# taz.de -- Debatte Energiewende: Der nächste Solarboom | |
> Warum die große Zeit der Photovoltaik erst jetzt beginnt. Und was die | |
> Röslers und Oettingers sich dagegen noch einfallen lassen werden. | |
Bild: Kleine Anlagen auf privaten Dächern, Fassaden und Balkonen, werden gefra… | |
Es ist ja fast schon putzig, dieses Beharren auf den Realitäten der | |
Vergangenheit. Da reden die Röslers und Oettingers noch immer über die | |
Photovoltaik als ach so teure Energiequelle – und merken gar nicht, dass | |
dies längst Schnee von gestern ist. Vor fünf Jahren war [1][Strom aus | |
Sonnenlicht] durchaus noch relativ teuer. Heute aber produzieren neue | |
Photovoltaikanlagen billiger Strom als jeder Offshore-Windpark und jedes | |
Geothermiekraftwerk. | |
Entsprechend niedrig sind inzwischen die Einspeisevergütungen: Wer in | |
diesen Wochen eine Solarstromanlage auf seinem Hausdach ans Netz bringt, | |
erhält noch 15,35 Cent pro eingespeister Kilowattstunde als Vergütung. Das | |
ist schon deutlich weniger, als der Steckdosenstrom kostet, sodass die | |
Hausdach-Photovoltaik an der Schwelle zur Wirtschaftlichkeit steht. | |
Zwei Prognosen seien daher an dieser Stelle gewagt. Erstens: Deutschland | |
steht vor einem neuen Solarboom. Anders als der erste Boom in den letzten | |
Jahren wird dieser aber aus eigener Kraft erfolgen; er wird keine | |
Einspeisevergütungen mehr benötigen, sondern schlicht vom Bestreben | |
getrieben sein, mit der Photovoltaik den Strombezug aus dem Netz zu | |
reduzieren. | |
Die nach der Bundestagswahl anstehende gründliche [2][Novellierung des | |
Erneuerbare-Energien-Gesetzes] (EEG) wird deswegen die Photovoltaik nicht | |
mehr grundsätzlich in Frage stellen können. Was will man hier auch noch | |
groß kürzen? Schon nach dem aktuell geltenden Gesetz werden kleine, neu | |
installierte Dachanlagen im nächsten Sommer nur noch rund 12 Cent je | |
Kilowattstunde erhalten. Denn mit jedem Monatswechsel sinken inzwischen die | |
Vergütungssätze. | |
## Solarstrom lieber selbst verbrauchen | |
Entsprechend verlieren die Einspeisekonditionen für die Photovoltaik stetig | |
an Bedeutung. Künftig werden Anlagenbetreiber deshalb folgendermaßen | |
rechnen: 12 Cent kostet der Strom vom Dach, der Strom aus dem Netz hingegen | |
gut das Doppelte. Also verbraucht man den Solarstrom – wo immer sinnvoll – | |
lieber selbst. Und bei einer Preisspanne von rund 15 Cent zwischen | |
Solarstrom und Netzstrom wird auch Speichertechnik langsam interessant. | |
[3][Daher ist auch auf der Messe Intersolar], die am Mittwoch in München | |
begann, Speicherung das dominierende Thema. Und all den Röslers, die | |
offenbar noch immer glauben, sie könnten durch eine nochmalige rabiate | |
Kürzung der Vergütungen die Photovoltaik doch noch plattmachen, sei gesagt: | |
Dazu ist es zu spät. | |
Die Technik hat sich durch Eigenverbrauchslösungen von der Förderung | |
emanzipiert. Auch industriepolitisch ist das für Deutschland eine | |
willkommene Entwicklung, denn die Eigenverbrauchsanlagen bieten der | |
heimischen Solarwirtschaft gute Perspektiven – selbst wenn es keine | |
[4][Strafzölle für chinesische Ware] gäbe. | |
Aus einem einfachen Grund: Wenn weniger die Großanlagen den Markt | |
dominieren, sondern kleine Anlagen auf privaten Dächern, an Fassaden und | |
Balkonen, werden individuellere Modultypen gefragt sein. Und das kommt | |
deutschen Herstellern entgegen: Während die Chinesen die Massenware für | |
