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# taz.de -- „Hannah Arendt“ im Kino: Die Leidenschaft des Denkens
> Margarethe von Trottas Film über die jüdische Philosophin Hannah Arendt
> ist unbedingt sehenswert. Auch wenn er einige Geschehnisse verharmlost.
Bild: Eine angegraute, zärtliche und liebesbedürftige Kettenraucherin: Hannah…
Gedämpft beleuchtete Innenräume, die nächtlichen Straßen von New York, dann
und wann dunkler deutscher Wald. Im Kontrast: die taghellen Straßen von
Jerusalem, durch die immer wieder einige ultraorthodoxe Juden gehen.
Margarethe von Trottas Film „Hannah Arendt“ ist farblich dunkel getönt –
ein Hintergrund, vor dem sich die helle Stimme, die moralische
Entschiedenheit und Liebesfähigkeit der von Barbara Sukowa gespielten neuen
Filmheldin von Trottas, Hannah Arendt, umso deutlicher abhebt.
Margarethe von Trotta hat einen nicht unerheblichen Teil ihres Schaffens
Frauen gewidmet, darunter auch jüdischen Frauen oder Frauen, die mit Juden
zu tun hatten. Von Trottas Protagonistin, die Schauspielerin Barbara
Sukowa, gab ihren starken Frauen schon früher Ausdruck und Gestalt: der
Revolutionärin Rosa Luxemburg und – frühe Vorläuferin weiblichen
Selbstbewusstseins – der mittelalterlichen Nonne, Heilerin und Mystikerin
Hildegard von Bingen.
Die Philosophin Arendt aber war, so viel lässt sich auf jeden Fall sagen,
vielseitiger, gebrochener und komplexer als die unbeugsame, undogmatische
Kommunistin Luxemburg oder die selbstbewusste und dennoch einfühlsame Nonne
aus Bingen. Zudem ist Arendts Leben durch umfangreiche Briefwechsel,
Tagebuchaufzeichnungen und eine nicht abreißende Fülle von Biografien und
Sekundärliteratur so gut dokumentiert, dass jede – notwendig kürzende–
Verfilmung dieses Lebens nur unangemessen, vereinfachend und unterkomplex
wirken kann.
## Arendt als Berichterstatterin
Aus dieser Not wollte die Regisseurin eine Tugend machen und hat daher jene
Episode herausgegriffen, mit der sich die heute allgemein anerkannte Hannah
Arendt zu einer zumal unter Juden mit ungewöhnlicher Intensität gehassten
Person des öffentlichen Lebens gemacht hat: Es geht um ihre Zeit als
Berichterstatterin des US-Kulturmagazins New Yorker über den 1961
stattfindenden Eichmann-Prozess.
Zu jener Zeit war Hannah Arendt Mitte 50, in zweiter Ehe mit dem
undogmatischen Kommunisten, dem in den USA nichtstudierten
Universitätslehrer Heinrich Blücher verheiratet. Arendt bildete inmitten
der im New York des Kalten Krieges antikommunistisch gewordenen
Intellektuellen den Mittelpunkt eines Kreises von Freunden, Konkurrenten
und hellwachen Beobachtern des Zeitgeschehens.
In diese Szene führt der Film ein: So sitzt die Kamera indoor bei hitzigen
Debatten mit auf der Couch, registriert Fragen nach der Rechtmäßigkeit des
Eichmann-Prozesses ebenso wie sie liebevoll Arendts Freundeskreis – die
Schriftstellerin Mary McCarthy, den seit Marburger Studententagen treuen
Freund, den Philosophen Hans Jonas, sowie vor allem ihren Mann, Heinrich
Blücher – zu porträtieren sucht.
