# taz.de -- Ruhrtriennale: Stöbern im Märchenarsenal | |
> Die britische Performancegruppe Forced Entertainment und der libanesische | |
> Klangkünstler Tarek Atoui mit „The Last Adventures“ in Gladbeck. | |
Bild: Krieg zwischen Baumatrrappen: The Last Adventures in der Maschinenhalle Z… | |
Wenn letzte Abenteuer angekündigt werden, hat man es meist mit einer | |
untergehenden Welt zu tun. Da kämpfen historisch überständige Helden einen | |
finalen Kampf und halten alte Werte noch einmal in den Durchzug einer neuen | |
Zeit. Geschichten aus der moralischen Grabbelkiste, schwer | |
kitschverdächtig, mit melancholisch-gutem Ende. | |
Wenn aber – wie am vergangenen Wochenende – die britische Performancegruppe | |
Forced Entertainment (unter Leitung von Tim Etchells) bei der Ruhrtriennale | |
ihre „Last Adventures“ auf die Bühne bringt, geht das kitschfrei | |
vonstatten. Zudem wenig moralisierend und am allerwenigsten stringent | |
erzählt. | |
Die Performer – 16 an der Zahl – tragen Stühle herein, wechseln hier ein | |
Wort, dort ein Lächeln. Ganz ungezwungen. Alle nehmen Platz und zwei | |
Lehrende sprechen ihren Schülern Sätze vor, die diese chorisch wiederholen. | |
Eine Situation zwischen Sprachunterricht und Speaker’s Corner mit Sätzen | |
wie „This river runs by a road“, „The sky is black at night“ oder „A … | |
cannot remember“. Simple Aussagen, mal schneller, mal langsamer gesprochen, | |
mal Sinn ergebend, dann wieder nicht. | |
## Vermessen und interpretiert | |
Die Welt wird vermessen und interpretiert, vom Himmel und den Wolken über | |
Menschen und Tiere bis zu Häusern und Messern. Alles hat hier seinen Platz. | |
Zugleich findet man ein Konvolut an Sätzen, aus dem man Hunderte von | |
Geschichten spinnen könnte. Als Einleitung hatte zuvor der libanesische | |
Soundartist Tarek Atoui mit elektronischen Sounds die Maschinenhalle | |
Zweckel in Gladbeck beschallt, die er mit Hand- und Körperbewegungen | |
hochempfindlichen Sensoren entlockte. Ein Grundrauschen, in das die Sprache | |
zunächst selbstsicher einfällt, sich behauptet und dann jämmerlich | |
untergeht. | |
Etchells’ Glaube an das Wort ist also nur von kurzer Dauer. Anders als in | |
früheren Produktionen der Truppe dominiert diesmal nicht die Erzählung und | |
der direkte Kontakt des Performers mit dem Publikum. Etchells setzt ganz | |
auf das Bild und bohrt damit den gewaltigen Erinnerungsspeicher des | |
Zuschauers an, holt Gesehenes, Erträumtes, Visionäres ans Licht. | |
In einer Art romantischem Schleuderkurs tragen die Performer Baumattrappen | |
über die Bühne, zucken Blitze auf, laufen Schatten über die Wände. Das | |
Terrain für die anschließende Kriegsszene wird vorbereitet. Aus einer | |
großen Kiste werden Töpfe, Metallsiebe, Besen, Schrubber, Golfschläger und | |
Betttücher herausgezerrt und zu Kampfgerätschaften umfunktioniert. | |
## Ein Flimmern der Gewalt | |
Die Helme auf dem Kopf, das Gewehr im Anschlag gehen diese Soldaten | |
gegeneinander vor, verfolgen und ermorden sich, schwenken Fahnen, humpeln | |
auf Krücken, lassen blutrote Knäuel aus ihren Leibern quellen – bis sechs | |
Performer im Skelettkostüm dem Treiben ein Ende setzen. | |
Ein Schlachtgemälde aus dem Kinderzimmer? Ein juveniler Totentanz? Eine | |
Ikonografie von Kriegsdarstellungen? Schemenhaft blitzen Assoziationen von | |
Kriegsfotos auf, ein Flimmern der Gewalt, gebrochen im kindlichen Spiel auf | |
dem Theater. | |
Es bleibt allerdings rätselhaft, was Etchells damit will. Im Vorfeld hatte | |
er von Anregungen durch Fantasy und Science-Fiction gesprochen und auf die | |
Zeichnungen des 1973 verstorbenen US-amerikanischen Künstlers Henry Darger | |
hingewiesen, in denen eine poetische Kinderwelt – Lewis Carroll lässt | |
grüßen – im Kampf mit den Erwachsenen beschworen wird. | |
Man erkennt einiges wieder, mehr in der anschließenden Märchen- als in der | |
Kriegsszenerie. Feen verfolgen sich, ein König schwenkt eine goldene Sonne, | |
ein auf Pappen gemaltes Seeungeheuer windet sich herein, ein blond | |
bezopftes Mädchen köpft lustvoll Männer. Überall Erinnerungen an | |
Geschichten, an erschreckende, komische oder grausame Situationen, die aber | |
nie ausbuchstabiert werden. | |
Man stöbert das eigene Märchenarsenal durch, freut sich an dem | |
fabulierenden Gestus, doch letztlich bleibt es beim blinden Tasten im | |
Assoziationenwald. Auch Tarek Atouis Musik hilft da kaum weiter. Sie | |
verschwimmt zu einem Klangteppich, den man zwar wahrnimmt, der aber kaum | |
Erhellendes zur Szene beiträgt. | |
Am Ende dürfen neben den Bäumen auch Wolken und Wellen auf die Bühne, das | |
alten Kulissentheater wird zitiert. Ein Mann in einem roten Hemd grölt | |
unverständliche Sätze vor sich hin und lacht sich schließlich schlapp – der | |
Schöpfer dieser theatralen Welt hatte offensichtlich seinen Spaß. Das | |
Publikum dagegen weniger. | |
9 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Hans-Christoph Zimmermann | |
## TAGS | |
Ruhrtriennale | |
Theater | |
Ruhrtriennale | |
Kampnagel | |
Neue Musik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Start der Ruhrtriennale in Dinslaken: Accatone – Lost in Lohberg | |
Johan Simons eröffnet die Ruhrtriennale am Freitag mit der Inszenierung von | |
„Accatone“, ausgerechnet im Dinslakener Problemstadtteil Lohberg. | |
Ruhrtriennale in Duisburg: Die Verwaltung unserer Gegenwart | |
Höhepunkt im diesjährigen Programm: Die Performance-Kollaboration des | |
britischen Dokumentarfilmemachers Adam Curtis mit der Band Massive Attack. | |
Festival Kampnagel in Hamburg: Nackte Mathematik | |
Erstmals ist in Deutschland das Tanztheaterstück „Tragédie“ zu sehen. | |
Choreograf Olivier Dubois ist ein Enfant terrible der französischen Szene. | |
Festival „Infektion!“ in Berlin: Männer mit nervösen Frauen | |
Mit zwei Uraufführungen und zwei Altmeistern der Moderne herausfinden, was | |
das neue Musiktheater sein könnte – in der Berliner Staatsoper. |