# taz.de -- Kino-Film über Hildegard von Bingen: Die Nonne ist der Star | |
> Margarethe von Trotta zeigt in ihrem Film "Vision" Hildegard von Bingen | |
> als fehlbare und widersprüchliche Heilige. | |
Bild: Eine typische Margarethe-von-Trotta-Heldin: Barbara Sukowa als Hildegard … | |
Das Ungeheuerlichste geschieht am Anfang. Es ist viel ungeheuerlicher als | |
alle Visionen und spirituellen Erscheinungen, als alle leuchtenden | |
Gotteszeichen, die sich in die Ansichten einer Landschaft oder eines | |
Sonnenuntergangs brennen. Es ist die Szene, in der Hildegard von Bingen den | |
Leichnam ihrer geliebten Mentorin und Äbtissin Jutta von Sponheim für die | |
rituelle Waschung vorbereitet. Noch ein mutmachender Blickwechsel zwischen | |
den trauernden Schwestern und dann fährt Hildegard, die vielleicht | |
berühmteste Nonne aus dem Ensemble der katholischen Heiligen, mit ihren | |
Händen unter die Tracht der Toten und zuckt alsbald erschrocken zurück. | |
Denn die geliebte Ersatzmutter trägt eine dornige Kette um ihre Taille. In | |
vielen Bahnen ist das Eisen um den Leib geschlungen und hat sich tief in | |
das ur-schuldige Fleisch gegraben. | |
Ausgerechnet die gütige, lebensbejahende Frau, die der achtjährigen | |
Hildegard im Benediktinerkloster Disibodenberg die spirituelle Schönheit | |
von Natur und Musik eröffnete und die im finstersten Mittelalter Liebe | |
statt Angst predigte, foltert sich bis in den Tod. Es ist die vorauseilende | |
Unterwerfung, die Hildegard zutiefst schockiert. Und es ist die Kirche, die | |
sich ihr hier als ein menschenfeindliches System zeigt, das auf Angst, | |
Grausamkeit und Selbstzerfleischung baut. | |
"Es ist unser göttliches Recht, dass wir über uns selbst bestimmen." Diesen | |
Satz sagt Hildegard, bevor sie von den Mitschwestern zur neuen Magistra | |
gewählt wird. Er bedeutet eine Wende im Klostersystem. Hildegard wird sich | |
mit emanzipatorischem Bewusstsein gegen das Diktat des Benediktinerabts | |
(Alexander Held) stemmen, der auch der Nonnengemeinschaft vorsteht. Sie | |
wird ihre Schwestern die Pflege des eigenen Körpers lehren, den | |
Wissensdurst anstacheln und mit Theaterstücken für Unterhaltung sorgen. | |
Der Wechsel aus ideologischen Kämpfen und narzisstischen | |
Erleuchtungszuständen macht aus Hildegard von Bingen eine typische | |
Margarethe-von-Trotta-Heldin. Und wenn man Barbara Sukowa unruhig durch die | |
dunklen Klostergänge wandern sieht, muss man unweigerlich an die | |
Gefangenschaften all der anderen Protagonistinnen in von Trottas | |
auratischem Frauenkosmos denken. Das wirklich Interessante an "Vision" aber | |
ist etwas anderes. Es ist die Art, wie von Trotta die Gabe ihrer Heldin, | |
göttliche Zeichen und Stimmen wahrzunehmen, inszeniert und vor allem, wie | |
Hildegard von Bingen ihr seherisches Talent einsetzt, um psychologisch und | |
politisch ihre Ziele durchzusetzen. | |
Als eine der Schwestern, die sich mit den Benediktinermönchen ein | |
Klostergebäude teilen müssen, schwanger wird und sich das Leben nimmt, | |
fordert Hildegard ein eigenes Kloster. Vergeblich. Daraufhin fällt sie in | |
eine rätselhafte Starre, bis der Erzbischof von Mainz die Erlaubnis für den | |
Bau einer eigenen Abtei erteilt. Prompt schlägt Hildegard kurz vor ihrer | |
letzten Ölung die Augen auf. Ein Wunder! Oder besser: ein wundervoll | |
dramatisch organisierter Liegestreik! | |
Hildegard von Bingen wurde, nach einigen Widerständen aus dem | |
chauvinistischen Mittelbau der Benediktiner, zum spirituellen Popstar der | |
einflussreichsten Mystiker ihrer Zeit. Sie war als Seherin bei König | |
Barbarossa genauso gefragt wie als Wunderheilerin beim einfachen Volk. Und | |
aller von den Glaubensregeln verordneten Demut zum Trotz zeigt von Trottas | |
Heldin, wie sie ihr Startum zusehends genießt und wie Eitelkeiten, | |
Selbstsucht und Neid die Frauengemeinschaft erschüttern. Als ihre größte | |
Bewunderin, die junge Schwester Richardis (Hannah Herzsprung), in ein | |
anderes Kloster berufen wird, braucht Hildegard eine Weile, um diesen | |
Verlust absoluter Ergebenheit zu verdauen. | |
Hildegard von Bingen ist bei von Trotta ein fehlbare und widersprüchliche | |
Heilige. Bescheiden und egozentrisch, intellektuell und esoterisch, | |
emanzipiert und bevormundend. Der Film hätte sicher noch ein paar Szenen | |
mehr mit solch abgründigen Schwankungen vertragen. In von Trottas | |
Filmografie verdient er einen Sonderplatz - auch in ästhetischer Hinsicht. | |
Denn "Vision" ist ein sehr grafischer Film geworden: das diffuse Licht der | |
Außenwelt, das in Streifen durch die kleinen Fenster auf die blassen | |
Gesichter lesender Schwestern fällt. Die harten Linien der Gewänder, die | |
die Körper und die nur ungenau ausgeleuchteten Räume um sie herum | |
zerteilen. Oder auch die Zeit, die die Kamera braucht, um in den schwarzen | |
Flächen der Trachten ein individualisierendes Merkmal auszumachen. Denn | |
weder beim Blick von der Seite noch von hinten kann man die Frauen | |
voneinander unterscheiden. Das alles ist angenehm nüchtern, fern von dem im | |
Kino so üblichen Kloster-Horror, nah an der Situation der Frauen, die zu | |
beten, zu gehorchen und sich bedeckt zu halten haben. | |
22 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Birgit Glombitza | |
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