# taz.de -- Weltklimarat in Stockholm: Kurs auf die 4,8-Grad-Katastrophe | |
> Der UN-Klimarat präsentiert seinen neuen Bericht betont unpolitisch und | |
> zurückhaltend. Die Daten sind schon aufregend genug. | |
Bild: Die Ostsee im Jahr 2100 an einem lauen Wintertag. | |
Thomas Stocker ist hundemüde. „In den letzten 52 Stunden habe ich sechs | |
Stunden geschlafen“, sagt der Hauptautor des Klimaberichts, Klimatologe an | |
der Universität Bern. Er sitzt bei der abschließenden Pressekonferenz des | |
UN-Klimarats im Konferenzzentrum in Stockholm und lässt manche | |
Journalistenfragen vor Erschöpfung wiederholen. | |
Hinter ihm liegen vier harte Tage, hinter den 1.089 Autoren drei harte | |
Jahre. Sie haben 9.200 wissenschaftliche Studien bewertet und 54.677 | |
Kommentare bearbeitet. Herausgekommen ist der 1.000-seitige Bericht des | |
UN-Klimarats IPCC zu den Grundlagen des Klimawandels. | |
Diesen Schmöker haben Wissenschaftler und Regierungsvertreter auf eine | |
Zusammenfassung von 36 Seiten eingedampft. Und auch die noch einmal in 18 | |
knappen Thesen zusammengefasst. Die Wissenschaftler wollen sichergehen, | |
dass ihre Botschaft auch wirklich bei jedem ankommt. | |
Denn der 5. Sachstandsbericht des IPCC soll „ein Weckruf“ sein, heißt es | |
von allen Seiten in dieser übermüdeten Runde. Verglichen mit dem 4. Bericht | |
von 2007, der mit großer Geste im Gebäude der Unesco in Paris vorgestellt | |
wurde, ist das Ambiente in Stockholm schlicht. Die Wissenschaftler sind | |
vorsichtig, politische Fragen wie etwa nach der Bedeutung der deutschen | |
Energiewende werden nicht beantwortet. | |
## Das Drama steckt in den Zahlen | |
Aber das Drama, das auf der Bühne fehlt, steckt in den präsentierten | |
Zahlen: Die Lufttemperaturen sind seit 1900 um 0,9 Grad gestiegen und | |
klettern weiter, die Ozeane dehnen sich aus, das Eis schmilzt schneller als | |
erwartet, der Nordpol könnte vor 2050 im Sommer eisfrei sein. Die | |
Emissionen an Treibhausgasen liegen auf Katastrophenkurs, die Meere | |
versauern. | |
„Jede der letzten drei Dekaden war wärmer als jedes andere Jahrzehnt seit | |
1850“, stellen die Wissenschaftler fest. Die Eisschilde in Grönland und der | |
Antarktis verlieren immer weiter an Masse, fast überall schmelzen weltweit | |
die Gletscher. Die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in | |
der Atmosphäre ist um 40 Prozent höher als vor der Industrialisierung, so | |
hoch wie seit 800.000 Jahren nicht. | |
„Der Einfluss des Menschen auf das Klimasystem ist klar“, heißt es. Und er | |
sei überall zu sehen: in der Atmosphäre, den Ozeanen, den Eismassen, im | |
Wasserkreislauf und bei Extremwettern. Und auch dieses Forschungsergebnis | |
sorgt für Unruhe: Je mehr CO2 die Ozeane und Wälder jetzt aufnehmen, desto | |
weniger Treibhausgas können sie in der Zukunft speichern. | |
Zum ersten Mal haben die Forscher mit Szenarien gerechnet, die den | |
Kohlenstoffkreislauf und die Eisschilde einbeziehen. Bei den | |
Temperaturprognosen liegen sie ein wenig unter den Alarmmeldungen des | |
vorherigen Berichts: Im allergünstigsten Fall steigen bis 2100 die globalen | |
Durchschnittstemperaturen nur um ein Grad Celsius – im schlimmsten Fall um | |
4,8 Grad. | |
Allerdings ist das kühlste Szenario ein extrem optimistisches Ökoszenario. | |
Die momentanen globalen Emissionen von Treibhausgasen liegen dagegen am | |
oberen Ende der vier Szenarien. Das bedeutet für 2100: Im Schnitt 3,7 Grad | |
höhere Temperaturen und ein 63 Zentimeter höherer Meeresspiegel. | |
## In Australien wird es noch heißer | |
Das ist der Durchschnitt. Doch die Gefahr lauert im Detail: Denn in der | |
Arktis zum Beispiel steigen schon jetzt die Temperaturen deutlich | |
schneller. Auch für Australien rechnen manche Studien mit einer Erwärmung | |
um bis zu 6 Grad Celsius. Und schon eine globale Erwärmung um 2 Grad ist | |
wegen des Meeresspiegelanstiegs für Inselstaaten „eine komplette | |
Katastrophe“, wie Ulric O’Donnell Trotz vom Caribbean Community Climate | |
Change Center sagt. | |
Klar wird im Bericht auch: Eine globale Erwärmung der Atmosphäre um mehr | |
als 1,5 Grad ist bereits wegen der Trägheit des Klimasystems nicht mehr zu | |
verhindern. Und auch für 2 Grad, die international erklärte Obergrenze der | |
Erwärmung, müssten die Emissionen praktisch sofort um 10 Prozent pro Jahr | |
sinken – im Augenblick steigen sie noch jedes Jahr um 3 Prozent. | |
„Mit den zwei oberen Szenarien ist es wahrscheinlich, dass wir die | |
2-Grad-Grenze überschreiten“, sagt Stocker. „Hitzewellen werden sehr | |
wahrscheinlich häufiger und länger“. Feuchte Regionen würden nasser, | |
ohnehin trockene Gebiete noch trockener. | |
Die angebliche „Pause in der Erwärmung“, die sich aus den Temperaturdaten | |
der Atmosphäre in den letzten 15 Jahren ablesen lässt und seit Monaten als | |
Zweifel am Klimawandel durch Medien und klimaskeptischen Internetforen | |
geistert, beschäftigte die Forscher auch in ihrem Bericht – obwohl sie | |
betonten, es gebe kaum verlässliche Papiere dazu. Den Grund für die | |
Schwankungen sieht das IPCC vor allem in natürlichen Schwankungen des | |
Klimas, Wetterphänomen und Vulkanausbrüchen, die das Klima abkühlen. | |
„Wir sind präziser geworden“, sagt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut | |
Hamburg und einer der Leitautoren. In den letzten Jahren sei von Kollegen | |
manchmal „ein bisschen übertrieben“ worden. Nach dem Ende der | |
Klimabegeisterung bei Politik und Medien, dem gescheiterten UN-Gipfel in | |
Kopenhagen 2009 und dem angeblichen „Climategate“-Skandal sind die | |
Wissenschaftler in der Defensive. | |
Das zeigt sich auch am Ende der Pressekonferenz. Der Chef der | |
UN-Organisation für Metereologie, Michel Jarraud, spricht von der „Pause | |
der Erwärmung“ und nennt die Daten einen „tricky issue“, einen schwierig… | |
Gegenstand – um gleich darauf noch einmal sein Mikro anzuschalten und in | |
den Saal zu rufen: „Nicht dass Sie das jetzt so interpretieren, als würden | |
wir hier Tricks veranstalten!“ | |
27 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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