# taz.de -- Regierungskrise in Italien: Abweichler dringend gesucht | |
> Italiens Regierungschef Enrico Letta will sich dem Druck Berlusconis | |
> nicht beugen und im Amt bleiben. Im Senat sucht er nach einer neuen | |
> Mehrheit. | |
Bild: Mit dem Rückzug seiner Minister hat Silvio Berlusconi eine Regierungskri… | |
ROM taz | Eine neue Regierung unter dem bisherigen Premier Enrico Letta | |
oder aber schnelle Neuwahlen – vor dieser Alternative steht Italien nach | |
dem Auszug von fünf Berlusconi-Ministern aus dem Kabinett. Die Rechtsriege | |
erklärte am Samstagabend ihren Rücktritt. | |
Offizielle Begründung: Die Regierung habe die am 1. Oktober anstehende | |
Mehrwertsteuererhöhung auf 22 Prozent nicht gestoppt. In Wahrheit geht es | |
darum, dass ihrem Chef Silvio Berlusconi in den nächsten Tagen der Entzug | |
seines Senatsmandats droht. | |
Im Senat, der völlig gleichberechtigten zweiten Kammer des italienischen | |
Parlaments, ist die Regierungsmehrheit damit erst einmal weg. Doch der | |
Premier und seine gemäßigt linke Partito Democratico (PD) geben sich noch | |
nicht geschlagen: Voraussichtlich am Dienstag will Letta sich dem Parlament | |
stellen – mit einem Kurs der Totalkonfrontation gegen Berlusconi und mit | |
dem ziemlich offenen Angebot an mögliche Abweichler von der Rechten, sie | |
seien in einer neuen Regierungsmehrheit willkommen. | |
Berlusconi habe mit dem Auszug der Minister zu „einer wahnsinnigen und | |
unverantwortlichen Geste“ gegriffen, die allein als „Deckmantel für seine | |
persönliche Angelegenheiten“ diene, erklärte der Premier und kündigte an, | |
das Vertrauensvotum des Parlaments zu suchen. | |
## Keine Mehrheit im Senat | |
Im Abgeordnetenhaus ist das kein Problem: Aufgrund des italienischen | |
Wahlrechts, das der siegreichen Koalition in der ersten Kammer 340 der 630 | |
Sitze einräumt, hat hier die Demokratische Partei zusammen der stramm | |
linken Sinistra Ecologia Libertà (SEL – Linke, Ökologie, Freiheit) die | |
klare Mehrheit. | |
Anders im Senat: Hier hat die bisherige Koalition nach dem Auszug der | |
Berlusconi-Rechten nur 137 der 321 Sitze; 108 entfallen auf die | |
Demokratische Partei, 20 auf den Zentrumsblock unter Mario Monti, 10 auf | |
kleinere Gruppierungen. Hinzu kämen noch fünf Senatoren auf Lebenszeit, die | |
allesamt als mögliche Parteigänger Lettas gelten, außerdem würden die | |
sieben Senatoren der linken SEL, die bei der Koalition mit Berlusconi nicht | |
dabei sein wollten, einer Anti-Berlusconi-Koalition ohne weiteres | |
beitreten. | |
Damit aber fehlen immer noch mehr als zehn Stimmen zur absoluten Mehrheit. | |
Letta hofft nun auf Abweichler auf dem Berlusconi-Lager, das über 91 Sitze | |
verfügt, ebenso wie auf Dissidenten aus Beppe Grillos Movimento5Stelle (M5S | |
– 5-Sterne-Bewegung), die auf 50 Senatoren kommt. In beiden Lagern nämlich | |
tobt hinter den Kulissen schon seit Monaten ein Kampf zwischen „Falken“ und | |
„Tauben“. | |
Diverse Berlusconi-Senatoren, so heißt es in Rom, hätten keinerlei Lust, | |
den Kamikaze-Kurs ihres Chefs mitzumachen und nur fünf Monate nach der | |
Regierungsbildung nicht bloß eine tiefe Krise des Landes, sondern auch den | |
Verlust ihres Mandats bei vorgezogenen Neuwahlen zu riskieren. Mindestens | |
