Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Klimawandel im Wahlkampf: Fordert den Verzicht!
> Öko ist kein Thema im Wahlkampf. Selbst die Grünen trauen sich nicht, für
> eine Verbotsökonomie einzutreten. Das ist Skandal und Chance zugleich.
Bild: Spritsparende Autos werden anderswo gebaut
Deutschland hat die Formel zur Lösung aller Probleme gefunden. Und die
lautet wie folgt: Deutsche Ingenieure und deutsche Konsensdemokratie machen
die Energiewende trotz aller volkseigenen Selbstzweifel zu einem
leuchtenden Vorbild für den Rest der Welt. Ökonomie und Ökologie
verschwistern sich wie Ost und West. Wir wachsen grün bis ins Unendliche.
Alle kopieren das Modell – und fertig.
Die Erzählung, dass die ganze Welt es von Erfolg und Misserfolg der
deutschen Energiewende abhängig macht, wie sie künftig wirtschaften will,
predigt in diesem Wahlkampf die gesamte politische Elite vor sich hin.
Eigentlich wunderbar, dass hier ein ökologisches Motiv an erträgliche
Formen des Nationalstolzes (unser Land, unsere Erfinder) anknüpft und über
Parteigrenzen hinweg begeistert. Das Problem: Es handelt sich um einen
gefährlichen Fall von Autosuggestion.
Einen nationalen Konsens, der zu der Wahrnehmungsstörung führt, Deutschland
sei ein überdurchschnittlich ökologisches Land, das zum Wohle der Welt ein
altruistisch anmutendes Experiment durchführt.
Wenn es die zwei Spitzenkandidaten Merkel und Steinbrück schaffen, sich 90
Minuten zu duellieren, ohne auf den ökologischen Umbau der Gesellschaft
einzugehen, ohne das gemütliche Fernsehvolk wenigstens ein einziges Mal mit
dem Gedanken zu behelligen, dass die Deutschen zu den Öko-Fettärschen des
Globus gehören, die auf Kosten der Substanz des Planeten leben und
konsumieren (auch der Autor dieses Artikels), und ohne ein einziges Mal das
Wort „Klimawandel“ zu erwähnen, dann, bitte sehr, ist das mehr als ein
Indiz für die schlichte Tatsache: Das bisschen Energiewende ist Dekoration.
## Beworben als grünes Wachstum
Zu den Fakten: Sämtliche EU-Staaten, China, die USA, selbst Japan wollen
ihren Rohstoffverbrauch senken und Energie effizienter einsetzten, weil es
ökonomisch sinnvoll ist. In Deutschland wird das offensiver als grünes
Wachstum beworben.
Das Land geht dabei mit seinen fixen Zielvorgaben einen von vielen
möglichen Wegen – und ist bei Weitem nicht das einzige, das dafür
Technologien entwickelt. Franzosen, Japaner und Italiener bauen sparsamere
Autos, China baut billigere Solarmodule, bei den für die Energiewende
unabdingbaren intelligenten Netzen haben US-amerikanische IT-Firmen die
Nase vorn. Was nachhaltiges Wirtschaften multinationaler Konzerne angeht,
landen jene mit Sitz in Deutschland auf den mittleren Plätzen. Ansonsten
galt und gilt allerorten das Versprechen: Konsum wie bisher.
Keine Partei mit realistischen Chancen auf einen Einzug in den Bundestag
traut sich, das hässliche Wort in den Mund zu nehmen: Verzicht. Man stelle
sich vor, Jürgen Trittin hätte statt Steuern für Reiche beim Dreikampf mit
Gysi und Brüderle höhere Strompreise beklatscht, eine Erhöhung der
Benzinsteuern gefordert, eine zusätzliche Abgabe für Flugreisen, ein neues
2030-Ziel: Halbierung des Rohstoffverbrauchs, zur Not auch zulasten der
Industrie.
## Verbotsökonomie
Trittin, der sich mit maximaler öffentlicher Wirkung im Wahlkampf mit der
Autoindustrie anlegt und eine PS-Obergrenze für Neufahrzeuge fordert?
Undenkbar. Klar, klingt alles nach Verbotsökonomie, Veggie-Day, 5 Mark für
einen Liter Benzin, Radikal-Ökos.
Aber genau diese Polarisierung fehlt. Die Story vom ökologischen Wachstum
ist en vogue geworden, niemand initiiert eine Debatte darüber, ob es sich
nicht um ein gesamtgesellschaftliches Greenwashing handelt.
Wollte Deutschland ein Vorbild für die Welt sein, müsste es eine
Wachstumswende ausrufen, wobei eine andere Energieversorgung nur eines von
vielen Elementen ist. Insofern hat es sein Gutes, dass in diesem Wahlkampf
nicht über Klimawandel geredet wird: Dann kann das Thema von einer echten
Opposition wenigstens neu besetzt werden.
7 Sep 2013
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Grüne
Energiewende
Konsum
Schwerpunkt Klimawandel
Rohstoffe
Unternehmen
CO2-Emissionen
Schwerpunkt Atomkraft
Ökostrom
Grüne
SPD
Erneuerbare Energien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rohstoffe im Jahre 2049: Weniger, schlauer, besser verbrauchen
Mit seiner Ressourcen-Studie gibt das Freiburger Öko-Institut eine
umfängliche Problembeschreibung unseres Rohstoffhungers.
Grüne Utopie eines Ex-Bankers: Mr. Saulus wurde Paulus
Der Ex-Banker Pavan Sukhdev entwirft in seinem Buch ein ökologisches
Leitbild für Unternehmen. Dabei denkt er problemlösungsorientiert.
CO2-Verringerung in USA: Erst einmal tief Luft holen
Die Umweltschutzbehörde EPA legte einen Entwurf für die Begrenzung des
CO2-Ausstoßes bei neuen Kraftwerken vor. Bis 2030 soll er halbiert werden.
Die Energiewende kommt noch: Was der Kohlekumpel wählen sollte
Mit der Wahl am Sonntag entscheidet sich, wem die Stromerzeugung gehören
wird. Wo das Kreuz machen? Eine Übersicht.
Alternativen zur Ökostromförderung: U-Turn in der Energiewende
Alle sind sich einig: Es braucht eine Kostenreform. Regierungsberater
fordern eine radikale Abkehr von der Förderung erneuerbarer Energien.
Grüner Kurswechsel im Wahlkampf: Operation „All Time Classics“
Steuererhöhungen? Welche Steuererhöhungen? Warum Jürgen Trittin plötzlich
wieder Klassiker wie die Energiewende betont.
SPD-Schattenminister Matthias Machnig: Im Leerlauf
Zweimal verhalf er Schröder zur Kanzlerschaft. Trotzdem kann Matthias
Machnig als Energieexperte im Schattenkabinett der SPD nicht punkten.
Erneuerbare Energien: Abkehr von der Wende
Auch 2014 wird die Umlage für erneuerbare Energien steigen und damit der
Strompreis. Eine Quotenregelung soll das Problem beheben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.