# taz.de -- Murat Kurnaz über Guantánamo: „Obama ist ein Versager“ | |
> Der Film „5 Jahre Leben“ erzählt von Murat Kurnaz' Gefangenschaft in | |
> Guantánamo. Ein Gespräch mit dem Ex-Gefangenen über den Umgang mit | |
> Erinnerungen. | |
Bild: „5 Jahre Leben“ erzählt Murat Kurnazs Gefangenschaft in Guantánamo. | |
taz: Herr Kurnaz, am Donnerstag läuft im Kino „5 Jahre Leben“ an, ein | |
Spielfilm über zwei Jahre Ihrer Inhaftierung in Guantánamo. Wie real ist | |
für Sie das Gefangenenlager seit Ihrer Entlassung im Jahr 2006 geblieben? | |
Murat Kurnaz: Sehr real. Denn die Realität ist, dass es Guantánamo immer | |
noch gibt. | |
Momentan befinden sich über hundert Insassen im Hungerstreik. Was empfinden | |
Sie, wenn darüber berichtet wird? | |
Ich weiß, was sie durchmachen, ich weiß es, weil ich es selbst durchgemacht | |
habe. Das Einzige, was ich heute hier für sie tun kann, ist, an die | |
Öffentlichkeit zu gehen und zu berichten. | |
Ist das Hungern erfolgversprechend? | |
Im Hungerstreik darf man nicht sterben, man muss überleben – darum geht es | |
eigentlich. Dafür gibt es ja die Zwangsernährung. | |
Kommen Ihre Erinnerungen daran wieder hoch? | |
Ich habe kein Problem damit, ich halte das aus, ich hab das hinter mir, | |
aber umso mehr tun mir die Gefangenen leid. | |
Schenken Sie Obamas Worten, Guantánamo schließen zu wollen, überhaupt noch | |
Glauben? | |
Nein. Obama ist ein Versager für mich. Aber er konnte mich nicht | |
enttäuschen, weil ich seinen Worten von Anfang an nicht geglaubt habe. Er | |
hat Werbung damit gemacht, dass er Guantánamo schließen würde, das war vor | |
der Wahl – und danach hat er nichts getan. | |
Trotzdem wurde er wiedergewählt. | |
Ja, und wieder hat sich nichts getan. Und er spricht jetzt auch nicht mehr | |
von der Schließung, sondern maximal von einer Verlegung in die USA. | |
Wenn er vor Ihrer Tür stünde, um sich persönlich bei Ihnen zu | |
entschuldigen, was würden Sie ihm sagen? | |
Solange Guantánamo existiert, würde ich die Entschuldigung nicht annehmen. | |
Angenommen, Guantánamo würde nicht mehr existieren? | |
Was soll ich da sagen? Vielleicht würde ich zu ihm sagen: Das wurde aber | |
auch langsam Zeit. (lacht) Ich werde mich jedenfalls nicht bedanken. | |
Könnten Sie denn verzeihen? | |
Menschen, die für Guantánamo verantwortlich sind? Nein. | |
Sie sind 2001 nach Pakistan gefahren, um Ihren Glauben zu stärken, dann | |
wurden Sie festgenommen, waren fünf Jahre in Haft, wurden gefoltert und | |
misshandelt. Ist Ihr Glaube daran zerbrochen? | |
Nein, ganz im Gegenteil, er ist stärker geworden. | |
Sie haben Waterboarding, Zwangsernährung und Isolationshaft überlebt. Kann | |
man nach solch einer Erfahrung wieder in einen Alltag finden? | |
Meine Familie hat hier auf mich gewartet, sie hat mich nach meiner | |
Entlassung abgeholt, sie hat mich nach Hause gebracht. Ich versuche, ein | |
normales Leben zu führen, meinen Hobbys nachzugehen. | |
Arbeiten Sie denn wieder? | |
Ich bin Menschenrechtsaktivist. Publizist, Autor meines Buches. | |
Wie reagieren Menschen auf den Namen Kurnaz? | |
Unterschiedlich, die meisten haben Angst, das ist leider die Realität. Aber | |
es gibt ja auch Menschen, die das anders sehen. | |
Mit dem Film „5 Jahre Leben“ wurde nun Ihre Geschichte verfilmt. Kann ein | |
Film Wirklichkeit wiedergeben? | |
Die Wirklichkeit ist brutaler. Aber der Film ist in Ordnung so. Mehr | |
Details wären nicht besser. Die meisten finden das auch so brutal genug. | |
Welche Szene kommt Ihrer Meinung nach denn der Wirklichkeit besonders nahe? | |
Die Szene der Isolationshaft. Der Schauspieler hat dafür auch zwanzig Kilo | |
abgenommen, er hat alles dafür getan, um der Realität nahezukommen. Das ist | |
eine echte Leistung. | |
Was erhoffen Sie sich von dem [1][Film]? | |
Ich hoffe nicht; eigentlich hoffe ich auf gar nichts. Ich bin froh, dass | |
der Film zustande gekommen ist. Und jeder, der den Film sieht, kann selbst | |
entscheiden, welche Meinung er sich bildet. Wie es gewesen sein kann. | |
23 May 2013 | |
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## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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