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# taz.de -- Racial Profiling bei der Polizei: „Igittigitt, das ist Rassismus�…
> Polizeigewerkschafts-Chef Rainer Wendt spricht über die Konsequenzen der
> NSU-Affäre und Racial Profiling. Er warnt vor Pauschalkritik.
Bild: Polizisten bei einer Demo gegen rassistische Polizeigewalt in Berlin.
taz: Herr Wendt, der Untersuchungsausschuss des Bundestags hat in seinem
Abschlussbericht zur NSU-Affäre vorgeschlagen, die Polizei solle bei jeder
Tat gegen Migranten künftig festhalten, ob einem möglichen rassistischen
Hintergrund nachgegangen wurde. Wie finden Sie das?
Rainer Wendt: Von mir aus kann man das dokumentieren. Damit habe ich kein
Problem, vor allem, wenn sich die Polizei dadurch von dem Verdacht
freimachen kann, sie würde nicht in jede Richtung ermitteln. Aber die
Politik muss dann auch die Frage nach den Ressourcen beantworten. Es heißt
ja auch immer, dass wir zum Beispiel in den ostdeutschen Ländern die
Präsenz in der Fläche sicherstellen müssen, um dort, wo es rechtsextreme
Tendenzen gibt, sofort vor Ort zu sein. Aber zugleich sollen in den fünf
neuen Bundesländern jetzt über 9.000 Planstellen gestrichen werden. Da
ärgern mich so wohlfeile Forderungen natürlich.
In seinem Abschlussbericht hat der Untersuchungsausschuss einmütig
festgestellt, die Polizei habe in der NSU-Mordserie einseitig ermittelt.
Ist das nicht eine schallende Ohrfeige?
Dieses Fazit macht uns natürlich nicht glücklich, aber ich warne vor
Pauschalkritik. Daran, dass wir von Anfang an nicht in die richtige
Richtung ermittelt haben, haben viele mitgewirkt. Ich vermisse in dem
Bericht einen Hinweis darauf, dass sich auch die, die die
Sicherheitsbehörden kontrollieren, nicht mit Ruhm bekleckert haben.
Bleiben wir bei der Polizei: Dass in neun von den zehn Mordfällen des NSU
einseitig ermittelt wurde, führt der Ausschuss auf ein „strukturelles“
Versagen zurück. Was sagen Sie dazu?
Das sehe ich anders. In Bayern wurde 2006 durchaus auch in Richtung
Rechtsextremismus ermittelt. Es war aber nicht falsch, auch in andere
Richtungen zu ermitteln. Das macht ja Polizeiarbeit aus: dass in alle
Richtungen ermittelt wird.
Die Ermittlungen haben sich fast ausschließlich auf das Umfeld der Opfer
konzentriert, wie sich auch beim NSU-Prozess in München zeigt. Warum können
Sie da bei der Polizei keinen blinden Fleck erkennen?
Die Politik hat hier zu schnell eine Erwartungshaltung formuliert und
unmittelbar nach den Taten einen rechtsextremen Hintergrund ausgeschlossen.
Das passiert ja jetzt noch. Wenn es irgendwo Hinweise auf Rechtsextremismus
gibt, dann findet sich sofort ein Innenminister, der sagt: „Das stimmt doch
alles gar nicht, das ist nicht so schlimm.“ Dieses Beschwichtigen ist weit
verbreitet. Dass sich die Polizei von der Politik hat leiten lassen, war
ein großer Fehler. Ich hätte mir hier ein größeres Selbstbewusstsein der
Behörden gegenüber der Politik gewünscht.
Der Untersuchungsausschuss hat gefordert, in der Polizeiausbildung solle
künftig mehr „interkulturelle Kompetenz“ vermittelt werden. Mangelte es der
Polizei bisher daran?
Sie können sicher sein, dass Menschenrechtsbildung, Rassismusforschung und
interkulturelle Kompetenz bei der Polizeiausbildung schon jetzt ganz oben
stehen. Sonst könnten sie doch heute manchen Einsatz, etwa bei häuslicher
Gewalt, gar nicht mehr bewältigen.
Der Ausschuss war sich auch einig, dass die Sicherheitsbehörden mehr
Mitarbeiter mit Migrationshintergrund brauchen.
In etlichen Bundesländern wirbt die Polizei schon seit Jahren massiv um
solche Bewerberinnen und Bewerber. Ich hatte in meiner aktiven Zeit auch
schon viele türkische und italienische Kollegen. Das ist in der Tat eine
Bereicherung. Aber wenn Sie zur Polizei wollen, müssen Sie sehr hohe
Anforderungen erfüllen, mancherorts brauchen Sie Abitur. Leider ist es so,
dass viele Menschen, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, diese
Anforderungen nicht erfüllen, weil sie zum Beispiel sprachliche Defizite
haben. Das ist ein Problem der Schulen.
Vielleicht schreckt manche potenzielle Bewerber auch das Image der Polizei
ab?
