# taz.de -- Prozess gegen Kenias Präsident: Weltgericht schürt neue Ängste | |
> Der Internationale Strafgerichtshof wirft Kenias Präsident Kenyatta | |
> Anstachelung zu den Unruhen bei den Wahlen 2008 vor. Das könnte neue | |
> Gewalt auslösen. | |
Bild: Das Verfahren gegen Vizepräsident William Ruto hat bereits begonnen. | |
BERLIN taz | Samwei Tuei hat gerade seinen Mais geerntet. Er wartet auf den | |
Beginn der Regenzeit im kenianischen Rift Valley, um neu zu pflanzen. Der | |
50-jährige Bauer aus der Volksgruppe der Kalenjin kommt eigentlich von | |
woanders her; er musste sein Dorf 2008 verlassen, zum Höhepunkt der | |
Auseinandersetzungen zwischen Kalenjin- und Kikuyu-Milizen während des | |
mörderischen Streits darüber, ob Kikuyu-Politiker Mwai Kibaki die | |
Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte oder nicht. | |
Damals suchte Tuei Schutz in einem Kikuyu-Vertriebenenlager. Zurück in die | |
Heimat traut er sich bis heute nicht: Es gebe zu viel Misstrauen, sagt er. | |
Dieses Jahr bekamen seine und 850 andere vertriebene Familie Land von der | |
Regierung – als Entschädigung. Jetzt will er sich ein neues Leben aufbauen. | |
„Den alten Streit neu aufzurollen, das kann neues Blutvergießen | |
verursachen“, sagt Tuei auf die Frage, was er davon hält, dass Kenias | |
Präsident Uhuru Kenyatta, ein Kikuyu, und sein Vize William Ruto, ein | |
Kalenjin, jetzt beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag | |
wegen des Schürens der Gewalt 2008 vor Gericht stehen sollen. Der | |
Ruto-Prozess hat bereits angefangen, der Kenyatta-Prozess noch nicht. | |
Die beiden einst verfeindeten Politiker schmiedeten dieses Jahr eine | |
Allianz und gewannen gemeinsam die Wahlen. Das zwang ihre Anhängerschaft, | |
das Kriegsbeil zu begraben – eine afrikanische Lösung für ein afrikanisches | |
Problem. Aber nun setzt Den Haag die Gewalt von 2008 wieder auf Kenias | |
innenpolitische Tagesordnung. Tuei glaubt, es wäre besser, einen | |
Schlussstrich zu ziehen. | |
## Landzuweisungen sind zu klein | |
Sein Nachbar Richard Waweru findet es aber besser, dass Kenyatta und Ruto | |
sich vor dem Strafgerichtshof verantworten müssen. Der 42-jährige Waweru | |
ist Kikuyu. Er wurde 2008 ebenfalls vertrieben – zum dritten Mal, denn | |
ethnische Gewalt im Rift Valley gab es früher auch schon. „Wir müssen die | |
Wahrheit hören. Erst dann können wir uns wirklich miteinander versöhnen und | |
mit unserem Leben weitermachen“, sagt er. Für ihn ist ein Schlussstrich | |
undenkbar: „Ich schließe überhaupt nicht aus, dass ich noch mal fliehen | |
muss.“ | |
Die Zuweisung von Land an die Vertriebenen in Majani Mingi löst das Problem | |
nicht. Alle klagen, dass ihr Stück Land von knapp einem Hektar zu klein | |
ist. Alle haben Angst, in ihre alten Dörfer zurückzukehren. Alle klagen | |
über ihre Lebensumstände: Es gebe keine Krankenstation, keine Polizeiwache | |
und das Wasser sei knapp. | |
Die Kalenjin sehen das Rift Valley als ihr angestammtes Gebiet. Während der | |
britischen Kolonialzeit eigneten sich weiße Siedler die fruchtbarsten | |
Landstriche an und stellten Kikuyu aus der Nachbarregion als Farmarbeiter | |
ein. Nach der Unabhängigkeit 1963 kehrten viele weiße Farmer zurück in | |
ihren Heimatländer. Kenias erster Präsident Jomo Kenyatta, ein Kikuyu und | |
Vater des heutigen Staatsoberhaupts, half den Kikuyu, das Land der Weißen | |
günstig zu kaufen. | |
Kalenjin sehen die Kikuyu daher als Eindringlinge. Sie konkurrieren nicht | |
nur um Land, sondern auch um politische Macht: Die beiden Volksgruppen | |
wechseln sich seit Kenias Unabhängigkeit an der Staatsspitze ab. Dabei | |
gehen die Kikuyu als weitaus größte und historisch benachteiligte Ethnie | |
davon aus, dass sie das Recht haben, Kenia zu regieren. | |
## Kenyatta und Ruto gegen den ICC | |
Dass Kenyatta und Ruto sich jetzt versöhnt haben, sehen Beobachter nicht | |
als Zeichen für gesellschaftliche Versöhnung. „Kenyatta und Ruto arbeiten | |
nicht zusammen für den Frieden“, analysiert Joseph Omondi, Koordinator des | |
Bürgerforums Bunga la Wananchi. „Sie vereinen ihre Kräfte, um dem ICC zu | |
entgehen. Gleichzeitig kann der ICC zwischen den beiden Uneinigkeit schüren | |
und damit neue Gewalt verursachen.“ | |
So sagen im Prozess gegen Ruto vor allem Kikuyu als Zeugen der Anklage aus, | |
und die Verteidigung sagt, dass Kikuyu im Umfeld von Präsident Kenyatta der | |
Anklage zuarbeiten. Daher stellt sich die Frage, ob das Bündnis zwischen | |
Kenyatta und Ruto die Belastung durch den ICC überstehen kann. | |
2 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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