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# taz.de -- Fernbusse in Deutschland: Schweben auf der Autobahn
> Vor einem halben Jahr wurde der Fernbusverkehr liberalisiert. Nun gibt es
> Angebote teils zu echten Kampfpreisen und neue Probleme.
Bild: Links oder rechts? Seit Januar hat man im Fernverkehr die Wahl.
Wer sich nicht auskennt, muss sich durchfragen: Auf dem nahe gelegenen
S-Bahnhof findet sich kein Hinweis auf den Zentralen Omnibusbahnhof
Berlins. Die Busstation, direkt am Autobahndreieck Funkturm gelegen, ist
übersichtlich, aber zugig; an manchen Ecken riecht es nach Urin. Hier
kommen Linienbusse aus ganz Europa an – aber seit der Liberalisierung des
Fernbusmarktes in Deutschland zu Beginn dieses Jahres auch aus immer mehr
inländischen Städten.
Es ist morgens, 9.05 Uhr, an einem Werktag. Der Linienbus aus Leipzig ist
fünf Minuten zu früh da – trotz Stau auf der Autobahn. „Ich steige hier in
Berlin um, fahre weiter zu meinen Eltern in Rostock“, sagt ein Leipziger
Student. Er fährt regelmäßig mit dem Bus, weil der deutlich billiger ist
als die Bahn oder deren Konkurrent Interconnex. Der günstigere Preis ist
für viele Reisende das Hauptargument, statt Bahn oder Auto den Bus zu
wählen.
Der Busmarkt boomt, bundesweit gibt es immer mehr Anbieter von
Fernbusverbindungen. Ende 2012 waren es knapp 90 Linien; mittlerweile sind
es laut Branchenangaben bereits 160. Nicht nur für die Unternehmen
lukrative Angebote zwischen den Ballungszentren sind im Angebot, auch
Provinzstädte, deren Bahnanbindung zu wünschen übrig lässt, werden
angefahren. „Die Liberalisierung im Fernverkehr wird angenommen“, sagt
Christiane Leonhard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher
Omnibusunternehmer (BDO).
Völlig sorgenfrei ist die mittelständisch geprägte Branche trotzdem nicht.
Einerseits kann sie nun fahren, wohin sie will. Andererseits drängen große
Unternehmen – neben der Bahn etwa die Post – in den Markt. Das könnte
bedeuten: Die großen, finanzstarken Anbieter machen den angestammten
Unternehmen mit Kampfpreisen Druck – und die könnten unter die Räder
geraten. „Für 9 Euro kann niemand durch ganz Deutschland fahren“, sagt
BDO-Präsident Wolfgang Steinbrück.
## Verdrängung mit Dumpingpreisen
Die Konkurrenz der Großen macht auch einem der neuen Anbieter, MeinFernbus,
zu schaffen, der nach eigenen Angaben in 14 Monaten 25 Fernbuslinien mit 85
Bussen aufgebaut hat. Auf einigen Strecken zeichne sich bereits „eine
Verdrängungsstrategie ab, die die Bahn mit ihrer quersubventionierten
Bussparte zu Dumpingpreisen fährt“, sagt Firmensprecher Gregor Hintz.
Mit Preisen von 14,90 Euro für die einfache Fahrt von Berlin nach Dresden –
lockt beispielsweise die Reise-Sparte des Discounters Aldi. Wer dort ein
Ticket bucht, wird beim Einstieg überrascht: Der vermeintliche Aldi-Bus
entpuppt sich als ganz normales Fahrzeug des Berlin-Linien-Busses,
betrieben von einer Tochter der Deutschen Bahn AG. „Ja, der Aldi-Bus ist
jetzt dazugekommen“, sagt der Fahrer. Aber viel mehr Fahrgäste als sonst
gebe es dadurch nicht.
Das Einsteigen beginnt eine Viertelstunde vor der Abfahrt, zur Abfahrt sind
alle drin, der Bus ist etwa zur Hälfte besetzt. Eine Sitzplatzreservierung
ist nicht möglich; allerdings werden nur so viele Fahrkarten verkauft, wie
es Sitzplätze gibt. Kurz nach der Abfahrt bittet der Busfahrer die
Passagiere, sich anzuschnallen – aber die meisten hören nicht auf ihn.
## Wer an Bord sein Ticket kauft, zahlt mehr
Am Flughafen Berlin-Schönefeld steigen weitere Reisende ein, die ihre
Fahrkarten im Internet gebucht haben – zum Beispiel ein Tourist aus London,
der einen Freund in Dresden besuchen will. „Der Zug nach Dresden ist viel
teurer und auch nicht schneller“, sagt er. Seine Busfahrkarte kostet 18
Euro, die Bahn hätte 39 Euro verlangt.
In Schönefeld steigen auch Passagiere ein, die sich erst im Bus die
Fahrkarte kaufen – aber nicht alle Interessenten können mit, weil alle
Sitzplätze belegt sind. Wer sein Ticket im Bus kauft, zahlt 20 Euro, also
bis zu 5 Euro mehr als bei einem früheren Erwerb der Fahrkarte.
„Es ist ein bisschen eng im Bus“, sagt ein Rentner. „Aber dafür ist es
günstiger als die Bahn.“ Sogar eine Toilette gibt es im Bus; sie ist sehr
sauber, besser als in vielen Zügen. Die Fahrt ist ruhig, gleichmäßig,
angenehm; nur das mit viel Werbung durchsetzte Radioprogramm, das der
Fahrer hört, nervt auf die Dauer.