Freilandparks einfach billiger fertigen können als die Deutschen, wird man | |
Sonderformen besser aus heimischen Fabriken anbieten können. | |
## Neue Modultypen im Kommen | |
Denn wenn die Photovoltaik durch Eigennutzung des Stroms zum festen | |
Bestandteil der Architektur wird, braucht man eine enorme Produktvielfalt. | |
Dann wird der Markt Solarzellen in verschieden Farbtönen verlangen, er wird | |
vielfältige Formate und Bauformen nachfragen: Warum nicht mal dreieckige | |
oder trapezförmige Module für eine individuelle Baugestaltung? | |
Oder halbtransparente Module, die als Verschattungselemente eingesetzt | |
werden? Man wird außerdem Kleinanlagen sehen, die von Mietern an ihrem | |
Balkongeländer angebracht werden. Beim Auszug sind sie einfach zu | |
demontieren; auch Mieter wollen schließlich den günstigen Strom von der | |
Sonne nutzen. | |
So sind die Perspektiven nicht schlecht für die deutsche Solarwirtschaft | |
und für die solare Energiewende. Trotzdem gibt es ein Risiko, und das führt | |
nun zur zweiten Prognose: Die Lobby der Kohlekraft (zusammen mit den | |
letzten versprengten Atomlobbyisten) wird natürlich weiterhin gegen die | |
Sonnenkraft agitieren. | |
Denn die Photovoltaik ist für die etablierten Kraftwerksbetreiber so heikel | |
wie keine andere erneuerbare Energie; eine derart dezentrale Erzeugung | |
kriegen die Konzerne schließlich selbst nicht bewerkstelligt. | |
## Kommt die Solarsteuer? | |
Wenn nun die Vertreter der alten Stromwirtschaft in den nächsten Monaten | |
und Jahren feststellen werden, dass die Photovoltaik auch bei kompletter | |
Abschaffung der Förderung nicht totzukriegen ist, werden sie neue Geschütze | |
auffahren. Dann werden sie garantiert versuchen, die Photovoltaik aktiv zu | |
behindern. | |
Sie werden eine Solarbremse, eine Art Solarsteuer fordern. Natürlich werden | |
sie diese nicht unverblümt so benennen, sondern sich Euphemismen einfallen | |
lassen. Und deswegen steht die Prognose eines Solarbooms 2.0 unter dem | |
Vorbehalt, dass der Solarenergie keine zusätzlichen Schikanen in der | |
Nach-EEG-Ära auferlegt werden. | |
Das Risiko besteht, denn die Apologeten der alten Energiewelt werden nichts | |
unversucht lassen, den Siegeszug der Photovoltaik weiter zu torpedieren. | |
Schließlich ist der Gedanke an Solarstromanlagen, die ohne Förderung | |
rentabel sind, für sie nicht allein aus wirtschaftlichen, sondern auch aus | |
ideologischen Gründen unerträglich. | |
Haben die betreffenden Akteure doch immer wieder betont, dass sich | |
Solarstrom hierzulande niemals lohnen kann. Da ist es hart, wenn die | |
Realität das Gegenteil beweist. Es wird also spannend sein zu beobachten, | |
wie die Röslers der Nation, die immer das Wort vom Markt im Munde führen, | |
plötzlich Eingriffe in den Markt fordern werden, sobald die Photovoltaik | |
sich in steigendem Maße alleine behauptet. | |
Diese Eingriffe abzuwehren, wird in den nächsten Jahren ein zentraler Punkt | |
sein für jeden, der die Energiewende unterstützt. Denn eine von oben | |
betriebene Verteuerung des Photovoltaikstroms ist in der Tat die einzige | |
Gefahr, die dem Solarboom droht. Die Debatte um Einspeisevergütungen hat | |
sich unterdessen überlebt. | |
26 Jun 2013 | |
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## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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