# taz.de -- Krimi-Autor Martin Walker über Russland: „Wir hatten große Hoff… | |
> Bestsellerautor Martin Walker im taz-Gespräch über seine Liebe zum | |
> Périgord, russische Spione und seine Zeit als Korrespondent in Moskau. | |
Bild: Der Krimi-Autor Martin Walker war früher Auslandskorrespondent für den … | |
taz am wochenende: Herr Walker, Sie kommen gerade aus …? | |
Martin Walker: … Frankreich. Normalerweise lebe ich etwa fünf Monate im | |
Périgord. Die meiste andere Zeit in den Vereinigten Staaten, in Washington. | |
Dort war ich Auslandskorrespondent für den britischen Guardian. Das war | |
nach meiner Zeit als Journalist in Moskau. | |
Gerade erscheint mit „Tête-à-Tête“ der vierzehnte Kriminalroman mit dem | |
Ermittler Bruno, Chef de police. Im Deutschsprachigen haben Sie ein | |
Millionenpublikum. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsgeheimnis? | |
Nun, für mich ist das Leben in dem ländlichen Périgord sehr wichtig. Man | |
sieht da Dinge, die man woanders weniger deutlich erkennt oder leicht | |
übersieht. Und auch hier hat vieles mit internationalen Entwicklungen zu | |
tun. | |
Aber es scheint doch ungewöhnlich, dass ausgerechnet ein Schotte, der | |
international viel unterwegs ist, den Deutschen französische Lebensart über | |
Kriminalromane näherbringt? | |
Schon meine Mutter sagte mir, Martin, die Welt ist groß, das Leben kurz, Du | |
musst reisen und so viel wie möglich sehen. Ich bin mit meiner Frau Julia | |
um die halbe Welt gereist. Das Périgord, der Südwesten Frankreichs, | |
beinhaltet vieles von dem, was ich schätze. Mich faszinieren auch die | |
prähistorischen Funde. Ich laufe aus meinem Haus, gehe in eine Richtung und | |
stoße nach kurzer Zeit auf eine der ältesten Grabstätten der Welt. | |
Archäologie und historische Fundorte spielen auch immer wieder eine Rolle | |
in Ihren Kriminalromanen. | |
Man fand hier zum Beispiel die Überreste von Menschen in einem Grab, die | |
vor langer Zeit nach einem würdevoll erscheinenden Ritual bestattet wurden. | |
Es gibt im Périgord diese Höhlen mit wunderschönen Malereien, sie sind | |
20.000 Jahre alt. Die bekanntesten sind die von Lascaux, mit ihren | |
Felsbildern. In einer Höhle sah ich neben Abbildungen von Tiergestalten den | |
Abdruck von Kinderhänden an den Felswänden. Ist das nicht faszinierend? | |
Männer, Frauen und Kinder waren zusammen, während sie Kunst und Wissen | |
schufen. | |
Schreibt es sich mit der Distanz eines Zugereisten vielleicht leichter über | |
Landleben und dörfliche Strukturen? | |
Haha, ich weiß es nicht. Das Périgord fasziniert mich wegen seiner | |
Landschaft, der prähistorischen sowie mittelalterlichen Geschichte. Und | |
natürlich ist das gute Essen und der Wein auch sehr angenehm. | |
Also das klingt alles sehr wohlschmeckend bei Ihnen. Aber man kann | |
vielleicht auch mit positiveren Gefühl über eine Region schreiben, in der | |
man nicht geboren wurde. Oder könnten Sie mit so viel Wärme auch über | |
Schottland schreiben? | |
Ich habe eine Idee für einen schottischen Roman, aber es ist nicht so | |
leicht. Es stimmt wohl. Von Schottland verstehe ich mehr, als man auf den | |
ersten Blick zu sehen meint. | |
Lassen Sie uns über Ihre Zeit in Moskau sprechen. Wann waren Sie für den | |
Guardian dort? | |
Als Korrespondent von Anfang 1984 bis Ende 1988. | |
Gorbatschow und Perestroika? | |
Die sich anbahnende Perestroika. | |
Sie sprechen Russisch? | |
Ja. Später unternahm ich als Journalist weitere Reisen in die Sowjetunion, | |
die dann in den 1990ern zur Russischen Föderation wurde. Ich berichtete von | |
Treffen Bill Clintons mit Boris Jelzin 1993 und 1999. Clinton fand Jelzin | |
damals interessant, aber sagte: Jelzin trinkt zu viel. Clinton hatte ein | |
wenig Sorge vor ganztägigen Treffen mit Jelzin. | |
Sie kannten Clinton gut? | |
