# taz.de -- UN-Klimarat IPCC: Weltgewissen auf Bewährung | |
> Bald präsentiert der UN-Klimarat IPCC seinen neuen Bericht. Es geht | |
> wieder um die Rettung der Welt. Und die eigene Rehabilitierung. | |
Bild: Klimawandel: Ein toter Fisch liegt in einem ausgetrockneten Wasserreservo… | |
Am 10. Dezember 2007 war der Klimaschutz ganz oben angekommen: In Oslo | |
bekamen der UN-Klimarat IPCC und der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore für | |
ihre Aufklärungsarbeit zu dieser „Existenzfrage der Menschheit“ feierlich | |
den Friedensnobelpreis verliehen. Zwei Jahre später war das IPCC am | |
Tiefpunkt: Der Klimagipfel von Kopenhagen im Dezember 2009 war gescheitert, | |
das Gremium durch eigene Fehler und eine koordinierte Rufmordkampagne | |
diskreditiert. | |
Ab Montag will das IPCC wiederum in einer skandinavischen Hauptstadt, in | |
Stockholm, zurück auf die Weltbühne – mit der Veröffentlichung des 5. | |
„Sachstandsberichts“ zur Lage des Weltklimas. | |
Das Weltgewissen arbeitet mehr denn je auf Bewährung: Zahlen und Prognosen | |
des IPCC werden kritisch beäugt, seine Verfahren müssen besonders | |
transparent sein. Ab Montag beugen sich die Delegationen von 195 Staaten | |
mit den renommiertesten Klimaforschern der Welt über die 30-seitige | |
„Zusammenfassung für Entscheidungsfinder“. Hinter verschlossenen Türen | |
ringen Forscher und Beamte um jedes Komma eines Textes, der zum Schluss als | |
„Klimabibel“ die Grundlage für internationale Politik, nationale Planungen | |
und Milliardeninvestitionen werden soll. | |
Dieses Verfahren ist so kompliziert, weil auch das „Intergovernmental Panel | |
on Climate Change“ ein seltsames Zwitterwesen ist: Gegründet von den | |
Regierungen, bestückt mit unabhängigen Forschern, die zu hunderten und ohne | |
Bezahlung in nervenaufreibender Detailarbeit alle fünf bis sechs Jahre den | |
neuesten Stand des Klimawandels zusammentragen. Die Arbeit sei | |
„politikrelevant, aber keine Vorschrift für die Politik“, heißt es | |
offiziell. „Wir erstellen die Karten und zeigen Wege auf“, sagt Ottmar | |
Edenhofer, Chefökonom des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung und | |
IPCC-Leitautor. „Welchen Weg wir einschlagen, muss die Politik festlegen.“ | |
## Kritik: IPCC ist zu politisch | |
Das ist die Theorie. In der Praxis sitzen viele Wissenschaftler in | |
Beratungskreisen der Regierungen – und Politik und Wirtschaft üben gern | |
mehr oder weniger sanften Druck aus. | |
Das IPCC veröffentlicht seinen Bericht in vier Teilen über ein halbes Jahr | |
verteilt: Nächste Woche zu den wissenschaftlichen Grundlagen, dann zu | |
„Folgen und Verwundbarkeit“, zu Maßnahmen des Klimaschutzes und schließli… | |
eine Zusammenfassung. Es sind wissenschaftliche Erkenntnisse, die auch von | |
der Politik anerkannt werden, so die Idee. Das führt zwar zur Kritik, das | |
IPCC sei zu politisch und keine reine Wissenschaft. Aber es bewirkt auch, | |
dass die Regierungen etwa in den UN-Klimaverhandlungen nicht einfach die | |
Texte als weltfremde Wissenschaft abtun können. „Das letzte Wort bei der | |
Formulierung der Texte haben immer die Wissenschaftler“, betont etwa Guy | |
Brasseur vom Helmholtz Zentrum Hamburg, ehemals IPCC-Autor. | |
Lange hat das niemanden groß interessiert. Erst mit dem 4. Bericht 2007 | |
wurde klar, wie groß die Einschnitte in Politik und Wirtschaft durch echten | |
Klimaschutz wären: Die Wissenschaftler erklärten mit großer Einstimmigkeit | |
und Autorität: Der Klimawandel ist real und gefährlich, und der Mensch ist | |
schuld daran. Die Politik reagierte: Die Staaten der UN einigten sich | |
darauf, eine Erwärmung über zwei Grad Celsius bis 2100 zu verhindern; die | |
EU legte sich Klimaziele zu, Kommissionen berechneten, wie schnell, | |
gefährlich und teuer der Klimawandel für die Menschheit werden kann. Doch | |
auf dem Klimagipfel in Kopenhagen scheiterte ein verbindliches Abkommen. | |
Für das IPCC war Kopenhagen ein besonderes Desaster. Kurz vor dem Gipfel | |
hatten gehackte eMails von führenden Wissenschaftlern den Verdacht | |
aufkommen lassen, Daten würden manipuliert und zurückgehalten. Im 4. | |
IPCC-Bericht fanden sich einige Faktenfehler, so dass das Gremium vor allem | |
von „Klimaskeptikern“ aus den USA heftig unter Beschuss geriet. Es wurden | |
sogar Rücktrittsforderungen gegen IPCC-Chef Rajendra Pachauri laut. Die | |
Forscher zeigten sich gegenüber den Attacken hilflos. Obwohl mehrere | |
unabhängige Kommissionen die Vorwürfe aus diesem „Climategate“ als haltlos | |
zurückwiesen, hatte der Ruf des IPCC Kratzer bekommen. | |
## Mehr Treibhausgasemissionen, steigender Meeresspiegel | |
Der Klimawandel geht weiter und wird heftiger. So lassen sich die bereits | |
vorliegenden Entwürfe für den neuen Bericht lesen. Die Emissionen von | |
Treibhausgasen sind höher als angenommen, der Meeresspiegel steigt, die | |
Eisflächen schmelzen, die Ozeane versauern. | |
Nur bei der Erwärmung der Luft gibt es Fragezeichen: die Temperaturen sind | |
in den letzten 15 Jahren deutlich geringer gestiegen als nach den | |
Klimamodellen zu erwarten war. Das „Ende der Erwärmung“ haben Skeptiker | |
bereits ausgerufen und das IPCC veranlasst, sich intensiv mit dem Thema zu | |
beschäftigen. Die Wissenschaftler haben Erklärungen für die Messungen: | |
Natürliche Schwankungen, Datenlücken und die Speicherung der Wärme in den | |
Ozeanen. Aber sie haben auch ein Problem: „Wir verstehen zu wenig, was | |
passiert“, gibt Jochem Marotzke zu, Direktor am Max-Planck-Institut für | |
Metereologie Hamburg und einer der führenden IPCC-Autoren. | |
Die Erfahrungen haben das IPCC bei seinen Aussagen inzwischen doppelt | |
vorsichtig gemacht: Zu vorsichtig, monieren selbst viele Wissenschaftler. | |
Nach dem Motto. „Lieber unter- als übertreiben“ und unter dem Druck von | |
politischen Zwängen, wirtschaftlichen Interessen, kurzfristig aufmerksamen | |
Medien und aggressiven Klimaskeptikern sei der Klimarat in der Versuchung, | |
die Lage weniger dramatisch zu zeichnen als nötig, warnte bereits Ende 2012 | |
Kevin Trenberth, leitender US-Klimawissenschaftler: „Wir unterschätzen die | |
Tatsache, dass der Klimawandel gerade den Kopf hebt.“ | |
23 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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