# taz.de -- Krimi-Reihe „Bruno, Chef de police“: „Ich wäre gerne mehr wi… | |
> Martin Walker ist Schotte und leitet einen US-Thinkthank. Im Sommer lebt | |
> er in Frankreich und hat mit Dorfpolizist Bruno einen amüsanten Ermittler | |
> erschaffen. | |
Bild: So schaut das Perigord aus und hier könnte denn auch Bruno, Chef de poli… | |
Auf dem Berliner Kurfürstendamm scheint die Sonne. Im legeren Karohemd, | |
leicht gebräunt und entspannt sitzt Martin Walker dort im Café und sieht | |
tatsächlich aus wie jemand, der die Sommer in der Provence verbringt. Es | |
ist noch früh am Morgen und Walker muss sich erst mal eine Zigarette | |
anzünden. | |
In Deutschland kennt man ihn als erfolgreichen Krimiautor, doch eigentlich | |
ist Martin Walker ein Vollblutjournalist. Mehr als 25 Jahre lang war er | |
Korrespondent der britischen Tageszeitung The Guardian, schrieb Sachbücher | |
über den Kalten Krieg und eine Biografie Bill Clintons. Geschichte | |
studierte er in Oxford, dann in Harvard. Heute leitet der gebürtige Schotte | |
einen wirtschaftspolitischen Thinktank in Washington, D.C. | |
Vor 15 Jahren dann zog Walker mit seiner Familie nach Südfrankreich, wo er | |
seither die Sommermonate verbringt. Erst dort, in seiner französischen | |
Wahlheimat, dem Périgord, wurde der Journalist zum Krimiautor und die | |
kleine Ortschaft, in der er lebt, zum Zentrum einer ganzen Krimiserie. „Ich | |
wollte immer über diese Region schreiben“, erzählt der Autor. | |
So entstand 2008 der erste Kriminalroman mit dem sympathischen | |
Dorfpolizisten „Bruno, Chef de police“ in der Hauptrolle. „Femme fatale“ | |
ist bereits der fünfte Bruno-Roman, im Frühjahr erschien er bei Diogenes | |
auf Deutsch und hält sich seit Wochen unter den vorderen Plätzen der | |
Spiegel-Bestsellerliste. | |
## Jedes Jahr ein neuer Bruno-Roman | |
Jedes Jahr legt Walker einen neuen Bruno-Roman vor und jedes Jahr kommt er | |
nach Deutschland, wo seine Romane mit über 500.000 verkauften Exemplaren | |
gerne gelesen werden, um auf Lesetour zu gehen – „immer zur Spargelsaison!�… | |
Vielleicht spricht Walker deshalb so gut Deutsch. Während er hier ist, will | |
er jedenfalls täglich ein neues Wort lernen. Auf den letzten Seiten seines | |
Notizhefts stehen die neuen Vokabeln fein säuberlich untereinander. Die | |
Einträge vom Vortag: „Lampenfieber“ und „Rampensau“. Ganz flüssig kom… | |
dieser Satz über die Lippen: „Wenn ich auf die Bühne gehe, habe ich | |
Lampenfieber, aber nach einem Glas Wein bin ich eine Rampensau.“ | |
Seine Liebe zu Südfrankreich entdeckte Martin Walker als Teenager, während | |
eines Schüleraustauschs. „Damals habe ich gedacht: Das ist so exotisch!“, | |
erzählt er. Heute ist dieses Leben Teil seines Alltags. Die Faszination | |
aber ist geblieben. Wenn er den Sommer im Périgord verbringt, erntet er | |
seinen eigenen Salat und füttert die Hühner. „Ich lebe wie Gott in | |
Frankreich“, sagt Walker. | |
Alle Speisen, die er Bruno in seinen Romanen kochen lässt, hat er selbst | |
zubereitet: Rustikales wie Poulet bière au cul, ein Hühnchen, zubereitet | |
auf einer Bierdose, und die Fois gras. Selbst Bruno hat ein Vorbild in der | |
Realität: Piero, ein Freund, den er für dessen Ausgeglichenheit bewundert, | |
auch er ein Polizist. „Er liest die Menschen wie Bücher“, erzählt der | |
Autor, „und er verurteilt sie nicht.“ | |
Das Leben auf dem französischen Dorf, der enge Kontakt der Bewohner, | |
inspirieren Walker. Regelmäßig besucht er die Nachbarn, stöbert auf | |
Dachböden herum und lässt sich Geschichten erzählen. Regelmäßig hilft er | |
auch beim Schlachten. „Ich bin eine ungelernte Kraft und wasche deshalb die | |
Innereien aus“, erzählt er ohne mit der Wimper zu zucken. Solche | |
Erfahrungen fließen in seine Romane ein. | |
## Immer gibt es historische Abschweifungen | |
Dass er Historiker ist, merkt man nicht nur seiner Art der Recherche an. | |
Keines der Bücher kommt ohne historische Abschweifungen aus, ohne einen | |
Blick in die Geschichte des Périgord etwa, wo in den Vierzigern die | |
Résistance besonders stark war. Diese Mischung aus leicht bekömmlicher | |
Unterhaltung und einem anspruchsvollen Spaziergang durch Frankreichs | |
Geschichte macht den Reiz der Bruno-Serie aus. | |
So auch beim aktuellen Krimi „Femme fatal“. Der Roman startet klassisch und | |
langsam: In Saint Denis wird eine Frauenleiche gefunden, wunderschön, nackt | |
und mit Pentagrammen beschmiert. Im ersten Drittel plätschert die Handlung | |
so dahin, Walker ergeht sich in idyllischen Dorfszenen, es wird | |
beschrieben, wie die Nachbarn einander helfen, es gibt romantische | |
