# taz.de -- Frauen im Bundestag: Ein bisschen Vielfalt | |
> Mehr Abgeordnete als je zuvor sind weiblich. Trotzdem werden Frauen im | |
> neuen Bundestag noch immer unterepräsentiert sein. Vier Porträts. | |
Bild: Im Bundestag verändert sich mehr als die Sitzordnung. | |
BERLIN taz | Die taz stellt vier neue Frauen im neuen Bundetag vor: | |
## Die Kämpferin: Luise Amtsberg | |
Für Luise Amtsberg ist der Einzug in den Bundestag so etwas wie eine | |
Rückkehr in ihre alte Heimat. Die grüne Politikerin aus Kiel ist in Berlin | |
groß geworden, in Karlshorst im Osten der Stadt. Jetzt hat sie die Wohnung | |
eines Freundes übernommen. Die liegt in Kreuzberg, in einer Ecke im Westen | |
der Stadt, die das lebt, wofür sich die 30-Jährige seit Jahren politisch | |
engagiert: ein selbstverständliches Miteinander der verschiedenen Kulturen. | |
2009 hat es die Islam- und Politikwissenschaftlerin in Kiel, wo sie | |
studiert hat und hängen geblieben ist, zum ersten Mal in den Landtag von | |
Schleswig-Holstein geschafft. Dort hat sie als Sprecherin für | |
Flüchtlingspolitik ihrer Fraktion unter anderem dafür gesorgt, dass sich | |
der Landtag mit der Residenzpflicht für Flüchtlinge und Geduldete | |
beschäftigte. | |
Das ist ein Thema, das sie nicht loslässt, auch nicht nach ihrem Umzug nach | |
Berlin. In der vergangenen Woche war sie bei den Hungerstreikenden auf dem | |
Pariser Platz. Sie hat mit den Flüchtlingen gesprochen und versucht, | |
zwischen ihnen und einem Vertreter des Innenministeriums zu vermitteln. | |
Erfolglos. Daraufhin hat sie dem Bundesinnenminister einen Brief | |
geschrieben. Darin bittet sie ihn, „angesichts der sich stündlich weiter | |
zuspitzenden Situation“ der Gruppe „zeitnah ein Gesprächsangebot zu | |
unterbreiten“. | |
Luise Amtsberg ist eine Kämpferin und gut vernetzt. Die rechte Seite ihres | |
Schädels ist kahl rasiert, wenn sie redet, ergießt sich ein Schwall von | |
Wörtern über die Zuhörerin. Sie will über ihre Themen wahrgenommen werden, | |
sagt sie, nicht über ihre Person. „Wenn ich der Flüchtlingspolitik aber ein | |
Gesicht geben kann, dann gern“, sagt sie. Ihre erste Rede im Bundestag will | |
sie den Flüchtlingen widmen. Jetzt überlegt sie aber erst einmal, nach | |
Lampedusa zu fahren. | |
## Die Ostdeutsche: Susanna Karawanskij | |
Von Abwasser über Müll bis hin zur Schulnetzplanung – als Kreisvorsitzende | |
der Linkspartei in Eilenburg bei Leipzig hat Susanna Karawanskij mit allem | |
zu tun gehabt. Dadurch sei sie „keine Fachpolitikerin“, sagt die 33-jährige | |
Politik- und Kulturwissenschaftlerin. | |
Das wird sich jetzt, da sie zum ersten Mal für ihre Partei in den Bundestag | |
eingezogen ist, ändern müssen. „Ich muss da aber erst reinwachsen.“ | |
Es gibt da Themen, sagt sie, die ihr „sehr am Herzen liegen“. Finanzpolitik | |
zum Beispiel. Alle Probleme, mit denen sie als Kommunalpolitikerin zu tun | |
hatte, waren schließlich auch finanzieller Natur. Muss das Schwimmbad | |
geschlossen werden, weil kein Geld da ist, um die Heizung zu bezahlen? Wie | |
soll die Kommune die neue Kita ausbauen? Und woher sollen die Gehälter für | |
die ErzieherInnen kommen? | |
Aber auch die Demografie beschäftigt die junge Frau.Wenn die Menschen immer | |
älter werden, verändere das eine Gesellschaft. Dann müsse „das Soziale“ … | |
gedacht werden, findet sie. | |
Die gebürtige Leipzigerin zählt sich zur sogenannten 3. Generation | |
Ostdeutschland. Das sind jene jungen Menschen aus dem Osten, die zur | |
Wendezeit aufgewachsen und heute zwischen 25 und 35 sind. „Wir haben einen | |
besonderen Erfahrungshorizont“, meint Karawanskij. Damit meint sie, salopp | |
formuliert, dass die jungen Frauen und Männer im Westen zwar angekommen | |
seien, den Osten aber noch stark empfinden würden. | |
Es spiele heute immer noch eine Rolle, woher jemand komme und wo jemand | |
lebe, sagt sie. Allein am Einkommen sei das deutlich zu spüren. „Ich habe | |
Freunde, die sind nach dem Studium von Leipzig nach Frankfurt am Main | |
gezogen“, sagt Susanna Karawanskij: „Dort verdienen sie weitaus mehr.“ | |
Gerecht ist das nicht, findet Susanna Karawanskij. Sie plädiert für einen | |
neuen Solidarpakt. Der sollte aber nicht vordergründig dem Osten helfen, | |
sondern allen finanzschwachen Kommunen. | |
