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# taz.de -- Minderheiten in China: Bloß „schmutzig“ und „kulturlos“
> Mehr Geld, mehr Fabriken, mehr Rechte verspricht Peking den Minderheiten.
> Doch es brodelt. Lockerungen sind dennoch nicht in Sicht – im Gegenteil.
Bild: Sie gibt es auch noch: Miao-Chinesen, ein indigenes Volk, bei lokalen Fei…
PEKING taz | Ma Yun hatte bislang einen makellosen Lebenslauf. Der
23-Jährige studierte an der renommierten Pekinger Tsinghua-Universität
Wirtschaft und Japanisch. Gleich im Anschluss seines Studiums fand er vor
einem Jahr eine Anstellung bei einer chinesischen Handelsfirma in
Schanghai. Doch vor zwei Wochen setzte ihn sein Vorgesetzter vor die Tür.
Ma gehört zur ethnischen Minderheit der Hui und ist muslimischen Glaubens.
Zum Zuckerfest am 8. August, dem Ende des Ramadan, wollte er sich frei
nehmen. Sein Chef fand, dass Ma in der Schanghaier Hitze „weniger
leistungsfähig“ sei, weil er tagsüber nichts isst und weniger trinkt: „Es
stört die Abläufe, Hui zu sein“, habe er Ma mitgeteilt.
Offiziell genießen die insgesamt 55 offiziell anerkannten „nationalen
Minderheiten“ in China den Schutz des Staates. Das Gesetz sieht vor, dass
sprachliche, religiöse und kulturelle Besonderheiten geachtet werden und
Diskriminierung untersagt ist. Bei der Gründung der Volksrepublik 1949
versprachen die Kommunisten, den Minderheiten auf dem chinesischen
Staatsgebiet mindestens die gleichen Rechte einzuräumen wie den
dominierenden Han-Chinesen. Das Motiv damals: Die KP wollte aufräumen mit
feudalem Denken und auf keinen Fall den Verdacht auf sich ziehen, sie trete
in die Fußstapfen der Kolonialherren.
Die Minderheiten erhielten Sonderrechte: eigene Schulen, Radio- und
Fernsehstationen – stets unter staatlicher Kontrolle, versteht sich. Beim
Hochschulzugang benötigen Angehörige der Minderheiten eine geringere
Punktzahl als ihre Han-chinesischen Mitbürger. Die Anfang 1980 eingeführte
Ein-Kind-Politik gilt für die Minderheiten nicht. Ihre Sprachen und
Schriften werden speziell gefördert. Diese Sprachförderung gibt es etwa für
die vielen Tausenden Dialekte der Han-Chinesen nicht.
Selbst im Nationalen Volkskongress ist für jede anerkannte Minderheit eine
Quote festgelegt. Chinas Parlament genießt aber kein wirkliches
Mitspracherecht, auch die Volksvertreter der nationalen Minderheiten nicken
nur ab, was die Parteispitze vorgibt. Zudem wird die staatlich verordnete
Förderung der Minderheiten in vielen Regionen kaum umgesetzt. Parteichef –
mächtiger als jeder Gouverneur – in Tibet oder Xinjiang wurde bisher stets
ein Han-Chinese.
## Kulturell und ökonomisch überlegen
Gewaltsame Konflikte haben in den vergangenen Jahren zugenommen – was unter
anderem mit gestiegenem Selbstbewusstsein der Han-Chinesen und
zusammenhängen dürfte: Diese stellen mit rund 92 Prozent der Bevölkerung
die große Mehrheit – auch in den meisten von Minderheiten besiedelten
Gebieten.
Viele Han-Chinesen fühlen sich kulturell und ökonomisch überlegen. Das
Verhältnis der Volksgruppen spiegelt sich im Straßenbild Ürümqis wider, der
Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang weit im Nordwesten Chinas: Die
Uiguren, Kasachen und Angehörigen der Hui – allesamt muslimisch geprägte
Ethnien – leben zumeist in alten, eher heruntergekommenen Bezirken mit
ihren Moscheen und Basaren.
