| # taz.de -- Debatte Russlands Außenpolitik: Putins Status quo | |
| > Bis vor kurzem sah es aus, als ob Russland außenpolitisch alles richtig | |
| > machte. Doch die Proteste in Kiew legen die narzisstische Statuspolitik | |
| > offen. | |
| Bild: Moskau versucht, die Einzelteile des untergegangenen Imperiums zusammenzu… | |
| Dieses Jahr war das Jahr Präsident Wladimir Putins. Davon ist nicht nur | |
| Russlands politische Elite überzeugt. Auch das US-Magazin Forbes kürte den | |
| Kremlchef dieses Jahr zum politisch einflussreichsten Mann der Welt. Laut | |
| Forbes kann US-Präsident Barack Obama dem Russen auf internationaler Bühne | |
| nicht mehr das Wasser reichen. | |
| In der Tat absolvierte Wladimir Putin seit Juni einen Höhenflug. | |
| Whistleblower Edward Snowden tauchte in Russland unter, das ihm auch | |
| vorübergehend Asyl gewährte. Statt wie bisher wegen seiner fragwürdigen | |
| Menschenrechtspolitik kritisiert zu werden, war aus Russland über Nacht | |
| eine Macht des Guten geworden. | |
| Im September gelang es dem Kremlchef in einer Blitzinitiative, die | |
| Vernichtung syrischer Chemiewaffen einzuleiten. Das rettete dem syrischen | |
| Präsidenten Assad nicht nur das politische Überleben, es verdrängte den | |
| Krieg vorerst aus den Schlagzeilen. Obwohl sich an der Lage im Kriegsgebiet | |
| nichts änderte, konnte Russland so in die selbst definierte Rolle als | |
| Unterpfand des Weltfriedens schlüpfen. | |
| Fast zur selben Zeit gelang es dem Kremlchef, Armenien den Ausstieg aus dem | |
| EU-Programm der Östlichen Partnerschaft schmackhaft zu machen. Noch vor der | |
| Ukraine lehnte Jerewan daraufhin die Unterzeichnung eines | |
| Assoziierungsabkommens ab. Der Höhepunkt der Erfolgssträhne war im November | |
| erreicht, als der Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowitsch, das Vorhaben | |
| der Annäherung an die EU aufkündigte. | |
| ## Hallo Partner, danke schön | |
| Die Bilanz des Westens ist dagegen entmutigend. Die europäische Schwäche | |
| ist auch auf die Gleichgültigkeit zurückzuführen, mit der die EU der | |
| östlichen Partnerschaft lange begegnete. Nicht zuletzt auch aus | |
| Rücksichtnahme gegenüber Russland und der Angst vor irrationalen Reaktionen | |
| des Kremls. Erst in letzter Minute begriff die EU, als hätte es den | |
| Georgienkrieg nie gegeben, dass Putins antiwestliche Rhetorik Konsequenzen | |
| – auch geopolitische – haben könnte. | |
| Die proeuropäischen Demonstrationen, die sich zu Protesten gegen die | |
| Machthaber in Kiew ausweiteten, verpassten der Euphorie in Moskau jedoch | |
| einen Dämpfer. Denn die wachsende Opposition gefährdet nicht nur die | |
| Herrschaft Wiktor Janukowitschs, sie macht eine Rückkehr der Ukraine in den | |
| russischen Schoß auch immer unwahrscheinlicher. | |
| Moskau versteht nicht, was in der Ukraine vor sich geht: dass sich | |
| Gesellschaften von alten Eliten und ewigen Wahrheiten emanzipieren und | |
| lieber dort nach Anregungen suchen, wo „Soft Power“ im Angebot ist; statt | |
| Druck, Erpressungen und Verschwörungstheorien. | |
| ## Soft Power to the People | |
| Zurzeit versucht Moskau, die Einzelteile des untergegangenen Imperiums | |
| zusammenzusetzen. Dahinter steckt aber keine langfristige Strategie, die | |
| sich auf verlässliche Analysen stützen würde. Es sieht eher nach einer | |
| Laune aus, mit der Putin den anhaltenden Phantomschmerz lindern will. Dafür | |
| gründete man eine Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland, der neben | |
