| # taz.de -- Ruhrtriennale in Duisburg: Die Verwaltung unserer Gegenwart | |
| > Höhepunkt im diesjährigen Programm: Die Performance-Kollaboration des | |
| > britischen Dokumentarfilmemachers Adam Curtis mit der Band Massive | |
| > Attack. | |
| Bild: Massive Attack – hier bei einem Festivalauftritt – spielgen live be… | |
| Was verbindet Bill Clinton mit Sigmund Freud? Wo sind die Ähnlichkeiten von | |
| Richard Dawkins und dem Architekten Buckminster Fuller? Und was haben die | |
| Pop-Art-Künstlerin Pauline Boty und der russische Punksänger Jegor Letow | |
| gemeinsam? | |
| Sie alle sind Protagonisten in der großen Welterzählung von Adam Curtis. | |
| Moment. Adam wer? In Deutschland kaum bekannt, ist Curtis in Großbritannien | |
| eine Ausnahmeerscheinung, ein Dokumentarfilmer von Ideen. Wobei das | |
| eigentlich nur so halb stimmt. Denn Curtis interessiert nicht die | |
| Geschichte der großen Einfälle von noch größeren Denkern. | |
| Sondern, wie diese Einfälle aus Professorenbüros und Thinktanks in die | |
| Machtzentralen von Politik und Militär wandern und da zu den politischen | |
| Doktrinen sich selbst als „frei“ beschreibender Systeme werden – zu | |
| Regierungsinitiativen und zu Wahlkampfstrategien. Und wie diese Ideen immer | |
| wieder scheitern, wenn sie auf Macht, Interessen und Unwägbarkeiten | |
| treffen. | |
| Adam Curtis, Jahrgang 1955, ist der Genealogist unserer Gegenwart. Einer | |
| Gegenwart, die er in dreistündigen Filmen als das Resultat von Irrtümern | |
| und Fehlschlüssen beschreibt. Morgen stellt er seinen neuen, unbetitelten | |
| Film bei der Ruhrtriennale in Duisburg vor. Es ist eine Zusammenarbeit mit | |
| Massive Attack, den Bass-Pionieren aus Bristol. | |
| „Bis vor Kurzem haben wir an die Idee von Fortschritt geglaubt. Die | |
| Funktion von Politik, aber auch der meisten Kunst – sogar des Journalismus | |
| – war, dass man die Welt verändern sollte“, beschreibt Curtis die Idee | |
| hinter dem gemeinsamen Projekt während der ersten Aufführung in Manchester. | |
| „Wir versuchen, den Leuten zu erklären, dass die Art wie ihre Gesellschaft | |
| organisiert ist, sehr rigide und konservativ ist. Man wird bedient, man | |
| erhält, was man bekommt, und alles ist verwaltet.“ | |
| ## „Managerialismus“ | |
| Diese Verwaltung der Gegenwart, Curtis nennt sie „Managerialismus“, ist das | |
| Leitmotiv seiner letzten Filme. In „Century of the Self“ (2002) beschreibt | |
| er, wie die Psychoanalyse zur Heilslehre eines privatisierten Selbst wurde | |
| und wie dieses Selbst über Fokusgruppen, Umfragen und PR sich zum Maßstab | |
| politischen Handelns entwickelte. | |
| In „All Watched Over by Machines of Loving Grace“ (2011) werden die | |
| Kybernetik, Theorien von sich selbst regulierenden Ökosystemen und dem | |
| „Egoistischen Gen“ zu den Mitverursachern einer Politik, die ihre eigenen | |
| Möglichkeiten verkennt und deshalb ohnmächtig der Finanzkrise oder dem | |
| Völkermord in Ruanda gegenüberstand. | |
| Selbstverständlich erinnert das alles an Frank Schirrmachers Bestseller | |
| „Ego“ aus dem letzten Jahr – beziehungsweise umgekehrt. Aber wo sich der | |
| FAZ-Feuilletonchef in der Position der Kassandra gefällt, die den Untergang | |
| des bürgerlichen Subjekts zu den Massen predigt, ist Curtis intelligent | |
| genug, nicht als einsamer Rufer in der Wüste zu agieren. Sondern als einer | |
| von vielen. | |
| „The Power of Nightmares“, seinen Film über den Aufstieg einer „Politik … | |
| Angst“ durch den radikalen Islamismus und den religiösen Neokonservatismus, | |
| beendet Curtis mit einer Montage aus „Aladins Wunderlampe,“ zwei | |
| afghanischen Männern inmitten weißer Tauben und einer x-beliebigen | |
| Luxus-Shoppingmeile. Dazu läuft Burt Bacharachs „Raindrops Keep Falling on | |
| My Head“ mit der Zeile: „I’m free, nothing’s worrying me.“ | |
| Anstatt seine Zuschauer mit akustischen Schauer- und Jubeleffekten ganz | |
| fest bei der Hand zu nehmen, öffnet Curtis die Bild-Ton-Schere weit und | |
| lässt sie nicht wieder zuschnappen. In seinen Filmen bewegen sich | |
| Computerprogrammierer zum Takt von „Love Child“ der japanischen | |
| Lounge-Pop-Band Pizzicato 5. | |
| Eine Passage über die Entstehung der Ökosystemtheorie in der Endphase des | |
| britischen Empire illustriert Curtis mit Bildern sich öffnender | |
| Pflanzenkelche, einem Aufmarsch greiser Akademiker im | |
| Prä-Apartheid-Südafrika und einer englischen Fuchsjagd. Dazu spielt ein | |