Candle-Light-Dinners und Ausritte in der Abenddämmerung – kurz: Walker | |
idealisiert das Dorfleben. | |
Dies treibt durchaus seltsame Blüten, wenn etwa der sonst so verständige | |
Bruno sich für einen Bauern einsetzt, der seine Frau blutig geschlagen hat | |
– beinahe ironisch, dass der im Laufe der Geschichte sein Leben lassen | |
muss. Und dann nimmt die Geschichte an Fahrt auf. | |
Das Dorfidyll bekommt Risse. Während seiner Ermittlungen stößt Bruno auf | |
politische Strippenzieher, schamlose Neureiche, illegale | |
Immobiliengeschäfte, von denen der Bürgermeister profitiert, sogar das | |
französische Verteidigungsministerium, das schmutzige Rüstungsdeals | |
abschließt, hat seine Finger im Spiel. Und am Ende kommt es zum Showdown in | |
einer Höhle voll Stalagmiten, in der die Antifaschisten im Zweiten | |
Weltkrieg ihre Waffen versteckten. | |
## Smart, lustig, ohne Waffe | |
Nur selten findet man der Krimilandschaft einen positiven Helden, der | |
tatsächlich Spaß macht. Doch der Dorfpolizist Bruno ist smart, lustig, ein | |
guter Koch, mag Tiere und vergöttert Frauen und hat nur kleine | |
Charakterschwächen. Obwohl Polizist, trägt er nicht mal eine Waffe. | |
Gerade in Deutschland liebe man den Antihelden, erklärt Martin Walker: „Die | |
meisten Krimis haben Protagonisten, die Alkoholiker sind. Ich habe einen | |
traditionellen Helden.“ Zärtlich nennt der Autor ihn einen „modernen | |
Asterix“, einer, der sein kleines Paradies verteidigt. | |
Unglaubwürdig? Selbst seine Lektorin frage nach Brunos dunklem Geheimnis, | |
räumt Walker ein. In einem Interview hatte er einmal behauptet, Bruno sei | |
sein persönliches Vorbild. Das mag er so aber nicht stehen lassen. „Ich | |
wäre gerne ein bisschen mehr wie Bruno“, sagt er diplomatisch. | |
Martin Walker liebt es, die große Welt in ihrer Komplexität in das Dorf | |
einfallen zu lassen. Für seine Romane recherchiert er akribisch. 2012 etwa | |
erschien „Schatten an der Wand“, ein historischer Roman, der die Geschichte | |
der prähistorischen Höhlen von Lascaux erzählt: von den 17.000 Jahre alten | |
Wandzeichnungen bis zur Neuzeit. Für diesen Stoff führte er Interviews mit | |
ehemaligen Résistance-Kämpfern, ging in die Archive, durchstöberte Briefe | |
und Reports von US-Soldaten. | |
## Ein junger Araber aus Saint Denis | |
Der siebte Bruno-Roman, an dem Walker gerade sitzt, wird von einem jungen | |
Araber aus Saint Denis handeln, der sich radikalisiert und nach Afghanistan | |
geht. Als er aus dem islamistischen Netzwerk aussteigen möchte und bei den | |
französischen Truppen Zuflucht sucht, kommt es zu einer internationalen | |
Krise. Auch der sechste Krimi wird bald auf Deutsch erscheinen. Wie viele | |
noch folgen? „Das ist meine Rente!“, sagt Martin Walker und lacht. „Ich | |
liebe es, zu schreiben, und das werde ich auch mein Leben lang tun“, | |
schiebt er hinterher. | |
Jeden Tag schreibe er 1.000 Wörter, ganz egal wo: auf einer Konferenz in | |
Tokio, im Zug oder im Flieger zurück nach Washington. Schon nach drei | |
Monaten ist dann die Vorversion eines Romans fertig und die Überarbeitung | |
beginnt. So geht das nun seit Jahren. Über diese intensive Beschäftigung | |
habe sein Protagonist ein Eigenleben entwickelt. Als Walker für „Femme | |
fatale“ aufschreiben wollte, wie eine der tatverdächtigen Frauen Bruno | |
verführt, habe der zu ihm gesprochen: „Er sagte: ’Ich will meine Hose nicht | |
fallen lassen!‘“ Das hat Walker akzeptiert. Schließlich bekommt Bruno | |
genauso viel Fanpost wie sein Schöpfer. | |
Neben dem Historiker und dem Wirtschaftstheoretiker kommt manchmal auch der | |
Journalist in Walker zum Vorschein. Und der spricht gerne über die Lage der | |
Welt. Vor allem der von Europa. Ob das noch eine Zukunft hat? Walker | |
erzählt von der anhaltenden Finanzkrise, von der Tragödie einer ganzen | |
Generation von Südeuropäern, davon, dass sich Europa endlich von der Idee | |
des endlosen Wachstums verabschieden müsse. Wenn er so spricht, werden | |
seine Sätze ganz knapp, er kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Man merkt | |
ihm seinen Beruf an. „Aber ich bleibe ein überzeugter Europäer, im | |
idealistischen Sinne“, sagt Walker dann versöhnlich. | |
Das Beste, was Europa zustande gebracht habe, sei allerdings das | |
Studierendenaustauschprogramm Erasmus. An seinen Kindern habe er sehen | |
können, wie so eine neue Generation herangewachsen sei, die sich von der | |
schweren europäischen Geschichte befreit habe. Das weiß wiederum der | |
Historiker Walker zu schätzen. | |
24 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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