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# taz.de -- Sexismus-Debatte nach Brüderle: Ja, ich will
> Sexismus ist nicht gleich Sex. Die Demonstration von Macht kein
> Liebesspiel. Erotik heißt Gegenseitigkeit. Was gibt es da nicht zu
> verstehen?
Bild: Queere Menschen, Lesben und Schwule: In der Sexismus-Debatte blieb vieles…
Neulich im Backstageraum einer Berliner Musikerin. Das Gespräch kommt auf
die allgegenwärtige Sexismusdebatte. Die Musikerin zitiert eine Bekannte,
und damit könnte ein Punkt der Debatte endlich vom Tisch sein: „Ein Flirt
ist es, wenn beide Seiten mitmachen. Anmache bzw. Belästigung ist es, wenn
es einseitig bleibt.“ Noch Fragen zur Frage: „Wo kommen wir da denn hin,
wenn nun aus Angst vor Sexismus jegliche Form von Flirt verboten wird?“?
Eigentlich nicht.
Doch taz-Redakteur Jan Feddersen scheint diese selbsterklärende Erotik der
Gegenseitigkeit nicht einzuleuchten. In seinem Essay „Das große
Saubermachen“ fragte er: „Lebt Sexuelles im immer flüchtigen Moment nicht
dauernd von Andeutungen, von Zwiespältigkeiten?“
Das klingt schön, wie der Autor das so schreibt. Aber wenn er schon immer
wieder das Beispiel Brüderle bemüht, muss er doch merken, dass ein
Kommentar wie der des Politikers kaum plumper sein könnte und nichts mit
einem werbenden, von gegenseitigen Doppeldeutigkeiten und Andeutungen
genährten Liebesspiel gemein hat: Pralles Dirndl, Punkt.
## Sexistische Platzverweise
Dass über Sexismus laut in der Gesellschaft diskutiert wird, ist gut und
könnte die Türen in so viele Richtungen öffnen. Doch leider reduzieren die
meisten JournalistInnen die Sexismusdebatte immer wieder auf ein Beispiel:
ein männlicher Politiker auf dem Gipfel von Macht und Alter, und eine
ambitionierte junge Journalistin, der der Weg nach oben durch sexistische
Platzverweise versperrt wird.
Dabei wäre doch jetzt der Anlass gegeben, zu erklären, dass es bei Sexismus
weniger um ein missverständliches Liebesspiel als vor allem um eine ganz
alltägliche Form von Machtdemonstration geht.
Eine Machtdemonstration, die eben nicht nur beruflich erfolgreiche Frauen
trifft, die sich mit mächtigen Politikern auseinandersetzen: Sexistische
Sprüche dienen dazu, Frauen durch die Reduktion auf ihr Äußeres und ihr
Geschlecht klarzumachen, dass sie nicht auf Augenhöhe mit ihrem männlichen
Gegenüber stehen. Egal ob in der obersten oder der untersten Büroetage.
## Verquickung von Sexismus und Rassismus
Und wieso kreiste eigentlich immer alles nur um die Eckpfeiler
Mann/Frau/Karriere? Kategorien außerhalb der Geschlechtereinteilung
„Männlein und Weiblein“ fanden in den Debatten keinen Platz. Dabei spielen
sich sexistische Belästigungen nicht nur zwischen „dem alten Lustmolch“ und
„dem jungen Ding“ ab.
Außerhalb der heterosexuellen Matrix sind queere Menschen, Lesben und
Schwule tagtäglich auf der Straße mit sexualisierter Gewalt – die von
blöden Sprüchen bis zur Gefährdung von Leib und Leben reichen kann –
konfrontiert. Wie komplex die Sache bei nichtweißen Frauen oder Queers ist,
fand erst gar keine Erwähnung.
Nirgends kam auch nur ansatzweise zur Sprache, wie brutal die Verquickung
von Sexismus und Rassismus sein kann. Etwa wenn über die „Exotik“ von Women
of Colour schwadroniert wird – oder Musliminnen am liebsten das Kopftuch
vom Haar gerissen würde. Nicht einmal zu einer Diskussion über sexistische
Bilder in den Medien kam es, was durchaus eine Chance gewesen wäre,
individuelle Verhaltensweisen in einen allgemeineren Erklärungskontext zu
stellen.