Eine sechsspurige Straße trennt die Altstadt vom modernen Teil mit
gläsernen Hochhäusern und Shopping Malls. „Han-Chinesen passieren nur
selten diese Straße und kommen auf unsere Seite“, berichtet die
Kasach-chinesische Studentin Alwina an der Xinjiang-Universität. Der
Han-chinesische Zuwanderer und Taxifahrer Zhou Quan sagt, er habe nichts
gegen Uiguren. Sie seien bloß „schmutzig“ und „kulturlos“.
Solche Einstellungen unter Han-Chinesen finden sich in vielen von
ethnischen Minderheiten besiedelten Regionen. In Ürümqi explodierten
Spannungen zwischen Uiguren und Han-Chinesen im Juli 2009: etwa 200
Menschen starben. In tibetisch besiedelten Gebieten Chinas war es bereits
ein Jahr zuvor, im März 2008, zu blutigen Angriffen von Tibetern auf die
Zuwanderer gekommen. Die Regierung reagierte mit Massenfestnahmen.
Inzwischen haben sich aus Protest gegen die Politik Pekings mindestens 120
Tibeter angezündet, berichten Exilorganisationen.
## Hausarrest wegen kritischer Äußerung
Im täglichen Leben sind es „vor allem Diskriminierungen des Alltags, denen
sich die Minderheiten ausgesetzt führen“, sagt der uigurische Professor
Ilham Tohti, der an der Nationalitäten-Universität in Peking unterrichtet
und in der Vergangenheit mehrfach unter Hausarrest gestellt wurde, weil er
sich kritisch geäußert hatte. Das Thema Minderheiten gilt in China als so
heikel, dass sich Han-chinesische Kollegen auf Anfrage derzeit nicht zur
aktuellen Politik der Führung äußern mögen.
Aktiv zeigt sich die chinesische Führung bei der Wirtschaftsförderung
angesichts der Tatsache, dass die Regionen mit hohem Anteil an Minderheiten
zu den ökonomisch am wenigsten entwickelten Regionen gehören. Peking bemüht
sich dort etwa gezielt um die Ansiedlung von Unternehmen: Volkswagen bekam
den Bau von zwei neuen Werken im Kernland Chinas nur gestattet, nachdem der
Wolfsburger Konzern zusagte, auch in Ürümqi eine Fabrik zu errichten. Zudem
wird der innerchinesische Tourismus in diesen Regionen massiv gefördert.
Allerdings profitieren von dieser Politik zumeist Han-Chinesen. In der
tibetischen Hauptstadt Lhasa etwa sind fast sämtliche Geschäfte in
chinesischem Besitz, die überwältigende Mehrheit der Arbeiter in Fabriken
sind Han-Chinesen.
Der uigurische Ökonom Tothi warnt seit Langem, die Minderheitenpolitik
drohe zu scheitern, wenn das Problem der Unterbeschäftigung nicht ernsthaft
angegangen werde. Tibetische und uigurische Exilorganisationen kritisieren,
die Ansiedlung neuer Betriebe habe den Zuzug von Han-Chinesen sogar noch
verstärkt. Schon jetzt machten in Lhasa die Tibeter nur noch weniger als 20
Prozent der Bevölkerung aus, die Uiguren in Ürümqi sogar nur noch 12
Prozent.
Die Menschen in Tibet genössen „ein glücklicheres Leben und Freiheiten wie
niemals zuvor“, behauptete hingegen der für Außenpolitik zuständige
chinesische Staatsrat Yang Jiechi vor wenigen Wochen vor US-Journalisten.
In den vergangenen Monaten spekulierten Beobachter in tibetischen
Exilorganisationen über mögliche politische Lockerungen – zumindest in
einigen tibetisch besiedelten Regionen. Doch dann schossen in der ersten
Juli-Woche Polizisten und Militäreinheiten in der Kreisstadt Daofu in der
Provinz Sichuan zwei tibetischen Mönchen in den Kopf und nahmen 20 weitere
Tibeter fest. Auslöser: Die Tibeter wollten den 78. Geburtstag des Dalai
Lama begehen, der seit 1959 im indischen Exil lebt. Eindeutiger konnte
Pekings Dementi nicht ausfallen.
24 Jul 2013
## AUTOREN
Felix Lee
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