| formlos digitaler, elektroakustischer Soundtrack, der mit den dargestellten | |
| Zeitperioden nichts zu tun hat. | |
| ## Immer kurz vor der Albernheit | |
| Curtis’ Montagen ähneln einer Jazz-Improvisation – sie sind Variationen | |
| eines Themas, das sich beim Streifzug durch die BBC-Archive entwickelt. Mal | |
| ernst, mal verstiegen, mal verspielt. Und immer wieder kurz vor der | |
| Albernheit. | |
| Und so kommt es, dass morgen in Duisburg auf der Leinwand Jane Fonda Dehn- | |
| und Stretchübungen vorführen wird, während im Hintergrund Massive Attack | |
| „Just like Honey“, diese Heroin-Slackerhymne aus den mittleren Achtzigern, | |
| covern. „Wir covern nicht, wir nehmen Musik aus der Vergangenheit, um damit | |
| ein politisches Statement zu machen“, berichtigt Curtis. „Wir wollen, dass | |
| Menschen die Musik um sie herum wahrnehmen. Pop ist nicht notwendigerweise | |
| die neutrale, einfach gestrickte Sache, für die wir sie halten. Sie hält | |
| uns in dieser statischen Welt gefangen.“ | |
| Ist es doch so einfach? Man nimmt Songs und Bilder, die jeder kennt, lässt | |
| sie von Massive Attack als eine Art Soundsystem-Remix covern, und heraus | |
| kommt der Verfremdungseffekt, der dem Publikum schließlich die Augen für | |
| seine eigene gesellschaftliche Lage öffnet? | |
| Vielleicht unterschätzt Curtis dabei die Verführungskraft seiner eigenen | |
| Geschichten. Für die Produktion bei der Ruhrtriennale schneidet er die | |
| Biografie der britischen Pop-Art-Künstlerin Pauline Boty und von Jegor | |
| Letow, dem Sänger der oppositionellen russischen Punkband GrOb | |
| gegeneinander. Boty stirbt 1966 an Krebs, ihre Tochter wird ebenfalls | |
| Künstlerin und studiert an der Kunsthochschule CalArts, der Wiege | |
| kalifornischer Gegenkultur. | |
| Aber die Geschichte der künstlerischen Opposition kommt 1989 an ein Ende. | |
| Im Westen schlägt das Erbe von „Swinging Sixties“, Pop- und Gegenkultur in | |
| den neuen Geist des Kapitalismus um, der sich seine lebensweltliche | |
| Toleranz mit einer Ökonomie erkauft, die über Algorithmen immer rigider | |
| wird. | |
| Und im Osten wird aus der Aufbruchsstimmung das Putin-Regime, in dem der | |
| KGB-Mann eine Opposition inszenieren lässt, um das Auslöschen der | |
| Alternativen zu übertünchen. Curtis’ Protagonisten reagieren auf diese | |
| Alternativlosigkeit mit Nostalgie: Jegor Letow wird zum rechtsradikalen | |
| Nationalbolschewiken, Pauline Botys Tochter begeht Selbstmord, weil sie das | |
| Paradies ihrer Kindheit wiederfinden möchte. | |
| Dazu projiziert Curtis Bilder von einem Fernsehauftritt Kurt Cobains, | |
| während Massive Attack ein Stück des Dubstep-Produzenten Burial spielen und | |
| Adam Curtis aus dem Off spricht: „Wir sind umgeben von den Geistern der | |
| Toten.“ | |
| ## Hypnotische Ambivalenz | |
| Wie seine Filme ist auch der Auftritt mit Massive Attack voll von | |
| hypnotischer Ambivalenz. Leicht desorientiert steht man inmitten von elf | |
| überdimensionierten Leinwänden, folgt dem Flow der Bilder, auf denen man | |
| Figuren der Weltgeschichte wiedererkennt: Donald Trump, Nicolae Ceausescu, | |
| CNN-Chef Ted Turner. Es sind Ikonen eines längst untergegangenen 20. | |
| Jahrhunderts, deren Platz in der Geschichte Curtis neu verhandelt. | |
| Zusammengehalten wird all dies von Curtis’ Stimme aus dem Off. Sie erzählt | |
| etwas kurzatmig, trotzdem schwingt in ihr die Nüchternheit alter | |
| BBC-Dokumentationen mit. „This is the story of how …“ lauten die | |
| Anfangssätze von Curtis’ Filmen, auf deren Tonspur er wie ein Welterklärer | |
| spricht, während ihm die Bilder immer wieder auf der Nase herumtanzen. | |
| „Wie ein Roman“ sollte das gemeinsame Projekt mit Massive Attack werden, | |
| erzählt er. Es wäre ein postmoderner Roman, vollgepfropft mit dem Schutt | |
| der digitalen Archive – aber mit dem Anspruch der Moderne. Ein Roman, der | |
| die Welt verändern soll. | |
| „Ich will wissen, warum es diese allgemeine Stimmung eines ’O. k., das | |
| war’s‘ gibt“, fasst er zusammen. „Aber unser Publikum soll merken, dass… | |
| an ihm liegt, etwas zu verändern, nicht an uns. Ich bin nur ein | |
| Schreiberling.“ Und deutet dann auf Robert del Naja von Massive Attack. | |
| „Und er ist nur ein Mucker.“ | |
| 28 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Werthschulte | |
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