## Generationen der Brüderle-Nachgeborenen
Allein der Chauvimann wurde kurzfristig in die Defensive gedrängt, aber die
Chance verpasst, eine Diskussion über Sexismus zu führen und darüber,
welche Konsequenzen die Gesellschaft daraus ziehen muss – außer dass sich
die Männer „zurückhalten sollen“. In jeder Talkshow über Sexismus war zu
hören: „Ich würde ja jetzt das und das sagen, aber das darf ich ja nicht
mehr.“
Gesagt ist es damit trotzdem, nur anders. Und genau deshalb wird Jan
Feddersens Zukunftsvision der Realität nicht entsprechen können. „Kein
Mann, schon gar nicht einer aus den Generationen der
Brüderle-Nachgeborenen, wird sich mehr trauen, eine Journalistin, eine Frau
so jovial-mackerhaft anzugraben.“
Ach, genau. Wenn Gesellschaft so funktionieren würde, dann wären ja schon
alle Probleme gelöst. Auch der große antikapitalistische Aufschrei in sogar
den bürgerlichsten aller Medien während der Finanzkrise hat bekanntlich
nicht dazu geführt, dass Banker nun weniger Boni einstreichen.
## Phallische Diktion
Aber Jan Feddersen wird diese Nachricht sicher freuen, denn er wünscht
sich, dass es weiterhin „sprachlose Momente der Überwältigung“ gibt. Wer …
wen überwältigt, wird zwar nicht ausbuchstabiert, ist aber durch die
phallische Diktion völlig klar.
Dumm bloß, wenn Frauen heute keinen Bock mehr darauf haben, den „rund um
die Uhr wabernden erotischen Fantasien, Wünschen, Anmaßungen“, die eben
nicht die ihren sind, nachzugeben. Dafür werden sie vom Autor durch
Vergleiche mit „Autoverkehrsübungsplätzen“, die „vollgestellt mit
Stoppschildern, Verbots- und Gebotsmahnungen“ sind, abgestraft.
In so einem Universum ist es immer noch so, dass Sex in erster Linie etwas
ist, was Männer haben wollen, Frauen bzw. Feministinnen aber nicht
herausgeben, um Erstere dann für ihr Begehren mit ihrer Verzichtsmoral und
ihrem verkniffenen Sauberkeitswahn zu bestrafen.
## Patriarchale Rape Culture
Wie praktisch, dass es Bewegungen wie etwa der Pro-Sex-Feminismus noch
nicht geschafft haben, in solch ein straff geordnetes Weltbild von Leuten,
die doch nur möglichst schnurstracks „ohne Geschnacke schnackseln“ wollen,
einzudringen:
In Publikationen wie dem amerikanischen Sammelband „Yes Means Yes“, die
explizit gegen eine patriarchale Rape Culture vorgehen wollen, wird nun das
Lustvolle der sexuellen Begegnungen, das Aufregend-Gemeinschaftliche statt
das „No“ von älteren Antipornografiekampagnen in den Vordergrund gestellt.
Was aber nicht bedeuten soll, dass Personen, die sich allem Sexuellen gern
verweigern wollen, nicht das gleiche Recht auf ein deutliches Nein
angesichts plumper Belästigung hätten. Wie auch all jene miteinander in die
Kiste springen sollen um sich dort zu streicheln, auszupeitschen oder zu
tun, was auch immer den beiden, dreien, vieren in diesem Moment Freude
macht – wenn sie denn Ja gesagt haben.
## Verkehrte Unterdrückungsrelationen
Jan Feddersen bedient sich des ältesten Tricks aus der Mottenkiste, um die
berechtigten Forderungen von Frauen nach Gleichbehandlung zu
diskreditieren. Er stellt diese Frauen als lustfeindlich dar und verkehrt
die Unterdrückungsrelationen:
Denn nicht die Frauen, die sexuell belästigt werden, sind diskriminiert –
sondern alle anderen (sprich: die Heteromänner), die nun nicht mehr, ohne
zu fragen, beherzt zugreifen dürfen.
Dass wir immer noch mit solch reaktionären und letztendlich lustfeindlichen
Haltungen konfrontiert werden müssen, ist ein wahrer Turn-off – denn Lust
kann nur da sein, wo alle Beteiligten Lust haben.
28 Feb 2013
## AUTOREN
Missy Magazine
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