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# taz.de -- Protest gegen Stuttgart 21: Demonstranten bleiben oben
> Die Protestbewegung feiert ihre 200. Kundgebung vor dem Bahnhof. Die
> Stadtverwaltung will sie verdrängen. Grund: Sie störe den Verkehrsfluss.
Bild: Krach gegen Stuttgart 21.
STUTTGART taz | Helga Hahn hat Ende der fünfziger Jahre in der Volksschule
gelernt, dass der Stuttgarter Hauptbahnhof „das Wunderwerk der Technik
schlechthin“ sei. Auch wegen des Verrats an diesem Gebäude im Zentrum
Stuttgarts ist sie hier auf der 200. Montagsdemo gegen S 21. Sie trägt
einen schwarzen Daunenmantel mit goldenen Steppnähten und dunkelroten
Lippenstift. Sie bläst wild in ihre silberne Trillerpfeife. „Oben
bleiben!“, rufen die Demonstranten. „Oben bleiben!“
Sie verfolgt die Bewegung schon lange, eigentlich von Anfang an, seit
Herbst 2009. Dass die Bewegung so lange gegen das Projekt kämpft, „das
hätten wir uns nie träumen lassen“, sagt Hahn. In diesem Satz schwingt
Freude über die große Zahl an Unterstützern mit. Und Bitterkeit, in vier
Jahren keine Wende erreicht zu haben.
Zur Jubiläumsdemo seien 7.500 Menschen gekommen, sagt Matthias von
Herrmann, einer der Organisatoren. 3.400 Menschen hat die Polizei gezählt.
170 Polizisten waren im Einsatz. Was hat sich seit 2009 verändert? Es kämen
weniger junge Leute, sagt Hahn. Und sie persönlich sei renitenter gegen
Polizisten geworden. „Ich lass mir nichts gefallen“, sagt sie.
Die Polizei hält die Bewegung laut einem Sprecher für friedlich. Nach
Angaben der Veranstalter hat sich die Zahl der regelmäßig teilnehmenden
Demonstranten zwischen 2.000 und 3.000 eingependelt. Der Finanzrahmen des
Projekts ist weiter gestiegen: wie kürzlich vom Lenkungskreis bekannt
gegeben von zuletzt 4,5 Milliarden Euro auf 6,5 Milliarden Euro.
## „Wir brauchen eine Idee von Zukunft“
Am Ort der Demo direkt vor dem Hauptbahnhof ist man gegen Kretschmann,
gegen Kuhn, gegen die SPD, gegen die CDU sowieso, gegen die Große Koalition
und gegen Ungerechtigkeit. „Wofür sind wir in der Bewegung eigentlich?“,
fragt Volker Lösch, Theaterregisseur und Hauptredner an diesem Abend. „Wir
brauchen eine Idee von Zukunft. Ohne eine Vision wird sich nichts Neues
bilden.“ Er predigt ein Lebensmodell, in dem es nicht um die Beschleunigung
von wenigen Minuten zwischen Stuttgart und Ulm gehen dürfe.
Neuester Aufreger unter den Demonstranten: Das Ordnungsamt will die Demo
verlegen. Weg vom Cityring, der dadurch blockiert ist, zunächst in eine
Querstraße nahe dem Hauptbahnhof, nach dem Weihnachtsmarkt auf den
Marktplatz. Doch den Demoveranstaltern liegt laut Herrmann nur „ein Verbot“
für die Demos am Hauptbahnhof bis Weihnachten vor. „Wir werden juristisch
dagegen vorgehen“, kündigt der Parkschützer an.
Im Jahr 2010 ist die Stadt mit einem Versuch der Verlegung bereits
gescheitert. Der Verwaltungsgerichtshof entschied damals: „Das Interesse
des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, mit seiner Versammlung möglichst
große Beachtung zu finden, überwiegt das öffentliche Interesse an der
Vermeidung von Verkehrsbeeinträchtigungen am Arnulf-Klett-Platz.“
## Einzelhändler, Stadtbusse, Staus
Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) hat jetzt nach eigenen Angaben
aussagekräftige Zahlen. Einzelhändler, deren Geschäfte angrenzend liegen,
beklagten Umsatzeinbußen. Die Stadtbusse könnten an Montagabenden acht
Haltestellen nicht anfahren, 8.500 Fahrgäste seien betroffen, es gebe Stau
auf dem Cityring. Die S-21-Gegner verweisen auf die Statistik eines
Navigationsdienstleisters, die zeige: Der Stauschwerpunkt in Stuttgart
falle nicht auf einen Montag.
Helga Hahn hat sich einen Button an den Daunenmantel geheftet. LGNPCK steht
darauf. Lügenpack. Parkschützer von Herrmann interpretiert Schairers
Absicht als Anlassen des Wahlkampfmotors. Schairer wolle sich vor den
Kommunalwahlen als „Durchgreifer gegen missliebige Demonstranten“
inszenieren. Redner Volker Lösch handelt die Ortsfrage kurz ab. In seiner
Rede ruft er dazu auf, sich nicht an Kleinigkeiten festzubeißen. „Es ist
nicht existenziell, wo die Demo stattfindet“, sagt er. Er fordert
„Konzentration auf das Wesentliche“. „Stuttgart 21 ist ein kriminelles
Loserprojekt und unser Potenzial ist immer noch groß.“
3 Dec 2013
## AUTOREN
Lena Müssigmann
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