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# taz.de -- Journalisten nutzen Big Data: Die Datenschürfer
> Mithilfe von IT-Experten lassen sich auch in den klassischen Medien neue
> Geschichten erzählen. Ein Projekt kommt vom Mitteldeutschen Rundfunk
> (MDR).
Bild: Die Daten sind da, sie müssen nur erst gefunden und für eine Geschichte…
Manchmal, erzählt Marco Maas, kämen sogar Mitarbeiter deutscher Behörden zu
ihm. Sie interessierten sich durchaus für einen offenen Umgang mit Daten
und würden sich gerne dem Klischee widersetzen, hiesige Ämter seien
durchsetzt von vielen kleinen Geheimnisträgern.
„Aber da klaffen dann private und berufliche Interessen auseinander“, sagt
Maas. „Den Ämtern fehlt oft noch der Auftrag, Daten zu publizieren.“ Zur
Verzweiflung treibt ihn das aber nicht. Sein eigenes Geschäft brummt auch
so.
Maas ist Datenjournalist. Er arbeitet in einem Segment, das die
Schnittstelle zwischen klassischen Berichterstattern, Grafikern und
Computerexperten bildet. Journalisten wie Maas haben es auf Rohmaterial
statistischer Ämter abgesehen – einerseits.
Andererseits schürfen sie Datenschätze auch in den Weiten des Internets.
Soziale Netzwerke wie Facebook oder auch Xing, eine Art Laufsteg für
Karriereversessene, sind für Maas so etwas wie das Paradies. Nutzer füttern
sie oft erstaunlich freizügig mit vielen Details aus ihrem Leben.
Und Journalisten wie Maas langen gerne zu: Das frische Material bietet
ihnen – oder Journalistenkollegen in den Redaktionen, denen sie zuarbeiten
– die Chance, neue Geschichten zu erzählen.
## Bisschen belächelt
Der 35-jährige Maas ist eher zufällig zu seinem Beruf gekommen. Mitte der
Neunziger schrieb er für den Ostholsteiner Anzeiger in Euthin, zwischen
Kiel und Lübeck. „Ich komme aus dem Lokaljournalismus, wie sich das
gehört“, sagt Maas, der anschließend, 1999, einer der ersten fünf
Online-Redakteure des NDR wurde – zu einer Zeit also, in der solche
Abteilungen noch gerne als Übergangsphänomen abgetan wurden.
Die Belächelten konnten sich damals aber eben auch verwirklichen – mit
technischen Spielereien, wie dem Herumbasteln an Webseiten.
Am Ende ist es für Maas dabei geblieben: Technik plus Journalismus. Maas
ist einer der Gründer von [1][OpenDataCity] aus Hamburg, einer Agentur für
dieses Feld. In den vergangenen Monaten hat er mit seinen Kollegen vor
allem dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) unter die Arme gegriffen. Dort
gingen eine Handvoll Journalisten zunächst allein der Frage nach, wie es um
die Bildungspolitik im Sendegebiet – Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
– bestellt ist.
Georg Schmolz, Leiter der Rechercheredaktion des MDR, kam schließlich auf
die Idee, sich nicht mit vorgekauten Studien zufrieden zu geben. In der
kommenden Woche wird er die exklusiven Ergebnisse präsentieren – er hofft
auf viel Aufmerksamkeit, vor allem im Osten.
## Am Anfang steht das Sammeln
„Wir haben erst einmal wie die Eichhörnchen Daten gesammelt“, berichtet
Schmolz. Statistische Landesämter, Ministerien, Universitäten – sie alle
lieferten Datensätze. Allerdings: „Darunter waren auch ganz viele Daten,
die wir gar nicht gebraucht haben“, sagt Maas. Die Folge: Das Bild sei
immer diffuser, immer verwirrender geworden. Die MDR-Journalisten verloren
sich im Datendickicht.
„Wenn man Hilfe braucht, dann sollte man sich doch nicht schämen, diese
Hilfe auch in Anspruch zu nehmen“, sagt Schmolz. Und so kamen Maas und
seine Kollegen von OpenDataCity ins Spiel.
Viele Antworten fanden sich bei den Behörden der Länder. Etwa auf die
Frage, wie viel Geld pro Student wirklich in das Hochschulsystem gepumpt
wird – in Sachsen-Anhalt, so das Rechercheergebnis, beispielsweise deutlich
weniger als offiziell ausgewiesen.
Andere Daten gehen bis auf die Landkreisebene herab. Auf der Webseite des
Senders können die Nutzer von der kommenden Woche an selbst anhand von
interaktiven Grafiken sehen, wie stark – über zwölf Jahre hinweg – das
Gefälle zwischen Stadt und Land ist, wenn es um den Anteil der Abiturienten
an den Schulabgängern geht.