vier der fünf zurückgetretenen Minister gelten als heimliche Gegner des | |
Kurses der radikalen Konfrontation. | |
## Grillos Gefolgschaft schwindet | |
Auch im Grillo-Lager gibt es einen Chef, der den totalen Zusammenstoß | |
predigt. Grillo verlangt jetzt sofortige Neuwahlen. Wenn es nach ihm geht, | |
nimmt nicht nur Letta seinen Hut, sondern gleich auch Staatspräsident | |
Giorgio Napolitano, der in den Augen Grillos der Verantwortliche für die | |
bisherige Koalition ebenso wie für ihr Scheitern ist. | |
Doch schon in den letzten Monaten haben vier Senatoren die M5S-Fraktion | |
verlassen. Sie wurden ausgeschlossen oder sind ausgetreten, weil sie für | |
einen Dialog mit der PD eintraten und das Dogma, alle „Altparteien“ seien | |
gleich, nicht mittragen mochten. Weitere zehn bis 15 Senatoren des M5S | |
stehen im Verdacht, ihrerseits den Diktaten Grillos nicht mehr folgen zu | |
wollen. Unklar ist jedoch, wie viele von ihnen effektiv den Bruch | |
vollziehen und in eine neue Koalition überwechseln. | |
Doch Letta wird es darauf ankommen lassen. Sollte er allerdings im | |
Vertrauensvotum scheitern, bleibt nur eine Alternative: Neuwahlen. | |
Theoretisch könnten sie noch im Dezember, sonst aber unmittelbar nach der | |
Weihnachtspause stattfinden. | |
29 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Enrico Letta | |
Senat | |
Regierung | |
Silvio Berlusconi | |
Silvio Berlusconi | |
Silvio Berlusconi | |
Enrico Letta | |
Enrico Letta | |
Italien | |
Italien | |
Silvio Berlusconi | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Senatsausschuss empfiehlt Ausschluss: Nächster Schlag gegen Berlusconi | |
Wenn es nach einem Senatsausschuss geht, wird Silvio Berlusconi bald die | |
Parlamentskammer verlassen müssen. Die endgültige Entscheidung steht noch | |
aus. | |
Kommentar Berlusconis Niederlage: Die Kofferträger mucken auf | |
Premier Letta bleibt – weil das Parteipersonal den Ego-Volten Berlusconis | |
nicht mehr folgen wollte. Doch seine Art Populismus wird sich in der | |
Politik halten. | |
Regierungskrise in Italien: Rebellion und Gehorsam | |
Berlusconis Strategie droht zu scheitern. Zwar sind seine Minister | |
zurückgetreten, doch seine Partei steht vor der Spaltung. Ministerpräsident | |
Letta hofft auf Abweichler. | |
Kommentar Berlusconis neue Kapriolen: Italiens Lage ist hochgefährlich | |
In Italien droht erneut die Regierungskrise. Die Instabilität gefährdet | |
nicht nur das Land: Das Risiko besteht, dass die EU-Wirtschaftkrise sich | |
verschärft. | |
Politische Krise in Italien: Regierungskoalition vor dem Aus | |
Berlusconis Minister sind zurückgetreten. Sie protestieren gegen Premier | |
Lettas Absicht, alle Entscheidungen ruhen zu lassen, bis er eine | |
Vertrauensabstimmung gewonnen hat. | |
Italiens Regierung: Berlusconi setzt auf Erpressung | |
Mit Weinerlichkeit und Wut zwingt der Cavaliere seine Abgeordneten zur | |
Vasallentreue. Damit nimmt er eine Regierungskrise in Kauf. | |
Italienische Regierung vor dem Aus: Man könnte es Erpressung nennen | |
Um Berlusconi vor dem Arrest zu retten, droht seine Partei, ihre Minister | |
aus dem amtierenden Kabinett abzuziehen. Das wäre das Ende für die | |
Letta-Regierung. |