| # taz.de -- Debatte Finanztransaktionssteuer: Top Secret! | |
| > Wie Goldman Sachs mit einer angeblichen Geheimstudie gegen die | |
| > Finanztransaktionssteuer vorging – und alle darauf hereinfielen. | |
| Bild: Goldman Sachs-Zentrale in New York. | |
| In fünf Wochen haben es Banken, Großindustrie, Wissenschaft und Bundesbank | |
| mit einer konzertierten Aktion geschafft: Selbst Finanzminister Wolfgang | |
| Schäuble glaubt nun, dass sich die Finanztransaktionssteuer nicht wie | |
| geplant realisieren lässt. Man habe den Repo-Markt vergessen! Und der sei | |
| für den Liquiditätsausgleich zwischen den Banken unverzichtbar! | |
| Diese Behauptung geht auf Goldman Sachs zurück. Anfang Mai brachte die | |
| Investmentbank einen „Research Report“ mit dem Titel „Financial Transacti… | |
| Tax: How Severe?“ in der Financial Community in Umlauf. Die Studie wurde | |
| nicht publiziert, sondern bewusst geheim gehalten: Ihr Topsecret-Charakter | |
| sollte sie interessant machen, und gleichzeitig konnten ihre gravierenden | |
| methodischen Fehler von Ökonomen nicht demaskiert werden. | |
| Zur Aufklärung: Repos (repurchase agreements) dienen Banken zur | |
| kurzfristigen Beschaffung von Liquidität. Dazu werden für ein paar Stunden | |
| (tri-party repos) oder über Nacht (overnight) Wertpapiere an den | |
| Kreditgeber mit der Verpflichtung verkauft, sie danach wieder | |
| zurückzukaufen. Die Finanztransaktionssteuer würde dafür einen Steuersatz | |
| von 0,1 Prozent berechnen. | |
| ## Der Bluff funktioniert | |
| Der Boom des Repo-Markts ist eine Begleiterscheinung der kurzfristigen | |
| Spekulationsgeschäfte von Investmentbanken wie Goldman Sachs, Deutsche Bank | |
| oder BNP Paribas. Wenn eine Bank am Nachmittag schmerzvoll erkennt, dass | |
| sie bis morgen leider noch ein paar hundert Millionen braucht, so deshalb, | |
| weil ein Intraday-Derivatgeschäft gescheitert ist. Nützliche Banken, welche | |
| Unternehmen oder Häuslebauer finanzieren, brauchen keine schnellen Repos. | |
| Viele Studien dokumentieren, welche verhängnisvolle Rolle die schnellen | |
| Repo-Transaktionen bei der Finanzkrise ab 2008 gespielt haben und welches | |
| enorme Risiko die tri-party repos weiterhin darstellen. Die | |
| Finanztransaktionssteuer hat das Ziel, dieses schnelle Trading teurer zu | |
| machen. Dazu müssen auch die schnellen Repo-Transaktionen erfasst werden, | |
| denn sie ermöglichen und erleichtern die Finanzalchemie. | |
| Doch die Politik ließ sich von der von Goldman dirigierten Aktion bluffen: | |
| Andere Banken wie die Citigroup publizierten zeitgleich ähnliche Studien, | |
| deutsche Industriekonzerne stimmten in den Chor ein, das Deutsche | |
| Aktieninstitut gab seinen wissenschaftlichen Segen, und Bundesbankpräsident | |
| Jens Weidmann beschied, „die nicht beabsichtigten Nebenwirkungen“ der | |
| Finanztransaktionssteuer könnten „erheblich“ sein. | |
| Goldman bluffte mit folgenden Horrorzahlen: Die 42 größten europäischen | |
| Banken würden durch die Finanztransaktionssteuer 92 Prozent ihrer Gewinne | |
| einbüßen, deutsche und französische Banken tief in die Verlustzone | |
| rutschen. Allein die Deutsche Bank müsste angeblich 362 Prozent ihres | |
| Gewinns berappen! Statt eines Aufkommens von 34 Milliarden Euro, wie es die | |
| EU-Kommission schätzt, müssten die Banken 170 Milliarden Euro zahlen, das | |