## Leben in die Zahlen bringen
„Die Ergebnisse, die wir haben, sind zunächst einmal reine Zahlen. Die
leben noch nicht“, sagt Recherchechef Schmolz, für den der Umgang mit so
vielen Zahlenkolonnen Neuland war. „Wenn man das Zahlenmaterial erst einmal
hat, dann entstehen die eigentlichen journalistischen Fragestellungen: Was
ist da passiert, warum ist das so?“
Für den MDR heißt das konkret: Der Sender fährt nun eine ganze Woche lang
einen Schwerpunkt zur Bildung im Sendegebiet – die Rechercheergebnisse von
Schmolz, Maas und ihren Kollegen sollen nun Beiträge im MDR-Fernsehen und
-Rundfunk sowie das Onlineangebot des Senders unterfüttern. Gut möglich,
dass die Bildungspolitik Mitteldeutschlands noch nie derart tiefgründig und
fundiert von Journalisten unter die Lupe genommen wurde.
Die üppigen Datenbanken der Ämter gaben bei den Recherchen allerdings
selbst für Maas und seine Kollegen nicht immer etwas her. Was machen die
Hochschulabsolventen der drei Ost-Länder heute – sind sie geblieben oder
geflüchtet? „Hier fangen die Universitäten gerade selbst erst an,
Alumni-Programme aufzubauen“, sagt Schmolz. Die etablierten
MDR-Journalisten standen vor einem schier unlösbaren Problem – und das Team
um Maas lief zu Höchstform auf.
## Ein selbstgebastelter Scraper
„Wir haben uns Daten bei Xing gezogen“, sagt er. „Dort stellen ja viele
Nutzer ihre Lebensläufe frei ins Netz, öffentlich zugänglich.“ Die
Datenjournalisten bastelten sich einen sogenannten Scraper, eine
Suchabfrage, die ihre Ergebnisse in einer Datenbank ablegt. Die eigens
programmierte Maschine wühlte sich durch die Profile, erfasste in den
hinterlegten Lebensläufen Stationen, beispielsweise an den Universitäten
Leipzig, Jena und Erfurt, und hielt auch fest, wo die Absolventen
anschließend aktiv wurden.
Die Ergebnisse hält der MDR bis nächste Woche noch unter Verschluss. Der
eigentliche Gewinn aber ist für den Sender, sich vergleichsweise früh der
noch jungen Methode geöffnet zu haben. „Wir sind heute in der Lage, in
kürzester Zeit Daten zu analysieren“, sagt Schmolz. Der Leipziger Sender,
sonst unter Journalisten mitunter kaum wahrgenommen, nimmt in der ARD damit
eine Vorreiterrolle ein.
Unterdessen steckt der Datenjournalismus noch immer in den Kinderschuhen.
Die Nachrichtenagentur dpa hat einst die Chance vertan, hier den Ton
anzugeben – und das Team des Experiments „RegioData“ inzwischen
weitestgehend aufgelöst. Die Projektmitarbeiter ernten nun Daten unter
anderem für den Spiegel und die Welt-Gruppe, sind dort aber meist
Einzelkämpfer. Die meisten Redaktionen haben keine Erfahrung mit
Datenjournalismus.
## Vierstellige Honorare – pro Tag
Ein Kunde ist die Süddeutsche Zeitung, für die das Team um Maas den
[2][Zugmonitor] entwickelt hat, der Verspätungen der Bahn analysiert.
Üblicherweise kostet die Buchung einer Agentur wie OpenDataCity eine
vierstellige Summe – pro Tag und je nach Aufwand. Eine Preisspanne, von der
die Hamburger Datenjournalisten aber auch schon mal Abstand genommen haben,
um Low-Budget-Projekte quasi zum Selbstkostenpreis zu unterstützen.
„Redaktionen unterschätzen oft, wie aufwändig solche Projekte sind und
damit auch: wie teuer“, sagt Maas. Seine Kunden kämen deshalb auch nicht
mehr allein aus dem Journalismus. Immer wichtiger würden wiederum
Organisationen, Stiftungen und Verbände.
„Auch Parteien fragen inzwischen nach.“ Redaktionen geben so Themen aus der
Hand. Für einen Journalismus, der gewillt ist, in die eigene Zukunft zu
investieren, spricht das gewiss nicht.
6 Jul 2013
## LINKS
[1] http://www.opendatacity.de/
[2] http://zugmonitor.sueddeutsche.de
## AUTOREN
Daniel Bouhs
## TAGS
Datenjournalismus
Datenbank
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Edward Snowden
Internet
Rechtsextremismus
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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