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# taz.de -- Bilanz Frankfurter Buchmesse: Weltherrschaft für Übertitel
> In Frankfurt wurde ersichtlich, wie Bücher zum Objekt internationalen
> Handels werden. Der Kampf um Aufmerksamkeit wird immer häter.
Bild: Weiße Regale und Matratzen: Frankfurter Buchmesse 2013.
FRANKFURT taz | Die Stände der großen deutschen Verlage auf der Frankfurter
Buchmesse sehen aus wie Buchhandlungen, in denen nur Bestseller verkauft
werden. Meist belegen mehrere Exemplare eines Titels die weißen
Regalflächen. „How to make books look sexy?“, fragte Buchfetischist Anthony
Dever, Macher der Website [1][Bookshelf Porn], in einer Veranstaltung.
Bücher enthalten nun mal Botschaften, die sich zwar an einzelne, aber doch
möglichst viele Leser richten. Die Buchhändler und die Leser sind das
Zielpublikum in den Hallen 3 und 4, wo man die hiesigen Verlage, die großen
wie die kleinen, findet.
Der Begriff One-to-many charakterisiert ganz gut diese gutenbergianische
Struktur, die auch im elektrischen Zeitalter noch angesagt ist. Die Leute
wollen kommentieren, sharen, liken. Sie brauchen aber auch Erzählungen, um
sich ihrer selbst und ihrer Ideen vom richtigen Leben, von Liebe,
Freundschaft und Gesellschaft vergewissern zu können.
Ob die Storys in gedruckter oder digitaler Form daherkommen, ist vielen
nicht so wichtig, weshalb das E-Book seinen festen Platz in den Sortimenten
gefunden hat. Alle Messetage sind One-to-many-Tage. Am Samstag aber strömt
das Publikum in Massen durch die Hallen. Dann erst schlägt die Stunde der
Software fürs Selfpublishing, des Many-to-many.
## Man kommt ins Gespräch
In Halle 8 präsentieren die ausländischen Verlage ihre Ware. Bei Penguin
Books aus Großbritannien offenbaren sich die Bücher als Objekte des
internationalen Handels. Sie werden zwar auf Wandregalen ausgestellt, der
Stand wird aber von vielen Tischen beherrscht. Wer sich hier
gegenübersitzt, will miteinander ins Geschäft kommen.
Am Empfangstresen von Penguin informiert ein Aufsteller darüber, in welchen
Sprachen die Übersetzungsrechte für Sally Greens Debütroman „Half Bad“ n…
zu haben sind. Die Rechte fürs Kroatische, Lettische und Slowenische sind
schon verkauft. Hinter diese Sprachen sind rote Punkte geklebt, als handle
es sich um Kunstwerke, die den Besitzer gewechselt haben.
Auf Englisch und in bis dato dreißig weiteren Sprachen wird der Roman über
konkurrierende Hexenclans im kommenden Jahr erscheinen. Die Filmrechte sind
längst weg. „ ’Half Bad‘ looks set for world domination“, meldet Pengu…
siegessicher.
## Weltherrschaft für Übertitel
In der Branche geht der Trend zur Konzentration. Wo es um die
Weltherrschaft für Übertitel geht, ist für kleinere Titel immer weniger
Aufmerksamkeit zu haben. So lässt sich der Widerwille der Jury des
Deutschen Buchpreises, Bücher bereits weithin bekannter Autoren in die
Shortlist aufzunehmen, als Aufforderung lesen: Gebt die Aufmerksamkeit
denen, die sie sonst nicht bekämen!
Weitere Ungemach für mittlere Verlage und Nichtbestseller droht vom
Freihandelsabkommen mit den USA. Die deutschen Verleger fürchten, dass in
den Verhandlungen die Buchpreisbindung fallen könnte. Lobbyisten des
Buchhandels sprachen bei der Eröffnungsfeier der Messe wenig über das
Gastland Brasilien, aber viel über den drohenden Untergang der vielfältigen
Buchkultur in Deutschland.
Derweil tun sich aber auch neue Chancen für deutsche Bücher auf. Die
Chinesen übernehmen zwar einen Markt nach dem anderen in Europa, selbst die
Hersteller von Grabsteinen geraten inzwischen durch chinesische
Billigimporte unter Druck. Man liest aber auch sehr gern deutsche Literatur
in China.
Und so zieht der Chef eines kleinen deutschen Verlags die Visitenkarte
eines chinesischen Agenten aus der Brusttasche, wenn man ihn danach fragt,
ob sich die Messe gelohnt hat. 79.860 Bücher sind im Jahr 2012 in erster
Auflage neu in Deutschland erschienen, das sind 220 pro Tag. In China leben
ungefähr 1,35 Milliarden Menschen. Da geht noch was, auch für die
unabhängigen Verlage.
Deren Hotlist-Preis ging in diesem Jahr an den Weidle Verlag für die
Novelle „Die Manon Lescaut von Turdej“ von Wsewolod Petrow, die manchem als
einer der schönsten Prosatexte der russischen Literatur des 20.
Jahrhunderts gilt. Ihr Autor starb bereits 1978. Aufmerksamkeit ist eine
Ressource, die gerade dann kostbar wird, wenn sie sich nicht aufs
Offensichtliche richtet.
13 Oct 2013
## LINKS
[1] http://bookshelfporn.com/
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Verlagswesen
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Frankfurt am Main
Bundesgerichtshof
Sibylle Lewitscharoff
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