| # taz.de -- Drama von Margarethe von Trotta: Alles so fluffig hier | |
| > Katja Riemann erforscht in „Die abhandene Welt“ ein Familiengeheimnis. | |
| > Doch dem Film von Margarethe von Trotta fehlt es an Reibung. | |
| Bild: Ohne Gewissensbisse: Agent Philip (Robert Seeliger) und Sophie Kromberger… | |
| In einer Szene von Margarethe von Trottas neuem Film „Die abhandene Welt“ | |
| unterbreitet ein Agent einer Sängerin ein unmoralisches Angebot. Er | |
| verspricht, Sophie (Katja Riemann) zu einem Treffen mit der berühmten | |
| Opernsängerin Caterina Faviani (Barbara Sukowa) zu verhelfen, | |
| vorausgesetzt, Sophie verbringt eine Nacht mit ihm. | |
| Wäre „Die abhandene Welt“ ein Melodrama alten Zuschnitts, hätte dieses | |
| Angebot zumindest ein wenig Unruhe ausgelöst. Ein Mann, der seine Macht | |
| ausnutzt, eine Frau, die ihre Sexualität mit Kalkül einsetzt, die | |
| Unschicklichkeit, die daraus hervorgeht – irgendeinen Funken hätte all dies | |
| geschlagen, und sei es nur der, dass man über den Anachronismus gestaunt | |
| hätte: So etwas funktioniert 2015 noch? | |
| Bei von Trotta dagegen geht das Angebot umstandslos in eine Szene mit | |
| seidig schimmerndem Bettzeug und schwarzem Negligé, in Flirt und | |
| Verliebtheit über; es verliert jede Anstößigkeit, ist nichts, was die | |
| Akteure – und sei’s nur für Sekunden – zögern oder zaudern ließe, von | |
| Gewissens- oder sonstiger Not ganz zu schweigen. | |
| Und vielleicht ist es das, was das Unbehagen an „Die abhandene Welt“ | |
| auslöst: die Reibungslosigkeit, mit der in diesem Film vieles | |
| vonstattengeht. Zwar entwickelt Margarethe von Trotta eine Konstellation, | |
| wie man sie aus dem Melodrama kennt, aber was sie vermeidet, ist dessen | |
| Maßlosigkeit und Überschuss, das, was sich nicht einhegen und befrieden | |
| lässt. | |
| Sie erforscht ein Familiengeheimnis, aber für die Beschädigungen, die | |
| Verhärtungen und die Nöte, die aus diesem Geheimnis notwendig entspringen, | |
| scheint sie sich nicht zu interessieren, so, als wollte sie beides haben: | |
| den dunklen Schatten der Vergangenheit und eine saturierte, nicht aus der | |
| Ruhe zu bringende Gegenwart. | |
| ## Figuren wie im luftleeren Raum | |
| Schon gar nicht interessiert sie sich für das Terrain, das das Melodrama in | |
| seinen besten Zeiten erkundet hat: das Private als Feld, in das das | |
| Politische tiefe Furchen gezogen hat. Filme von Douglas Sirk oder Rainer | |
| Werner Fassbinder hatten einen Blick dafür, wie die Verhältnisse das Innere | |
| besetzen, wie sie das Begehren manipulieren und kastrieren, wie sie in die | |
| Gefühle hineinfahren. Margarethe von Trotta dagegen lässt die Figuren | |
| agieren wie in einem luftleeren Raum, die Kulissen des Wohlstands geraten | |
| nie in die Verlegenheit, sich erklären zu müssen, und werden zugleich nie | |
| in den Bereich des Artifiziellen verschoben. | |
| Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die Opernsängerin Faviani in | |
| der Rolle der Norma reüssiert, nicht in der der Medea. Vieles an den beiden | |
| Stoffen ist vergleichbar – die Liebe zu einem Mann, der zu den Feinden | |
| zählt, der Betrug durch diesen Mann, der Zorn darüber. Aber das Skandalon, | |
| das, was „Medea“ so unerträglich macht, der Kindsmord, bleibt in „Norma�… | |
| aus. | |
| Vielleicht ist das auch ein selbstreflexiver Wink: Dann wäre „Die abhandene | |
| Welt“ eine Art Versuchsanordnung zur Frage, wie man von Abgründen erzählt, | |
| solange die Umstände so liberal, sediert und saturiert sind, dass man sich | |
| Abgründe nicht mehr vorstellen kann. | |
| 6 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
| ## TAGS | |
| Drama | |
| Hannah Arendt | |
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