# taz.de -- Sachbuch über Demokratie: Bürgerbeteiligung per Losverfahren | |
> In einem von Klaus Töpfer herausgegegeben Buch plädiert der | |
> Regierungsberater Claus Leggewie für eine „Zukunftskammer“ parallel zum | |
> Bundestag. | |
Bild: Runter von der Straße, rein in die Kammer? Demonstration gegen Stuttgart… | |
Die Bundestagswahl ist der Beweis für das Funktionieren der Demokratie in | |
Deutschland – immer noch. Und das, obwohl eine zunehmende Debatte darüber | |
läuft, ob das parlamentarische System ergänzt werden muss. Wie könnte eine | |
Bürgerbeteiligung aussehen, die diesen Namen verdient? | |
Klaus Töpfer, Exbundesumweltminister von der CDU, hat dazu jetzt ein | |
Diskussionsbuch präsentiert: „Verändern durch Wissen – Chancen und | |
Herausforderungen demokratischer Beteiligung von Stuttgart 21 bis zur | |
Energiewende“. | |
Geschrieben haben darin unter anderem Stuttgart-21-Vermittler Heiner | |
Geißler, Regierungsberater Claus Leggewie, Mitglied im Beirat für Globale | |
Umweltveränderungen, und der ehemalige grüne Umweltsenator von Bremen, | |
Reinhard Loske. Allesamt Leute, die in den vergangenen Jahrzehnten | |
praktisch oder theoretisch mit Bürgerprotesten gegen Großprojekte zu tun | |
hatten. | |
Die Startbahnen am Frankfurter Flughafen, das Atomendlager in Gorleben, der | |
Neubau des Hauptbahnhofs in Stuttgart, die Trassen für die neuen | |
Stromleitungen, die Norden und Süden des Landes verbinden sollen: Leggewie | |
zieht aus den Erfahrungen mit diesen Projekten den Schluss, dass das | |
parlamentarische System einer grundsätzlichen Ergänzung bedürfe. Er schlägt | |
vor, eine neue „Zukunftskammer“ zu etablieren, die neben Bundestag und | |
Bundesrat an der Gesetzgebung mitwirken solle. | |
## Verbindlich vertreten sein | |
Warum? Leggewie analysiert einen Missstand, der vielen engagierten Bürgern | |
auf die Nerven geht. Denn Planung heute sieht so aus: Bundeskanzlerin | |
Merkel entscheidet, dass die Atomkraftwerke weg müssen, die | |
Bundesnetzagentur berechnet, wie viele Nord-Süd-Stromleitungen man braucht, | |
um den Windstrom vom Meer nach Süddeutschland zu leiten, die Bürger dürfen | |
schließlich mitdiskutieren, wo die Trassen verlaufen. Doch die Sinnfragen | |
bleiben ungestellt. Welche Energiewende wollen wir, brauchen wir | |
Windkraftwerke auf dem Meer, brauchen wir neue Trassen? | |
So könnte es vorteilhaft sein, einen neuen, permanenten | |
Bürgerbeteiligungsapparat einzurichten: Dort würden die großen | |
Entscheidungen vordiskutiert, bevor die Regierung sie mal eben festzurrt. | |
Die Zukunftskammer institutionalisiert Beteiligung als echte Mitwirkung, | |
weit hinausgehend über die heutige akzeptanzbeschaffende Mithilfe | |
engagierter Bürger bei der Exekution politischer Beschlüsse. | |
In dieser dritten Kammer müsste ein Querschnitt der Bevölkerung verbindlich | |
vertreten sein. So ließen sich vielleicht zwei Probleme heutiger | |
Partizipation entschärfen. Erstens: Ein paar Leute oder Bürgerinitiativen | |
schreien am lautesten, behaupten, das Gemeinwohl zu repräsentieren, agieren | |
in Wirklichkeit aber nur als besonders geschickte Vertreter ihres | |
jeweiligen Partikularinteresses. Sie kapern das Verfahren. | |
Zweitens: Es gibt Bürgerbeteiligung, aber kaum ein Bürger geht hin. Dieses | |
erstaunliche Phänomen kann man zur Zeit bei der Stromtrassenplanung | |
beobachten. Das Verfahren, das sich die Bundesregierung ausgedacht hat, ist | |
recht fortschrittlich. Doch die Betroffenen fehlen meistens bei den | |
Versammlungen. Sie kommen wohl erst, wenn die Bagger vor ihren Häusern | |
stehen. | |
Um diese Klippen zu umschiffen, macht Leggewie einen gewöhnungsbedürftigen | |
Vorschlag: Lasst das Los entscheiden. Beispielsweise aus den Wählerlisten | |
würden also Bürger ausgelost, die an der Zukunftskammer neben | |
Wissenschaftlern und anderen Berufenen verbindlich teilnehmen müssten. | |
Damit den Ausgelosten keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen, sollen | |
sie für ihren Zeitaufwand staatlicherseits entlohnt werden. Frage: Würde | |
solch erzwungenes Engagement womöglich als repressiv verstanden werden und | |
damit kontraproduktiv wirken? | |
12 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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