## Eichmann ein „Hampelmann“
Nach langen Debatten endlich vom New Yorker nach Jerusalem geschickt, sieht
man, wie Arendt im Presseraum Eichmanns im Fernsehen übertragenes
grimassierendes Gesicht sowie seine jockelhafte Gestik beobachtet – Szenen,
in denen der Film zeitgeschichtliche Aufklärung betreibt und
nachvollziehbar werden lässt, wie Arendt zu der Auffassung kommen konnte,
dass Eichmann kein Mephisto, sondern ein „Hampelmann“ war.
Es war dieser Prozess, der sie dazu führte, in dem genozidalen
Schreibtischtäter keine dämonische Figur, sondern einen Fall der „Banalität
des Bösen“ zu sehen. Wir als Zuschauer werden durch heftige Diskussionen,
bei denen wir quasi mit am Tisch sitzen, zu Zeugen. Davon, wie diese, als
Entlastung Eichmanns missverstandene Äußerung ebenso wie Arendts These von
der Mitverantwortung der Judenräte für den Massenmord das, was für sie das
Wichtigste im Leben war, nämlich Freundschaften, zerstörte und sie
zeitweilig beinahe vereinsamen ließ – wäre nicht ihr Mann Heinrich Blücher
gewesen.
So bietet der Film nicht nur zeitgeschichtliche Aufklärung, sondern auch –
einer alternden Zielgruppe gemäß – die rührende Liebesgeschichte eines
älter werdenden Ehepaares.
## Liebesbedürftige Kettenraucherin
Um historische Genauigkeit zu demonstrieren, gibt Barbara Sukowa die Arendt
jener Tage als angegraute, zärtliche und liebesbedürftige Kettenraucherin;
die – auch in der deutschen Fassung – ihre eigenwilligen Auffassungen in
einem, vom harten deutschen Akzent geprägten, daher gut verständlichen
Englisch zum Besten gibt. Ansonsten klappern immerzu – es geht schließlich
um eine Publizistin – Reiseschreibmaschinen, und eine gegenwärtig von
vintage angetane Modeszene dürfte sich an Arendts im Film getragenen
Kostümen, den Brillen ihrer Studenten und den Anzügen ihrer Freunde
durchaus verstanden wähnen.
Schauspielerisch ist es vor allem Barbara Sukowa zu verdanken, dass der
Film – jedenfalls für ein deutsches Publikum – funktioniert. Ansonsten
wirkt es schlicht irritierend, wenn Männergestalten, die bundesdeutschen
Fernsehzuschauern Woche für Woche in Krimiserien als Kommissare oder Täter
präsentiert werden, plötzlich in der Maske zeithistorischer Gestalten
auftreten. Das ist weniger bei Ulrich Noethen, der den Hans Jonas spielt,
der Fall, als bei Axel Milberg – sonst als Kommissar bekannt –, der
Heinrich Blücher darstellt.
Am authentischsten noch wirkt Arendts väterlicher Freund, der schließlich
nach Palästina ausgewanderte deutsche Zionist Kurt Blumenfeld; Michael
Degen, der als Jugendlicher emigriert ist und sich literarisch mit der
Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung der deutschen Juden
auseinandergesetzt hat, widmet Blumenfeld eine anrührende und überzeugende
Charakterstudie.
## Arendt als Denkerin
Von Trotta hat als ihre eigene Drehbuchautorin darüber hinaus noch den
anspruchsvollen Versuch unternommen, Arendt als Denkerin zu zeigen, mehr
noch, die Kraft des Denkens, ihres Denkens ins Bild zu setzen. Das
„Denken“: Die schärfste Kritik, die der Film Arendt an Eichmann üben läs…
lautet, dass Eichmann „des Denkens unfähig“ gewesen sei. Für dieses
„Denken“ steht im Film freilich Arendts erster Geliebter und akademischer
Lehrer, ein Mann, dem sie, obwohl er ein unbelehrbarer Antisemit und
Nationalsozialist war, zeitlebens die Treue hielt: Martin Heidegger!