Als der Bus nach gut zwei Stunden in Dresden-Neustadt ankommt, hat er fünf
Minuten Verspätung. Wer dort zusteigen will, muss im Regen stehen –
Sitzgelegenheiten oder ein überdachtes Wartehäuschen gibt es nicht.
Mitunter mangelnden Komfort für die Fahrgäste beklagt auch die Branche.
„Ein wichtiger Schritt in die Zukunft des Fernbusmarktes sind ausreichende
Haltestellen für die Fernbusse in den Städten“, sagt BDO-Chef Wolfgang
Steinbrück. Für die Busunternehmer sei es von großer Bedeutung, dass die
Busse an zentralen Punkten – am besten an Schnittstellen zum öffentlichen
Nahverkehr – halten können.
## Fehlende Akzeptanz bei Kommunen
„Viele Städte haben hier noch Nachholbedarf“, sagt MeinFernbus-Sprecher
Hintz. Bei den Kommunen stoße das Unternehmen bisweilen auch auf
Widerstand. „Der Fernbus ist in einigen Köpfen noch nicht als
leistungsfähiges Fernverkehrsmittel und regionaler Wirtschaftsfaktor
angekommen.“
Die Umweltbilanz der Busse kann sich durchaus sehen lassen. Fernbusse sind
meist sehr gut ausgelastet, nur dann lohnen sie sich für die Betreiber;
entsprechend planen diese ihre Routen. Durch die hohe Auslastung gelten die
Busse als besonders klimafreundlich.
Aber die Liberalisierung des Fernbusverkehrs stößt nicht überall auf
Gegenliebe. Bahnfreunde befürchten vor allem Nachteile für die Bahnen, da
deren Attraktivität durch neue Angebote leiden könnte. Vor allem bemängeln
sie, dass die Busse keine Autobahnmaut bezahlen, während Bahnen
Trassenpreise für ihre Züge berappen müssen; dabei sind sowohl Autobahnen
als auch Schienenwege vom Staat finanziert worden. Auch mangelnde
Fahrgastrechte, etwa bei Verspätungen, stoßen auf Kritik, da für die Bahn
strengere Vorgaben gelten als für Busse.
Das größte Problem mit der Liberalisierung haben Gewerkschafter. „Bei den
neuen Anbietern handelt es sich meist um reine Vertriebsplattformen im
Internet“, sagt der Branchenexperte der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di,
Stefan Heimlich. „Die konkrete Leistung erbringen dann Subunternehmer.“ Die
seien oft sehr kleine Betriebe mit fünf bis acht Beschäftigten, in denen
eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer kaum möglich sei.
## Die Lokführer fürchten um das Angebot der Bahn
Zwar gebe es regionale Tarifverträge, aber die Unternehmen wendeten diese
häufig nicht an, so Heimlich. „Busfahrer werden dann mit Pauschallöhnen von
2.000 bis 2.100 Euro brutto abgespeist – ohne Zuschläge für Sonntags- oder
Nachtarbeit.“ Lokführer bekommen laut Heimlich Einstiegsgehälter von 2.700
bis 2.800 Euro. „Das Subunternehmertum muss beendet werden“, fordert
Heimlich. Bei Ausschreibungen im Busliniennahverkehr sei dies bereits
möglich. „Wer die Ausschreibung gewinnt, muss die Leistung auch selbst
erbringen.“
Die Lokführergewerkschaft GDL sorgt sich um das Angebot der Bahn. Manche
Fernverkehrsstrecken, etwa zwischen Mittelzentren, seien heute schon wegen
zu geringer Auslastung nicht wettbewerbsfähig, sagt GDL-Sprecher Stefan
Mousiol. „Wenn dort Parallelverkehre mit Bussen entstehen, wird die Bahn
kaum noch in der Lage sein, das komplette Fernverkehrsangebot
aufrechtzuerhalten.“
Vor der Rückfahrt in Dresden-Neustadt: „Ich bin komplett auf den Bus
umgestiegen“, sagt eine Frau, die zwischen Berlin und Dresden beruflich
pendelt. „Die Bahn ist mir zu teuer und auf dieser Strecke auch nicht viel
schneller.“ Die Bahn braucht auf der noch nicht ausgebauten Strecke
fahrplanmäßig zwei Stunden und fünf Minuten; der Bus schafft es
fahrplanmäßig in zweieinhalb Stunden. Allerdings sei der Bus nicht immer
pünktlich, sagt die Frau. „Für mich ist das nicht so schlimm, ich muss
keine wichtigen Anschlüsse bekommen. In der Stadt fährt ja immer etwas.“
Ein Seniorenpaar, das eine Kurzreise in die Hauptstadt plant, ist vom Auto
auf den Bus umgestiegen. „Wir wollen unseren Wagen nicht drei Tage in
Berlin stehen lassen“, sagt die Frau. „Man kann ja nie wissen.“
Umgestiegen ist auch eine Studentin – von einer Internet-Mitfahrzentrale
zum Bus. „Seitdem die im Internet Geld für die Vermittlung haben wollen,
mache ich nicht mehr mit“, sagt sie. „Da fahre ich lieber mit dem Bus“,
meint sie, setzt ihre Kopfhörer auf, schaltet Musik ein und macht ein
ausgedehntes Nachmittagsschläfchen. Busfahren kann sehr entspannend sein,
wenn man auf der Autobahn schwebt.
22 Jul 2013
## AUTOREN
Richard Rother
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