Die Polizei genießt in Deutschland ein sehr hohes Ansehen, das gilt auch
für den zugewanderten Teil der Bevölkerung. Sicher hat die NSU-Affäre
keinen Beitrag geleistet, um das Vertrauen zu stärken. Wir haben aber viele
Bewerber mit ausländischen Wurzeln. Beim Staat anzufangen ist für viele
junge Leute mit einem hohen Maß an Anerkennung verbunden. Die sind sehr
stolz darauf, wenn sie Polizist geworden sind.
Als Konsequenz aus der NSU-Affäre fordern viele jetzt, eine
Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten einzurichten. Sie auch?
Nein, das wird es mit uns nicht geben. Wir haben unabhängige
Untersuchungsstellen, die heißen Staatsanwaltschaften. Wir wollen keine
Tribunale, die von Parlamentsmehrheiten und damit von Parteifunktionären
abhängig sind, denen sich die Polizei permanent unterwerfen müsste.
Derzeit verlaufen die allermeisten Verfahren gegen Polizisten im Sande.
Versagt da die Kontrolle durch die Justiz?
Es gibt jedes Jahr etwa zweieinhalbtausend Strafanzeigen gegen Polizisten,
davon werden 95 Prozent von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Von den
verbleibenden fünf Prozent, bei denen es zur Anklage kommt, wird ein
Drittel verurteilt. Normale Strafanzeigen gibt es acht Millionen im Jahr,
und davon werden achtzig Prozent eingestellt. Von den verbleibenden zwanzig
Prozent werden zwei Drittel verurteilt. Die Dimensionen sind also
vergleichbar.
Die Einstellungsquote bei der Polizei ist deutlich höher. Warum?
Das liegt daran, dass die meisten Anzeigen Gegenanzeigen sind: Wer
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen hat, der versucht, sich
durch eine Anzeige gegen die Polizei in eine bessere Verfahrensposition zu
bringen.
Oder umgekehrt.
Die Polizei muss ja Anzeige erstatten, wenn sie den Verdacht einer Straftat
hat.
Dann steht Aussage gegen Aussage.
Wenn sich zwei Aussagen gegenüberstehen, ist aber egal, wer das untersucht.
Was soll eine Kommission denn anderes ermitteln als eine Staatsanwaltschaft
und ein Gericht? Hat die eine höhere Eingebung oder was?
Eine unabhängige Kommission könnte die Polizei von dem Verdacht entlasten,
dass sie etwas zu verbergen hat.
Nein, ich glaube, wir würden dort sehr viel Unrecht erfahren, weil dort
nicht mit juristischer Expertise, neutral und professionell, sondern
parteipolitisch und ideologisch motiviert ermittelt würde. Wir würden dort
nicht entlastet, sondern permanent am Pranger stehen. Das hat die Polizei
nicht verdient.
Migrantenverbände und Opferangehörige fühlen sich in ihrer Kritik an der
Polizei durch den Untersuchungsausschuss bestätigt. Muss man sie nicht
ernster nehmen?
Das tun wir. Wir müssen aber das Handeln der Polizei besser erklären, die
Sicherheitsbehörden müssen ihre Öffentlichkeitsarbeit professionalisieren.
Es reicht nicht mehr, wenn sich eine Staatsanwaltschaft und eine Polizei
nach einer Tat mit einem möglicherweise rassistischen Hintergrund
hinstellen und sagen: „Zum laufenden Verfahren äußern wir uns nicht.“
Im Rahmen der Aufarbeitung der NSU-Affäre wurde bekannt, dass zwei
Polizisten in Baden-Württemberg einmal beim Ku-Klux-Klan waren. Wie können
Sie da ausschließen, dass es bei der Polizei Rassisten gibt?
Ich kann nicht in die Köpfe von über 260.000 Menschen gucken. Aber was ich
ausschließen kann, ist, dass wir dieses Thema vernachlässigen. Dieser
Vorwurf ist heftig, schmerzhaft und bösartig. Er trifft ja auch die
Bundespolizei mit ihren verdachtsunabhängigen Kontrollen. Hier wünschte ich
mir auch, dass die Politik uns mehr in Schutz nimmt.
Kritiker sprechen bei diesen Kontrollen von „Racial Profiling“, weil man
allein aufgrund seiner Hautfarbe ins Visier der Polizei geraten kann. Muss
das sein?
Wenn die Politik nicht möchte, dass die Polizei illegale Zuwanderung in
dieser Form bekämpft, dann muss sie uns diesen Auftrag entziehen. Dann
werden wir das nicht mehr tun.
Im vergangenen Jahr sind über eine halbe Million Menschen in solche
Kontrollen geraten. Nur drei Prozent davon waren illegal Eingereiste. Da
kann man sich schon fragen, ob das verhältnismäßig ist, oder?
Wenn die Politik sagt, das brauchen wir nicht mehr, dann haben wir damit
kein Problem. Dann würde aber auch die erfolgreiche Arbeit der
Bundespolizei bei der Bekämpfung der illegalen Migration beendet sein. Die
Politik kann uns jedoch nicht den Auftrag und die Befugnisse geben und
hinterher sagen: „Igittigitt, das ist Rassismus.“
27 Oct 2013
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Polizei
Diskriminierung
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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