# taz.de -- Neues Buch von Klaus Theweleit: Götterkult der Eroberer | |
> Nach 14 Jahren meldet sich Klaus Theweleit mit dem „Buch der | |
> Königstöchter“ zurück. Er entlarvt damit die Mythen geschichtsträchtiger | |
> Liebeserzählungen. | |
Bild: „Pocahontas“ erzählt die Liebestragödie während der Gründung Amer… | |
„Pocahontas in Wonderland“ und „You Give Me Fever. Arno Schmidt. | |
Seelandschaft mit Pocahontas“ sind 1999 erschienen. Nun hat der Freiburger | |
Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit mit „Buch der Königstöchter“ | |
nachgelegt. In gewohnter Fülle. Über 700 Seiten umfasst das Buch, unzählige | |
Abbildungen und einen gigantischen Anmerkungsapparat. | |
Klaus Theweleit ist seiner Collagetechnik seit seinem Standardwerk | |
„Männerphantasien“ (1977), in dem er eine psychoanalytische | |
Faschismustheorie anhand der misogynen Einstellung von Männern entwarf, | |
treu geblieben. In weit verzweigten Abhandlungen, mehr assoziativ als | |
logisch verknüpft, kreist er um sein Hauptthema: die Gewalt von Männern | |
gegen Frauen – in Mythos, Realität und Popkultur. | |
Im neuen Band versucht Theweleit nachzuvollziehen, wie koloniale Landnahmen | |
über die Eroberung von Frauen legitimiert werden. Genauer, über die Körper | |
indigener Frauen, die den Kolonisatoren das Überleben und die Beute | |
sicherten. „Ich beschreibe die Grundlagen des heutigen Sexismus“, sagt der | |
Autor im Gespräch. | |
Das Buch beginnt mit dem Gründungsmythos Amerikas, der Geschichte der | |
Häuptlingstochter Pocahontas, die dem Kolonialisten John Smith das Leben | |
gerettet und den Weg für die britische Kolonie Jamestown geebnet haben | |
soll. | |
Eine tragische Liebe: die schöne Indianerin und der weiße Eroberer. | |
Tausendmal erzählt, zum 400. Jahrestag der Jamestown-Gründung von Walt | |
Disney verfilmt, 2009 von James Cameron für seinen Animationsfilm „Avatar“ | |
adaptiert und im Song „Fever“ dutzendfach gecovert: „Captain Smith and | |
Pocahantas / Had a very mad affair / When her daddy tried to kill him / She | |
said ’Daddy, o, don’t you dare / He gives me fever“. Doch die Geschichte | |
von Pocahontas und Captain Smith ist eine Lüge, eine „Deck-Geschichte“, wie | |
Theweleit es nennt. | |
## Auf Eroberungstour der Liebe | |
In der europäischen Geschichtsschreibung, Mythologie und Popkultur gibt es | |
viele solcher Paare: ortsansässige Frauen, entbrannt für die Eindringlinge. | |
Überliefert werden indes die Liebesgeschichten und nicht die Eroberungen, | |
die sie begleiten, nicht die Brutalität der Kolonialisierung. | |
Die Urversion der Überläuferin aus Liebe findet Theweleit in der | |
Mythologie. Medea, die dem Griechen Jason zum Goldenen Vlies verhilft, das | |
im Besitz ihres Vaters, dem Kolcher-König Aites, ist. Und die verlassen | |
wird. Theweleit zeigt von Ovid bis zu Christa Wolf, wie sich die Figur über | |
3.000 Jahre wandelte; aus der Heldin wurde eine Verräterin, aus der | |
Retterin eine Mörderin, bis Medea der Inbegriff der Barbarin ist. „Zur | |
Kindsmörderin wird sie erst bei Euripides“, erklärte Theweleit kürzlich bei | |
einer Veranstaltung im Berliner Brecht-Haus. | |
Aber das Buch greift noch weiter zurück. Theweleit liest die vorhomerischen | |
griechischen Mythen konsequent kolonial. Diese Erzählungen, die die | |
Gräzianisierung des östlichen Mittelmeerraums, die Einwanderung auf das | |
griechische Festland begleiten, handeln nicht einfach von Menschen. In | |
unzähligen Varianten berichten sie, wie die Göttermänner Zeus, Poseidon | |
oder Apollon– eingeschleppt von den Indogermanen – ortsansässige | |
Königstöchter schwängern. Aus den Verbindungen gehen Heroen hervor, die | |
bald den Mittelmeerraum besiedeln. So werden die Väter der Königstöchter um | |
ihr Land gebracht. | |
„Landstrich für Landstrich wird kodiert durch die Körper von | |
Königstöchtern“, so Theweleit. Es bleibt der Götterkult der Eroberer. Der | |
Kulturwissenschaftler folgt den umherstreunenden Göttern auf ihren | |
Eroberungstouren, kartografiert ihre Wege. Daraus entsteht eine | |
Mythogeografie, die die mythologischen Besetzungen und parallel | |
verlaufenden Eroberung sichtbar macht – im Buch auf Landkarten zu | |
verfolgen. Daneben leiten Renaissance-Gemälde der gottmenschlichen | |
Liebesakte durch die Kapitel: Leda, die Zeus in Gestalt des Schwans | |
besteigt; Danaë, die von Zeus als Goldregen heimgesucht wird; Europa, | |
entführt vom Stier. | |
Nur selten wird die Vergewaltigung gezeigt. Es sind Bilder, die zum Kern | |
der europäischen Kulturgeschichte zählen, die man indes schon während der | |
Lektüre mit anderen Augen sieht: In den Umarmungen scheint der hilflose | |
Versuch auf, den Gewaltakt der Eroberung zu vertuschen. | |
## Pocahontas im Hier und Jetzt | |
Das „Buch der Königstöchter“ ist ein wilder Ritt durch Tausende Jahre | |
westlicher Kulturgeschichte. Manchmal strengt Theweleits Assoziationswut | |
an. Und nicht jede Verbindung, die er über Jahrhunderte und Genres hinweg | |
zieht, überzeugt. Aber darum geht es Theweleit auch nicht. In unzähligen | |
Nebengeschichten zeigt er stattdessen, was sich unter dem Lack unserer | |
Kultur verbirgt. | |
Es reicht, an die Schönrederei jener Sprache der männlichen Macht à la | |
Brüderle zu denken oder an das Kolonialmärchen „Avatar“, die auch im 21. | |
Jahrhundert nicht ohne die Eroberung der indigenen Frau auskommt, um zu | |
verstehen, dass das „Buch der Königstöchter“ im Hier und Jetzt spielt. | |
Unsere Geschlechterbilder entstammen 4.000 Jahre alten Erzählungen, die vor | |
allem ein Ziel verfolgten, nämlich die Brutalität der europäischen Kultur | |
zu verschleiern. Der „Griechenwahn“ hat die Geschichten der Eroberten | |
komplett überdeckt – „und das ist einfach scheiße“, sagt Klaus Thewelei… | |
## ■ Klaus Theweleit: „Pocahontas II. Buch der Königstöchter. Von | |
Göttermännern und Menschenfrauen. Mythenbildung, vorhomerisch, | |
amerikanisch“. Stroemfeld/Roter Stern, Frankfurt a. M. 2013, 736 Seiten, 38 | |
Euro | |
18 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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