# taz.de -- 50 Jahre „Eichmann in Jerusalem“: Der Verwaltungsmassenmörder | |
> Bei der Konferenz „Judgement in Extremis“ wurde in Berlin über Hannah | |
> Arendt und ihren Begriff der „Banalität des Bösen“ diskutiert. | |
Bild: Zeitungstitel über Eichmann: Sie waren Teil einer Ausstellung über Eich… | |
Im Jahr 1963, vor 50 Jahren, publizierte Hannah Arendt „Eichmann in | |
Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“, ein Jahr später folgte | |
die deutsche Erstausgabe. Das Buch basiert auf einer Serie von Artikeln, | |
die Arendt 1961 als Berichterstatterin für The New Yorker über den Prozess | |
gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann schrieb. | |
In den Kontroversen, die die Veröffentlichung auslöste, mutierte der | |
Untertitel zum geflügelten Wort. Doch den Schock, den die Formel von der | |
Banalität des Bösen auslöste, hatte Arendt nicht vorhergesehen. „Wie | |
monströs die Taten auch waren, der Täter war weder monströs noch | |
dämonisch“, schrieb sie und: „Es war keine Dummheit, sondern eine seltsame, | |
ganz authentische Unfähigkeit zu denken.“ | |
Bis heute wird ihr darum die Verharmlosung von Eichmanns Rolle bei der | |
Vernichtung der europäischen Juden vorgeworfen. Doch weder dessen | |
Charakterisierung als „Verwaltungsmassenmörder“ noch der Streit um | |
historische Genauigkeit erklären die Heftigkeit der Reaktionen. | |
## Philosophische Intervention ins Weltgeschehen | |
Zum 50. Jahrestag der Erstveröffentlichung diskutierten am 17. Mai | |
Historiker und Philosophen bei dem vom European College of Liberal Arts | |
Berlin und dem New Yorker Hannah Arendt Center organisierten Konferenz | |
„Judgment in Extremis“ im ICI Berlin über den Stand der Forschung. Denn | |
obwohl „Eichmann in Jerusalem“ nun als Musterbeispiel einer philosophischen | |
Intervention ins Weltgeschehen gilt, reißen die Debatten um das Buch nicht | |
ab. | |
„Für Arendt verschleierte die gängige Darstellung Eichmanns als ’Monster�… | |
den wahren Kern seiner Boshaftigkeit, seiner moralischen Feigheit und damit | |
auch seines Anteils an einem unmenschlichen Verbrechern“, sagte der | |
Direktor des Hannah Arendt Centers New York, Roger Berkowitz. Die | |
Philosophin betonte immer, Kants Vorstellung von Willensfreiheit folgend, | |
dass Eichmann sich hätte anders entscheiden können. Frei sprach sie | |
Eichmann also nicht. | |
Im Gegenteil: Am Ende folgt sie dem Todesurteil des Gerichts. „Eichmann in | |
Jerusalem“ endet mit der Wiederholung der Worte des Richters. Der Philosoph | |
Christoph Menke bezeichnete dies als „Revisionsprozess des Prozesses“. | |
Niemandem, so Arendt, könne zugemutet werden, mit jemandem zusammenzuleben, | |
der sich anmaßte, zu entscheiden, wer die Erde bewohnen solle und wer | |
nicht. | |
Inwiefern können nun aus Arendts Gedanken zum Prozess Lehren gezogen | |
werden? Schließlich stellen sich auch heute Fragen nach der Verantwortung | |
für Genozide und danach, wie das Böse gesühnt und Recht gesprochen werden | |
kann. | |
„Das konfrontiert uns immer wieder mit der Frage, wie mit denen, die im | |
staatlichen Auftrag Massenmorde begehen, umgegangen werden soll“, so | |
Berkowitz. Arendt selbst hatte argumentiert, dass das Gesetz vor Verbrechen | |
dieser Dimension kapituliere. Der Einfluss von Gerichten, auch der des | |
Internationalen Strafgerichtshof und der Ad-hoc-Tribunale ist begrenzt. | |
## Unentdeckte Neonazis | |
In Deutschland kann dies zurzeit beobachtet werden. Seyla Benhabib, | |
Professorin für politische Theorie an der Yale University, fragte sich | |
anlässlich des NSU-Prozesses, wie Neonazis jahrelang unentdeckt morden | |
konnten. „Das ist eine Frage der politischen Kultur“, empörte sie sich. | |
„Lasst das nie wieder zu.“ | |
Aus heutiger Perspektive ist vor allem die Rezeption von „Eichmann in | |
Jerusalem“ interessant. Insbesondere deutsche Historiker zeigten zunächst | |
kaum Interesse am Eichmann-Prozess. Umso harscher reagierten sie auf | |
Arendts Texte: Sie arbeite unwissenschaftlich, wegen der Kritik am | |
deutschen Widerstand wurde ihr „amerikanische Ignoranz“ vorgeworfen, ihr | |
Schreibstil wurde diskreditiert. | |
Statt ihr als entscheidende Stimme im Umgang mit dem Menschheitsverbrechen | |
Gehör zu verschaffen, wurde eine Debatte verweigert. „Das hatte weniger mit | |
dem Buch zu tun als mit der Dominanz einer Elite, deren Wurzeln im Dritten | |
Reich liegen“, resümiert die Historikerin Annette Weinke. | |
Bemerkenswert ist allerdings, dass die Anfeindungen nicht nur von Altnazis | |
kamen. Immer wieder äußerten sich auch liberale Intellektuelle über Arendt | |
als Frau, spekulierten über ihren Lebensstil – wie etwa Hans Mommsen in | |
seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe. | |
Hier verbirgt sich ein Subtext, der auch 50 Jahre nach dem Beginn der | |
Kontroverse um Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ nicht aufgearbeitet | |
wurde. | |
21 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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