| meiste davon für Repos (118 Milliarden). | |
| ## Absurde Berechnungen | |
| Zu diesen Zahlen kommt Goldman durch die absurde Annahme, dass die | |
| Finanztransaktionssteuer keinen Rückgang der Spekulation bewirkt. Um das | |
| Ausmaß des Grotesken deutlich zu machen: Nach der Goldman-Methode würde | |
| Großbritannien bei einer Finanztransaktionssteuer von 0,1 Prozent Einnahmen | |
| in Höhe von 56 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung erzielen. | |
| Dies wäre weit mehr, als Einkommensteuer und Mehrwertsteuer gemeinsam | |
| erbringen. Der Trick basiert darauf, dass Goldman einfach davon ausgeht, | |
| dass die Spekulationsgeschäfte ungehindert weitergehen, die sich 2010 auf | |
| das 563-Fache des britischen Bruttoinlandsprodukts beliefen. Aber der Sinn | |
| einer Finanztransaktionssteuer wäre ja, viele dieser schnellen | |
| Handelsgeschäfte zu unterbinden. | |
| Um die negativen Effekte einer Finanztransaktionssteuer aufzublasen, | |
| erfindet Goldman zudem den Begriff der „annual effective tax rate“, die | |
| sich aus dem Steuersatz mal der jährlichen Transaktionen ergibt. Für die | |
| schnellen „tri-party-repos“ ergäbe sich dann eine Steuerbelastung von 360 | |
| Prozent. Analog gälte dann für die Mehrwertsteuer von 19 Prozent: Wenn eine | |
| Familie täglich konsumiert, beträgt der effektive Mehrwertsteuerjahressatz | |
| 19 Prozent mal 365 Tage = 6.935 Prozent. Das kann man sich natürlich nicht | |
| bieten lassen! | |
| ## Eine Wanderdünen-Rechnung | |
| Ein weiteres Goldman Sachs-Argument: Künftige Riester-Rentner müssten einen | |
| Großteil der Steuer zahlen. So würde ein 30-jähriger Kleinsparer, der bis | |
| zur Rente jährlich 1.000 Euro investiert, am Ende 14 Prozent seiner | |
| Einzahlungen verlieren. Die methodischen Tricks sind subtil und können hier | |
| nicht im Detail vorgestellt werden. Aber im Kern läuft es darauf hinaus, | |
| dass Goldman völlig unrealistische Renditen von jährlich 6 Prozent annimmt, | |
| um über den Zinseszinseffekt die Transaktionswerte aufzublasen, die von der | |
| Steuer angeblich betroffen wären. Doch wenn es um die Steuerbelastung für | |
| den Kleinsparer geht, werden diese Renditen nicht berücksichtigt – sondern | |
| nur seine Einzahlungen. Wie eine Wanderdüne wechselt also der „Nenner“ in | |
| dieser Bruchrechnung. | |
| Parallel zu den Studien von Goldman und Citibank publizierte das Deutsche | |
| Aktieninstitut eine ebenso absurde Untersuchung, die zeigen sollte: Die | |
| deutsche Realwirtschaft würde von der Finanztransaktionssteuer schwer | |
| getroffen. Bayer müsste jährlich 45 Millionen Euro zahlen, und Siemens | |
| sogar 100 Millionen. | |
| Doch mit der Finanzierung und Absicherung von realwirtschaftlichen | |
| Produkten wie Chemieerzeugnissen oder Elektroteilen hat dies nichts zu tun. | |
| Vielmehr haben sich auch die Konzerne inzwischen Abteilungen zugelegt, die | |
| wie Investmentbanken agieren und spekulieren. Daher ist es nur konsequent, | |
| dass auch die großen Firmen von der Finanztransaktionssteuer getroffen | |
| werden. Zudem argumentiert das Aktieninstitut genauso unseriös wie Goldman | |
| und nimmt einfach an, dass die Spekulationsgeschäfte trotz Steuer ungestört | |
| weitergehen. | |
| 6 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Stephan Schulmeister | |
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