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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: A state is born
> Kosovo, Katalonien, Palästina: Der Trend geht hin zum Nationalstaat. Der
> Gedanke, dass neue Völker entstehen, scheint den Zionisten bis heute
> fremd.
Bild: Das palästinensische Volk wurde durch die UN als Rechtssubjekt anerkannt.
Die Zeit der Nationalstaaten als rationales Organisationsprinzip ist,
darüber sind Politologen weitestgehend einig, angesichts der Globalisierung
objektiv überholt. Das ändert nichts daran, dass gleichwohl ständig neue
Nationalstaaten entstehen oder im Entstehen begriffen sind.
Die Tschechoslowakei zerfiel in Tschechien und die Slowakei, das Kosovo
wurde ein eigener Staat, in Katalonien und Schottland stehen
Volksabstimmungen bevor, mancher CSU-Kämpe träumt gar von einem
unabhängigen Bayern, und vor einigen Tagen nun hat die Weltgemeinschaft
einen palästinensischen Staat anerkannt.
Manche tun die Aufnahme Palästinas mit „Observer Status“ in die UN als
läppische Symbolik ab, anders als die wütende israelische Regierung und die
jubelnden Menschen im Westjordanland. Mit der Aufnahme nämlich wurde das
palästinensische Volk als Rechtssubjekt anerkannt.
Mit der Aufnahme wird zudem das Mantra der Regierung Israels, dass ein
Staat Palästina ausschließlich aus Verhandlungen mit Israel hervorgehen
dürfe, Lügen gestraft. Denn: Ein Staat Palästina, der ausschließlich vom
guten Willen einer israelischen Regierung abhängig ist, wäre kein
politisches Subjekt eigenen Rechts, sondern bestenfalls ein gnädig
geduldeter Vasallenstaat.
Erst jetzt, wo Palästina durch die Staatengemeinschaft anerkannt und damit
als Rechtssubjekt konstituiert wurde, kann es auf Augenhöhe mit dem Staat
Israel verhandeln. Tatsächlich wirkt hier die Dialektik der Anerkennung:
Die israelische Regierung scheint in ihrer Wut gar nicht bemerkt zu haben,
dass die von ihr angemahnte Anerkennung Israels durch Palästina ihr volles
Gewicht ja nur durch ein im wahrsten Sinne des Wortes selbst-ständiges,
nicht abhängiges Palästina erhalten kann. Anerkannt im vollen Sinne wird
man nur von Gleichen.
## Die letzte Nationalitätenfrage
Moses Hess war ein Zeitgenosse und zeitweiliger Mitstreiter von Karl Marx,
der, Jahrzehnte vor Theodor Herzl, angesichts des Antisemitismus vom
Sozialisten zum Zionisten wurde. 1862, in den USA tobte der Bürgerkrieg, in
Europa wurde unter anderem 1861 unter der Führung des Königshauses von
Piemont der neue italienische Nationalstaat gegründet, publizierte Hess
sein Buch „Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage“.
Darin postulierte er nach der Wiedergeburt Roms nun die Wiedergeburt eines
jüdischen Staates: „Auch Jerusalems verwaiste Kinder“, heißt es im Vorwor…
„werden Theil nehmen dürfen […] an der Auferstehung aus dem todtenähnlich…
Winterschlaf des Mittelalters mit seinen bösen Träumen.“ Hess widmete sein
Buch den „hochherzigen Vorkämpfern aller nach nationaler Wiedergeburt
ringenden Geschichtsvölkern“.
Wieder-Geburt! Der Gedanke, dass im Laufe der Geschichte auch neue Völker
entstehen, dass sie geboren werden und durch Staatsgründung politische
Subjektivität gewinnen können, scheint einem breiten Strom des
zionistischen Denkens bis heute fremd. Noch Golda Meir war 1969 der
Meinung, es gäbe keine Palästinenser.
## Was sind Nationalitäten?
Für den Philosophen Hegel, der auch Moses Hess prägte, handelt es sich bei
Nationalitäten um „Volksgeister“, um partikulare, beschränkte Einheiten:
„Als beschränkter Geist“, schrieb Hegel in der Enzyklopädie, „ist seine
Selbständigkeit ein Untergeordnetes; er geht in die allgemeine
Weltgeschichte über, deren Begebenheiten, die Dialektik der besonderen
Völkergeister, das Weltgericht, darstellt.“
Darauf bezog sich dann Moses Hess, als er sich 1864 noch einmal zu den
„Nationalitäten“ äußerte: Spielten diese doch „mit ihrem Vernunftsinst…
als Fortsetzung des organischen Lebensprozesses eine eben so grosse Rolle
im Plane der weltgeschichtlichen Entwickelung der Menschheit wie der
tierische Instinkt […] in der Entwickelung der tierischen Spezies.“
Ob der israelischen und der palästinensischen Nationenwerdung ein
Vernunftinstinkt innewohnt; wie beide Volksgeister, nun beide zu
Rechtssubjekten geworden, in die Weltgeschichte übergehen, ist heute noch
ungewiss.
Hannah Arendt, die bezüglich einer zionistischen Staatsgründung schon lange
skeptisch war, schrieb im Jahr 1945 in einem Aufsatz unter dem Titel
„Zionism reconsidered“: „Sowohl die Juden zu retten als auch Palästina zu
retten wird im 20. Jahrhundert nicht leicht sein; daß es sich mit den
Kategorien und Methoden des 19. Jahrhunderts erreichen läßt, erscheint
zumindest sehr unwahrscheinlich.“ Daran hat sich auch nach der Aufnahme
Palästinas in die UN nichts geändert.
3 Dec 2012
## AUTOREN
Micha Brumlik
Micha Brumlik
## TAGS
zionismus
Palästina
Israel
UN
USA
Israel
Hannah Arendt
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