Ich kannte ihn von seinen zwei Studienjahren in Oxford, London. Als ich von | |
Moskau als Korrespondent nach Washington wechselte und er Gouverneur von | |
Arkansas war, besuchte ich ihn dort. Er zeigte sich gut informiert, hatte | |
auch mein Buch über Gorbatschow gelesen. | |
Was meinte er? | |
Was wir alle dachten und hofften. Der Kalte Krieg ist mit dem Ende der | |
Sowjetunion endlich vorbei. Clinton sagte, wie ich fand, intelligente | |
Dinge: Schluss mit Atombomben und Raketen. In Zukunft wird die | |
Weltwirtschaft, der Handel sowie die Entwicklung neuer Technologien das | |
Wichtigste sein. Wir blicken in eine ganz neue Zukunft. Wir hatten alle | |
große Hoffnungen. Ich war dann später auch mit Clinton und Jelzin in | |
Helsinki. | |
Das war 1997? | |
Ja. Da schien die Geschichte noch offen. Aber es gab bereits neue | |
Spannungen. Jelzin war für mich der tragische Held. Er hatte den Putsch | |
gegen Gorbatschow und gegen die Demokratisierung abgewehrt. Aber er trank | |
immer mehr. Und seine Familie, seine Umgebung versank in Korruption. Die | |
Hoffnung in Russland ging nun in Richtung einer nationalen Erneuerung, ein | |
„starkes Russland“. Hinter Jelzin lauerten bereits die neuen Oligarchen. | |
Das war alles schon sichtbar? | |
Ja. Genauso wie auch diese Putin-Leute, die alten Seilschaften aus dem KGB, | |
den früheren Diensten der Sowjetunion, die ja weitgehend nun in den neuen | |
Institutionen waren. Sie standen bereit, um Jelzin abzulösen. Ich war 2001 | |
in Ljubljana dabei, als sich Putin und Bush trafen. Man sprach damals von | |
einer vorsichtigen Annäherung. Putin zeigte 2001 bei seinem Treffen Bush | |
ein Kreuz und sagte, dass er es immer bei sich trage. Seine Mutter sei mit | |
ihm immer in die Kirche gegangen. Er war schlau. Bush hat es gefallen. Auch | |
Putins Vorstellungen in der Wirtschaftspolitik mit Sonderwirtschaftszonen, | |
ebenso seine Flat-Tax-Überlegungen. Doch da war schon der zweiten | |
Tschetschenienkrieg, der sehr, sehr hart geführt wurde. | |
Vom Tschetschenienkrieg berichteten Sie aber nicht direkt? | |
Nein, von dort nicht. Die Nachrichten aus Russland verschlechterten sich | |
nun insgesamt. Es gab die Cyber-Attacke der Russen auf Estland 2007. Dann | |
folgte 2008 der Angriff Russlands auf Georgien, mit der Abspaltung von | |
Südossetien und Abchasien. Putin machte deutlich, dass er nicht die | |
Sowjetunion, aber ein großes russisches Reich zurückhaben wollte. Ich habe | |
viele russische und ukrainische Freunde. Die begannen dann in den Westen | |
auszuwandern, nach Großbritannien und die Vereinigten Staaten. | |
Der russische Überfall auf die Ukraine kam für Sie also nicht überraschend? | |
Nein. Leider. Überraschend sind allerdings Stärke und Patriotismus, mit der | |
die Ukraine sich verteidigt. Diese schreckliche russische Armee ist | |
schwächer als angenommen. Und scheint auch nicht sehr kompetent. Aber sie | |
haben so viele Menschen und so viele Waffen, die sie noch in den Krieg | |
schicken können. | |
Es ist eine furchtbare Situation mit sehr hohen Verlusten auf beiden | |
Seiten. Putins Armee begeht große Verbrechen. Wissen die jungen russischen | |
Männer, was sie da tun? | |
Russische Kriegsführung erfolgt immer über den demografischen Faktor. Aber | |
ob sie diese hohen Verluste einkalkuliert haben? Ich habe in der Spätphase | |
der Sowjetunion 1987 und 1988 in Russland Frauen auf der Straße gesehen, | |
die nach ihren in Afghanistan verschollenen Söhnen fragten. Sie waren sehr | |
mutig, haben sich mitten im Zentrum Moskaus auf die Straßen gestellt. | |
Polizei und Armee hatten Skrupel, einzugreifen. 1941 hatte eine sowjetische | |
Mutter fünf Kinder. 1988 waren es durchschnittlich nur noch eineinhalb | |
Kinder. [1][Will eine Mutter, dass ihr einziger Sohn in Afghanistan stirbt? | |
