zu verweilen, um etwas von dem Geist
oder der spirituellen Kraft, die die Ordensgemeinschaften vermitteln, in
ihren Alltag mitzunehmen. Im Umkehrschluss haben viele Klöster ein
Geschäftsmodell daraus gemacht, ihre Gebäude für Besucher zu öffnen.
Wie St. Johann vermieten sie Gästezimmer und bieten mehrtägige Auszeiten
an, bei denen sich Gestresste, Burn-out-Gefährdete in Digital Detox mit
Meditation, Yoga oder Heilfasten, Entschleunigung und anderweitiger Askese
üben können. Das Angebot für Auszeiten im Kloster ist riesig und sie sind
gefragt, auch die seelsorgerische Begleitung.
Viele sehnen sich auch nach der Geborgenheit in einer klösterlichen
Gemeinschaft, die für die Nonne Domenica Dethomas schließlich entscheidend
war, ins Kloster St. Johann einzutreten. Nach einer Gemeinschaft, wo
Ordensschwestern vormachen, wie sie nach den strukturgebenden Ordensregeln
leben. Die alten, aber an heutige Bedürfnisse angepassten
Überlebensstrategien sind durchaus hilfreich. Auch und gerade in
Coronazeiten.
15 Apr 2020
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Tourismus
Kloster
Quarantäne
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Kopftuch
Familie
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