In Rückblenden wird man Zeuge, wie die junge Arendt vor dem Professor für
die „Leidenschaft des Denkens“ schwärmt; allzu diskret blickt die Kamera
weiter in beider Marburger Stube, Ort ihrer heimlichen Zusammenkünfte,
begleitet sie aber auch nach dem Krieg bei einem Waldspaziergang, bei dem
der von Klaus Pohl viel zu zurückhaltend gegebene Heidegger arglos
mitteilt, nichts Böses gewollt zu haben.
Gleichwohl wird er von Arendt, einer Frau, die ob seiner und seinesgleichen
Familienangehörige, Freunde und Heimat verloren hatte und eher zufällig dem
Tode entkam, zärtlich umarmt. Das mag so gewesen sein oder nicht und die
mit den Bildern vom Wald gewollte Anspielung auf Heideggers „Holzwege“ gibt
zu denken, überzeugt aber freilich nicht.
## Verharmloste Geschehnisse
Denn dort, wo es dem Genre gemäß wirklich dramatisch hätte zugehen können,
verflacht und verharmlost der Film die Geschehnisse. So wird Heideggers
skandalöse, den Nationalsozialismus preisende Freiburger Rektoratsrede erst
gar nicht eigens gezeigt, sondern nur durch einen von Hans Jonas/Ulrich
Noethen mitgebrachten Zeitungsartikel demonstriert. Mehr noch: Indem von
Trotta Arendt bei anderer Gelegenheit sagen lässt, dass Eichmann unfähig
gewesen sei, zu denken, tut sie ihrer Heldin einen Bärendienst.
Tatsächlich schrieb Arendt zwar von Eichmanns „Gedankenlosigkeit“, aber
eben nicht hochtrabend, dass er „des Denkens nicht fähig“ gewesen sei.
Wegen der suggestiven Nähe von Szenen, in denen es zwischen Heidegger und
Arendt um das „Denken“ geht und Passagen, in denen Arendt an Eichmann seine
„Unfähigkeit zu denken“ feststellt, wird aus der ganz und gar
eigenständigen Denkerin denn doch eine Schülerin; die Schülerin eines
Denkers, der, so tief er auch gedacht haben mag, deshalb oder gleichwohl
zum Mitläufer eines Regimes von Verbrechern wurde.
Eichmann mag bar jeder Dämonie gewesen sein, Heidegger jedoch war es nach
Aussagen von Zeitzeugen nicht. Die zurückhaltende, geradezu langweilige
Gestalt, die der Dramatiker Klaus Pohl dem Film-Heidegger verleiht,
verschenkt daher nicht nur schauspielerische Chancen, sondern verharmlost
auch die wahrlich dramatischste Liebesgeschichte in Arendts Leben. Dass
diese Verharmlosung mit einer politischen Verdrängung von Heideggers
Nazismus einhergeht, ist dann nur schlüssig. Es scheint, als liebte und
verehrte Margarethe von Trotta ihre Heldin etwas zu sehr.
Dennoch, der Film „Hannah Arendt“ ist unbedingt sehenswert, und zwar nicht
nur, weil es Barbara Sukowa gelungen ist, einer inzwischen zur Ikone der
selbstverständlich antitotalitären Zivilgesellschaft geronnenen, aber kaum
gelesenen Philosophin wieder Leben einzuhauchen. Zudem laden die – wie
stets bei von Trotta – überdeutlichen, beinahe zu didaktisch präsentierten
Debatten zum Mitreden und Mitdiskutieren ein.
Vielleicht kann dieser Film ein wenn auch nur Geringes dazu beitragen, dass
Arendt tatsächlich gelesen wird, ihre bestreitbaren Positionen erörtert und
an das von Deutschen wie Eichmann begangene Menschheitsverbrechen erinnert
wird.
## „Hannah Arendt“. Regie: Margarethe von Trotta. Mit Barbara Sukowa,
Michael Degen u. a. Deutschland 2012, 113 Min.
10 Jan 2013
## AUTOREN
Micha Brumlik
Micha Brumlik
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