| Armenien auch die Ukraine und zentralasiatische Staaten beitreten sollen. | |
| Die Zollunion auf Basis einer Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) | |
| soll zu einer umfassenden politischen Eurasischen Union ausgebaut werden. | |
| Moskau lockt mit supranationalen Institutionen, an denen alle | |
| gleichberechtigt teilhaben dürfen. Aber bislang erklärten nur Weißrussland | |
| und Kasachstan ihre Mitgliedschaft. Doch selbst diese Autokratien bleiben | |
| Moskau gegenüber misstrauisch – im Ukrainekonflikt war es Putin, der sich | |
| als Einziger zu Wort meldete. | |
| Das neue geopolitische Gebilde imitiert die Europäische Union, indem es | |
| gleiche Institutionen mit gleicher Bezeichnung schafft. Es war schon immer | |
| ein Charakteristikum russischer Politik, äußere Attribute des Westens zu | |
| übernehmen, diese aber mit gegenläufigen Inhalten zu füllen. Nach dem | |
| mühseligen Konsensprinzip der EU funktioniert die Eurasische Union | |
| jedenfalls nicht. | |
| Auch wirtschaftlich ist das Konzept zweifelhaft. Fest steht, dass Russland | |
| materiell nicht profitieren wird. Vielmehr schießt es zu, um sich die Gunst | |
| der Autokraten zu erhalten. Auch der russische Steuerzahler wurde nicht | |
| gefragt, was er von dem Unternehmen hält. Zweifelsohne stecken neoimperiale | |
| Bestrebungen dahinter, mit denen Russland sich als eines der | |
| zivilisatorischen und integrativen Zentren neben EU, USA und China zu | |
| profilieren hofft. Ein Integrationsmagnet ist das Reich bislang noch nicht, | |
| weshalb nachgeholfen werden muss. | |
| ## Putins Opferbereitschaft | |
| Gleichzeitig ist Moskau gar nicht so erpicht auf direkte Machtausübung, wie | |
| die Bereitschaft zu finanziellen Opfern belegt. Auch in Syrien setzt der | |
| Kreml nicht auf materielle Vorteile. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat | |
| das erratische Verhalten Moskaus vor allem etwas mit dem Kampf um den | |
| sozialen Status als Großmacht zu tun. Gerade der postsowjetische Raum ist | |
| zentral für Moskaus Selbstanspruch. Die Bedeutung eines realen | |
| Machtzuwachses spielt zuweilen eine geringere Rolle, als die Verteidigung | |
| der Insignien der Macht oder deren Rückeroberung. | |
| Russland will an weltpolitischen Entscheidungen beteiligt sein; wie diese | |
| inhaltlich aussehen, ist dafür nicht unbedingt entscheidend. Sich der | |
| russischen Außenpolitik mit einer Kosten-Nutzen-Analyse zu nähern, führt | |
| daher oftmals in die Irre. Der symbolische Gehalt des sozialen Ranges – der | |
| selbst definierten Großmachtrolle – dominiert das Denken der russischen | |
| Elite und verleiht ihrer Politik widersprüchliche Züge. Die narzisstische | |
| Statuspolitik, die sich weigert, die Asymmetrie zwischen Selbstwahrnehmung | |
| und Außengeltung zur Kenntnis zu nehmen, ist nicht nur teuer, sie hindert | |
| Russland daran, eine außenpolitische Strategie zu entwerfen. | |
| Denn auch Moskau wird langfristig nicht umhinkommen, sich nach Partnern, | |
| Bündnissen und Kooperationen umzuschauen. Die eurasischen Nachbarn werden | |
| diesen Ansprüchen nicht genügen, sie müssten sich erst einer Modernisierung | |
| unterziehen. Auch Russland müsste sich reformieren. Ursprünglich hatte | |
| Wladimir Putin bei Amtsantritt im Jahr 2000 dies versprochen, aber bisher | |
| nicht eingelöst. | |
| 8 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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