# taz.de -- Kolumne Buchmessern (4): Hintergründe aus Eden City | |
> Mensch sein, Mensch bleiben – und das am besten im kleinen Schwarzen. | |
> Vier Begegnungen bei der Frankfurter Buchmesse. | |
Bild: Kann auch erholsam sein: Entspannte Besucherbeine auf der Frankfurter Buc… | |
Jedenfalls weiß er, wie man die Frauen um den Finger wickelt, sagte Et zu | |
Char.“ Mit diesem Satz beginnt die erste Kurzgeschichte von Alice Munro aus | |
dem Erzählband „Was ich dir schon immer sagen wollte“. Er ist neben einem | |
weiteren frühen Erzählband Munros, „Tanz der seligen Geister“, im Schweiz… | |
Dörlemann Verlag erschienen. In Halle 3.0 auf der Frankfurter Buchmesse | |
freut sich die Zürcher Verlegerin Sabine Dörlemann über die am Donnerstag | |
zur Nobelpreisträgerin gekürte Autorin. | |
Sie zitiert den US-amerikanischen Starautor Jonathan Franzen, der seiner | |
kanadischen Kollegin bescheinigt, dass es mit ihr „auf diesem Planeten | |
allenfalls eine Handvoll Schriftsteller aufnehmen“ könne, ja, Alice Munro | |
habe im Bereich der Kurzgeschichte „Tschechow übertroffen“, und der sei | |
„nicht gerade ein Anfänger“ gewesen. | |
Frau Dörlemann hält die letzten auf dem Ausstellungsgelände verbliebenen | |
beiden Exemplare von „Was ich dir schon immer sagen wollte“ und „Tanz der | |
seligen Geister“ fest in ihren Händen. 20 Munro-Bücher hatte sie in | |
Frankfurt dabei, 18 davon sind nach Bekanntgabe der Vergabe des | |
Literaturnobelpreises an Munro bereits verschwunden. „Wir müssen | |
nachdrucken“, sagt die Verlegerin, die ihre Liebe zu Munro bereits in ihrem | |
Anglistik- und Amerikanistik-Studium entdeckte. Und dabei eben auch, dass | |
der S. Fischer-Verlag, bei dem Munros Werke auf Deutsch erhältlich sind, | |
die beiden ersten Erzählbände von 1968 und 1974 nicht im Programm hatte. | |
Jetzt darf sie sich darüber zu Recht freuen. | |
Ein Stockwerk höher gibt wenige Minuten später am Veranstaltungsstand von | |
Deutschlandradio Kultur die Kritikerin Maike Albath eine Einschätzung zur | |
Nobelpreisträgerin Munro ab. Die Sendung „Büchermarkt“ wird live | |
ausgestrahlt, das Frankfurter Publikum kann die Kritikerin bei der Arbeit | |
beobachten. Massenmedien zum Anfassen. | |
Maike Albath scheint sich sehr genau mit dem Werk Munros auszukennen, die | |
in Ontario lebende 82-Jährige gehörte zum engeren Favoritenkreis für den | |
Preis. Kühl, sachlich verdichtet, um wenige, aber sehr präzise Bilder sei | |
Munro bemüht. Albath spricht von einem modernisierten „psychologischen | |
Realismus“ und ist ganz offensichtlich einverstanden mit der diesjährigen | |
Entscheidung des Nobelpreiskomitees. | |
## Schnörkellose Art | |
Manche Kritiker sehen in Munros schnörkelloser Art, Kurzgeschichten zu | |
erzählen, einen Gegenentwurf des – wie sie meinen – ausladend depressiven | |
Entwurfs der diesjährigen Trägerin des Deutschen Buchpreises, Terézia Mora. | |
Sie wurde am Anfang der Messe für ihren Roman „Das Ungeheuer“ geehrt und | |
konnte sich unter anderen gegen Clemens Meyers „Im Stein“ durchsetzen. | |
Der wehrte sich bei einem Podiumsgespräch auf der Frankfurter Messe nach | |
Kräften gegen eine autobiografische Lesart seines jüngsten Romans. Wie | |
relevant seine Biografie für die Interpretation des Werks sei, darauf | |
antwortete er mit Nachdruck: „Total unwichtig! Sie sollen sich nicht für | |
mich, sondern für meine Bücher interessieren! Es geht nicht darum, worüber | |
man schreiben kann, sondern darum, dass man überhaupt schreiben kann.“ | |
Meyers Roman „Im Stein“ spielt im Rotlichtmilieu einer fiktiven Stadt | |
namens Eden City, die offenkundige Bezüge zu Halle (dem Geburtsort Meyers) | |
und Leipzig (Meyers Wohnort) aufweist. Sein Anspruch sei, sagt Meyer, ein | |
Werk zu schaffen, das er selber als Bücherfan mit Vergnügen lesen würde. | |
Dennoch verwundert es kaum, wenn Meyers bewegende Erzählungen aus der | |
Perspektive von Sexarbeiterinnen nun dazu führen, dass man neugierig nach | |
seinen jahrelangen Recherchen fragt. Meyer hebt jedoch hervor, dass es sich | |
bei den Frauen und Zuhältern in seinem Roman eben nicht nur um sogenannte | |
Randfiguren handele, sondern dass er von tabuisierten Dingen erzähle, die | |
inmitten von Stadt und Gesellschaft existierten. „Im Stein“ sei keine | |
schlüpfrige Milieustudie, sondern Fiktion, eine teils hyperrealistische, | |
die die verschiedenen Möglichkeiten erkunde, Mensch zu sein und zu bleiben. | |
## Geheimnis Mode | |
Um den Körper in einem anderen Sinne ging es auch bei Barbara Vinken. Die | |
Romanistikprofessorin hat das Sachbuch „Angezogen“ geschrieben, über das | |
Geheimnis Mode. „Mode hilft uns, mit der Hilflosigkeit im öffentlichen Raum | |
umzugehen,“ sagte Vinken mit einem strahlenden Lächeln. Sie selbst setzt | |
bei ihrem Auftritt auf klassische Details: rote Fingernägel, schlichte | |
Hochsteckfrisur, gläserne Kugeln, die an ihren Ohrringen baumeln, und das | |
kleine Schwarze. „Schwarz trage ich, wenn ich keine Zeit habe, darüber | |
nachzudenken, was ich tragen soll“, so Vinken. | |
Eine Frau habe deutlich mehr Freiheiten, was die Mode betrifft. Mit dem | |
Herrenanzug wurde eine Ikone der Moderne geschaffen, für die Frau konnte | |
sich kein Äquivalent durchsetzen. Auch nicht das Chanel-Kostüm. Daraus | |
folgert Vinken für den Arbeitsalltag: „Die Form des Anzugs verleiht dem | |
Mann eine größere Körperkraft, sie verdeckt jede Verletzlichkeit. | |
Bei der Frau im Kleid wird das gesellschaftlich anders wahrgenommen, | |
zumindest in Deutschland. Dabei schließen sich Weiblichkeit und Autorität | |
für mich keineswegs aus.“ In Frankreich, sagt Barbara Vinken, sei das | |
anders, wie man am Chic von Politikerinnen wie Christine Lagarde sehe. | |
Beifälliges Nicken im Publikum. | |
11 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
Andreas Fanizadeh | |
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