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# taz.de -- Abschluss der Ruhrtriennale: Aufglühen und zersetzen
> Zum Finale wurde „utp_“ aufgeführt, eine Komposition, die Mannheims
> Stadtplan reflektiert. Auf dessen Muster basiert die wunderbare Musik des
> Stücks.
Bild: In 72 Minuten den rektangulären Grundriss der barocken Stadt Mannheim in…
BOCHUM taz | Es ist der krönende Abschluss der diesjährigen Ruhrtriennale.
Sanft legt sich die herbstliche Abendsonne auf die massive
Industriearchitektur der Jahrhunderthalle in Bochum. Mit ihren rot-rostigen
Stahlskeletten, dem dunklen Backsteingemäuer und den riesigen Betontürmen
bietet sie die architektonische Kulisse eines Festivals, das das Erbe des
Ruhrgebietes künstlerisch reflektieren soll.
Außen die vergangene Architektur der Schwerindustrie und innen die
Architektur einer Barockstadt, mit der der japanische Pianist Ryuichi
Sakamoto (unter anderem Gründer des Yellow Magic Orchestra), und der
Klangkünstler Alva Noto alias Carsten Nicolai gemeinsam mit dem Ensemble
Modern das Finale der Ruhrtriennale bestreiten.
Es ist der Grundriss des kurfürstlichen Mannheims, 1607 von Friedrich IV.
von der Pfalz wie ein Gitter vor sein Schloss und zwischen Rhein und Neckar
gelegt, das den konzeptionellen Kern dieser letzten Aufführung bringt.
„utp_“ heißt die Komposition, ursprünglich aus Anlass des 400-jährigen
Stadtjubiläums von Mannheim entstanden, die in 72 Minuten den rektangulären
Grundriss der barocken Stadt in Klang und Bild reflektiert. Das Visuelle
bestimmt in dieser Aufführung jeden Ton.
In der Jahrhunderthalle wurde eine breite Leinwand über die Bühne gespannt.
Ein Video von Carsten Nicolai wird darauf projiziert. Aus dem
Schachbrettmuster der Barockstadt generierte der Klangkünstler stetig
changierende Musterformationen, in denen sich das Mannheimer Quadrat vom
Streifen zu langsam pulsierenden Waben, einem Punkt oder einem gleißenden
Flimmern wandelt. Nicolai übersetzte das strukturelle Prinzip eines
Stadtgrundrisses in ein bewegtes Bild, das zugleich die Partitur der
Komposition ist.
## Vibrierender Grundton
Es sagt den Musikern, wie sie mit den Klängen umzugehen haben. Alles
beginnt mit einem hohen, leicht vibrierenden Grundton. Auf das tiefe
Schwarz der Bühne wird ein heller Strich projiziert. Minimale
Frequenzänderungen des Digitaltons schwingen mit einer langsamen Bewegung
der visuellen Notation. Dem Grundton schmiegen sich die Streicher an,
lassen ihn ansteigen, während andere Instrumente mit Störtönen den
Klangraum immer wieder durchbrechen.
Alva Notos und Sakamotos mittlerweile über zehn Jahre andauernde
musikalische Zusammenarbeit ist poetisch, aber minimalistisch, kühl und
leer. Mit dem Ensemble Modern kommt nun das Warme des Holzes, das Knacken,
das Scharpen und Ziehen der Streicher hinzu. Ryuichi Sakamoto und die zwölf
Instrumentalisten legen zwischen Alva Notos Digitalraster ein analoges
Rauschen.
Und dieses Rauschen löst sich im Laufe der 72 Minuten zu jenem Sound auf,
der so charakteristisch für das Duo Alva Noto/Sakamoto ist. Die flachen
Melodien des Pianisten werden von den Streichern übernommen, die jeden Ton
nachhallen und mit einem Crescendo anschwellen lassen, wie sich auch die
Quadrate Mannheims in schwebenden Rastern über den Musikern leicht
aufblasen.
Diese in Klang und Bild gefasste Tiefe der Komposition „utp_“ zeigt eine
weitere Reflexion mit der Stadt Mannheim. Um 1750 kristallisierte sich in
der kurfürstlichen Residenz ein musikalischer Stil heraus, der von der
barocken Kontrapunktkomposition zu einer vertikal orientierten Struktur mit
Akkorden wechselte. Die Aufführung ist reinste Perfektion. In technischer
Präzision gehen Instrumentalklänge, Alva Notos Digitalstrukturen und die
visuelle Notation zusammen. Der britische Lichtdesigner Nigel Edwards lässt
mit dezentem Scheinwerferlicht vereinzelt die Musiker aus dem Schwarz der
Bühne aufleuchten oder ein tiefes Rot aus dem Hintergrund aufglühen.
## Ausgefeilte Tektonik
Ein dramaturgischer Höhepunkt, berauschend und auflösend, entfaltet sich
kurz vor Schluss der Vorstellung, wenn langsam ansteigende Akkordklänge und
ein dumpfes Vibrieren in einem lauter werdenden Klang zerspringen und das
Licht- und Videodesign von einem gleißenden Weiß zersetzt werden.
Am Ende tosender Applaus in der Jahrhunderthalle. Die Zuhörer sind
begeistert von einer Komposition, die in den Dienst des Bildes gestellt
wurde, in seiner ausgefeilten Tektonik aber dann doch zu wenig Brüche
bietet. Dem idealen Rastergrundriss der Stadt Mannheim wird „utp_“ damit
allerdings gerecht.
1 Oct 2012
## AUTOREN
Sophie Jung
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