Oder jetzt in der Ukraine?] | |
Haben Sie aktuell Kontakt zu Menschen, die in Russland oder der Ukraine | |
leben? | |
Direkte Kontakte sind schwierig. Internet und Social Media sind blockiert. | |
Also das geht im Moment kaum. | |
In Ihrem vorletzten Roman, „Französisches Roulette“, unterhält sich Bruno, | |
Chef de police in der Kleinstadt Saint-Denis, mit einem Freund aus Paris. | |
Der sagt leicht resigniert: „Die meisten Leute hier in Frankreich wissen | |
überhaupt nicht, dass in der Ukraine Krieg herrscht.“? | |
Diesen Roman hatte ich 2017/18 verfasst. Seit 2014, dem Überfall auf den | |
Osten der Ukraine [2][und Putins Annexion der Krim, gab es einen faktischen | |
Kriegszustand]. | |
Für Ihre Kriminalromane arbeiten Sie auch mit professionellen | |
Rechercheteams zusammen. Ist es eine Übertreibung, die in der Freiheit des | |
Schriftstellers liegt, oder reichen die kriminellen Machenschaften | |
russischer Oligarchen tatsächlich mitunter bis ins beschauliche Périgord? | |
Ein wenig Empirie schadet nie. [3][So viel Journalist bin ich noch immer.] | |
Man konnte in ganz Europa in den letzten Jahren beobachten, wie überall | |
reiche Russen auftauchen, sich prächtige Häuser kaufen, manche gleich einen | |
EU-Pass dazu, ohne hier Steuern zu zahlen. Man hat einen Pass aus Malta, | |
ein Büro in Monaco, eine Villa am Mittelmeer, ein Haus in London und | |
verschiebt die Gelder über Panama, Virgin oder Cayman Inseln. | |
Auch Ihr nun vierzehnter Kriminalroman, „Tête-à-Tête“, mit Bruno als Chef | |
de police von Saint-Denis, ist vor dem jetzigen Kriegsausbruch geschrieben. | |
Doch auch hier führt die Spur zurück in die Zeiten des Kalten Kriegs. Zu | |
einem Mordfall in Verbindung mit der DDR? | |
Mich fasziniert die Geschichte dieser Rosenholz-Dateien. Die Stasi, also | |
die Staatssicherheit der DDR, hatte darin die Leute erfasst, die für sie in | |
Ostdeutschland, aber auch im Ausland für sie gearbeitet haben. Die | |
Rosenholz-Dateien enthalten etwa 350.000 Datensätze. In den Wendezeiten | |
gelangte ein kompletter Datenbestand in den Besitz des amerikanische CIA. | |
Das ist belegt? | |
Ja, das ist Fakt. Vermutlich von einem Stasi-Mitarbeiter verkauft. Mit den | |
Amerikanern befreundete Länder wie Großbritannien, die Bundesrepublik oder | |
Schweden bekamen Kopien, zumindest der für sie relevanten Teile. Nur | |
Frankreich nicht. | |
Warum nicht? | |
Die Beziehungen zwischen französischen Diensten und amerikanischen sind | |
seit Langen relativ schlecht. Man hat sich gegenseitig misstraut, was mit | |
der Politik von Präsident de Gaulle ab 1959 zu tun hat. Rivalitäten und | |
gegenseitige Spionage gab es auch bei der Entwicklung von Waffen- und | |
Atomtechnik. Und es gab in der Geschichte einen prominenten Überläufer. | |
Aber wie kommt die Geschichte nun in das Périgord? | |
Über Umwege, die wir hier nicht alle verraten können. Es hat auch mit | |
Finnland zu tun, einem deutschen Diplomaten, den man irrtümlich für einen | |
russischen Spion hielt. Doch da spielt wieder das Rosenholz-Dossier eine | |
Rolle. Es war sein Bruder, der tatsächlich ein Spion war. Man musste ihn | |
also mit Geld entschädigen, aber seine Karriere war zerstört. Und dann | |
kommt auch ein Franzose ins Spiel. Es ist ja keine Erfindung, dass die | |
Sowjetunion spezielle, abgeschottete Einrichtungen unterhielt, in denen sie | |
ihre Berufsspione von klein auf heranzogen und ausbildeten. Die konnten | |
dann tatsächlich akzentfrei englisch oder amerikanisch sprechen und sich im | |
Ausland als Einheimische ausgeben. Das ist der Hintergrund für einen | |
rätselhaften Fall, der in „Tête-à-Tête“ gelöst werden muss. | |
15 May 2022 | |
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Andreas Fanizadeh | |
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