## Die Soziale: Christina Kampmann | |
Christina Kampmann hat noch kein eigenes Büro, noch kein Telefon und auch | |
noch keine E-Mail-Adresse, die auf @bundestag.de endet. Überhaupt ist der | |
Weg nach Berlin in den Bundestag für Kampmann, 33, eine große Premiere. | |
Bislang hat die Verwaltungswirtin in Bielefeld, wo sie wohnt, Lokalpolitik | |
gemacht. Dort hat sie – gleich bei ihrer erste Kandidatur für den Bundestag | |
– das Direktmandat geholt. | |
Auch Bielefeld hat im Sommer, als der Wahlkampf tobte, so etwas wie eine | |
Premiere erlebt. Vier der fünf SpitzenkandidatInnen dort waren weiblich – | |
bis auf die Linke hatten alle Parteien Frauen aufgestellt. Im Wahlkampf, | |
hörte und las man immer wieder, sollen die Frauen „respektvoll“ miteinander | |
umgegangen sein. Ohne die üblichen Herabwürdigungen und Verunglimpfungen, | |
ohne dieses Hauen und Stechen, das Männer so gern zelebrieren. | |
Eine Bielefelder Besonderheit? Oder ist doch was dran am verpönten | |
Klischee, Frauen machten anders Politik? Es könne schon sein, sagt | |
Kampmann, „dass Frauen einen anderen Blick auf die Gesellschaft haben“. | |
Sie selbst habe ihren „Blick auf die Gesellschaft“ vor allem in ihrer | |
Arbeit im Sozialamt geschärft. Dort hat sie als Sozialarbeiterin alles | |
miterlebt, was der Alltag für die Menschen so bereithält. Und sie hat alles | |
mitgemacht: Sozialgelder bewilligt, Hartz-IV-Bescheide abgelehnt, | |
Alleinerziehende beraten. „Damals habe ich ganz deutlich gespürt, dass | |
nicht alle die gleichen Chancen haben.“ | |
In dieser Zeit wurde Kampmann zurückgeworfen auf ihre eigene Herkunft: Als | |
Tochter eines Kfz-Mechanikers und einer Biobäuerin war sie die erste in | |
ihrer Familie mit einer akademische Laufbahn. Sie hat Stipendien bekommen | |
und während des Studiums gearbeitet. Sie ist der Prototyp der | |
Bildungsaufsteigerin. „Ich habe nichts geschenkt bekommen“, sagt sie, „ich | |
musste viel kämpfen.“ | |
Das will sie im Bundestag nicht vergessen, verspricht sie. Ihr Ziel: ein | |
wahrhaft vorsorgender Sozialstaat. | |
## Die Fleißige: Astrid Freudenstein | |
Astrid Freudenstein hat ihren Schreck überwunden. „Mit mir war nicht zu | |
rechnen“, sagt sie. Freudenstein hat in Regensburg, wo sie wohnt, auf Platz | |
9 der Liste ihrer Partei, der CSU, kandidiert. Das schien ein wenig | |
erfolgversprechender Platz zu sein. Aber die Christsozialen räumten am 22. | |
September stärker ab als erwartet – und Astrid Freudenstein bekam eine | |
Chance. | |
Die Medienwissenschaftlerin, 40, verheiratet, ein Sohn, ist eine von 14 | |
Frauen, die jetzt für die CSU im Bundestag sitzen. Insgesamt sind von den | |
311 Unions-Abgeordneten 77 weiblich, Das ist knapp ein Viertel, so viel wie | |
nie zuvor in der Unions-Geschichte. | |
Astrid Freudenstein scheint auf den ersten Blick so gar nicht der | |
CSU-Politik zu entsprechen: Sie arbeitet Vollzeit, ihr Mann ebenfalls, der | |
Sohn geht in den Hort. Als das Kind geboren wurde, blieb die Politikerin | |
gerade mal ein halbes Jahr in Elternzeit zu Hause. Andere Mütter, vor allem | |
in Bayern, steigen bis zu zehn Jahre und länger aus. | |
Das kam für Astrid Freudenstein nie infrage. „Wenn ich drei Jahre | |
ausgestiegen wäre, wäre das mein Todesurteil als Journalistin gewesen“, | |
sagt sie. | |
Wenn Freudenstein künftig wochenweise in Berlin ist, muss der Ehemann den | |
Sohn versorgen. Das Betreuungsgeld, das die CSU verteidigt wie die Bremer | |
Stadtmusikanten ihr Räuberhaus, ist nicht in jedem Fall Freudensteins Ding. | |
Jetzt, da es auch Eltern bekommen, die berufstätig sind, könne sie damit | |
leben, sagt sie: „Ansonsten hätte ich mit dieser Art der Familienförderung | |
ein Problem.“ | |
Und dann ist da noch die Frauenquote. Der könne sie nicht ernsthaft etwas | |
entgegensetzen, sagt die neue Bundestagsabgeordnete, sie selbst habe ja | |
schließlich davon profitiert. Ohne Quote wäre sie wahrscheinlich nicht auf | |
der Landesliste gelandet, glaubt sie. 40 Prozent Frauen müssen seit 2010 | |
auf Landes- und Bezirksebene vertreten sein. Freudenstein sagt aber auch: | |
„Quoten gefallen niemandem, sie sind immer nur ein Notnagel.“ | |
21 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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