# taz.de -- Putins Rede zur Lage der Nation: Eine konservative Kraft | |
> Russland zwingt „niemandem etwas auf“ und will keine Supermacht sein, | |
> sagt der Präsident. Innenpolitisch setzt er auf konservative | |
> Moralvorstellungen. | |
Bild: Licht an, Spot an: Wladimir Putin im Mittelpunkt. | |
MOSKAU taz | Mit drei Minuten Verspätung trat Präsident Wladimir Putin as | |
Pult im Georgiewskij-Saal des Kreml, um seine zehnte Rede zur Lage der | |
Nation zu halten. 1.100 Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft | |
waren am Donnerstag zu diesem jährlichen Ritual geladen. | |
Diesmal fiel der Bericht zusammen mit dem 20. Jahrestag der Verabschiedung | |
der neuen russischen Verfassung nach dem Zerfall der Sowjetunion. Der Rede | |
wird offiziell programmatische Bedeutung zugeschrieben, auch wenn die | |
russische Bürokratie die Vorgaben etwas lockerer versteht. | |
Mit der Außenpolitik hielt sich der Kremlchef diesmal nicht lange auf. Doch | |
was er zu sagen hatte, ließ aufhorchen: Russland erhebe keinen Anspruch | |
darauf, als eine Supermacht angesehen zu werden, weder „als globaler noch | |
regionaler Hegemon“, meinte der Kremlchef mit Blick auf die Vorgänge in der | |
Ukraine. „Wir zwingen niemandem etwas auf. Aber wenn unsere Freunde den | |
Wunsch zur gemeinsamen Arbeit haben, sind wir bereit.“ | |
Die von Russland initiierte eurasische Zollunion, der nach Vorstellungen | |
des Kreml auch die Ukraine beitreten soll, sei ein „Integrationsprojekt, | |
das auf Gleichberechtigung beruht und echten wirtschaftlichen Interessen“, | |
meinte Putin. Der Kremlchef, dem ukrainische Opposition und EU vorwerfen, | |
massiven Druck auf Kiew ausgeübt zu haben, gab sich betont nüchtern und | |
kostete diese Spitze nicht – wie sonst üblich – noch genüsslich aus. Putin | |
zählte die außenpolitischen Erfolge der letzten Monate lediglich auf und | |
kam zu dem Schluss: „Andere Einflusszonen verfolgen aufmerksam das | |
Erstarken Russlands.“ | |
Im Unterschied zu anderen Mächten wolle Russland niemanden belehren: | |
„Dennoch streben wir an die Spitze, verteidigen dabei das Völkerrecht, um | |
den Respekt vor der Souveränität, Selbständigkeit und nationalen Eigenarten | |
der Völker durchzusetzen“, so Putin. | |
Mit anderen Worten: wenn auch nicht militärisch, so erhebt Moskau zumindest | |
Anspruch auf die führende Weltrolle als moralische Instanz. | |
## Konservativ im Inneren | |
Russland ist dabei, sich allmählich das Konzept der „soft power“ | |
anzueignen. Dass der Kreml nach wie vor davon überzeugt ist, außenpolitisch | |
listiger und weitblickender zu sein als die Gegenspieler im Westen, | |
entfaltete der Kremlchef am Beispiel Iran. Dort zeichne sich im Atomstreit | |
eine friedliche Lösung ab, meinte der Präsident sinngemäß. Aber was | |
passiere mit dem Raketenabwehrschirm? – der bleibe doch bestehen, sagte | |
Putin. Russland beharrt darauf, dass der angeblich nur gegen sogenannte | |
Schurkenstaaten gerichtete Schutzschirm der USA in Wirklichkeit auch die | |
russischen Nuklearwaffen außer Gefecht setzen könnte – oder gar sollte. | |
Die neue Bestimmung Moskaus als geistige und moralische Führungsmacht hob | |
der Kremlchef auch im Innern hervor. Russland stütze sich auf traditionelle | |
Werte wie Familie, Religion und Sittlichkeit, so Putin. Indirekt | |
rechtfertigte er damit die hysterische Politik des letzten Jahres, die | |
Schwule ausgrenzt und alles mit einem Stigma versieht, was nicht | |
normgerecht ist. | |
Schon am Montag hatte Putin durch die Fusion einer Mega-Propagandamaschine | |
– die staatliche Agentur Russland heute – zu verstehen gegeben, dass | |
Russland im Kampf um die Köpfe im Westen die liberalen Kräfte nicht mehr zu | |
überzeugen sucht, sondern sich stattdessen auf die Empfänglichkeit | |
konservativer Kreise dort konzentrieren werde. | |
Russland sei eine konservative Kraft, meinte Putin im Rückgriff auf den | |
Religionsphilosophen Nikolai Berdjajew, den heutigen Hausphilosophen des | |
Kreml: Sinn des Konservatismus sei es nicht, „Vorwärts- und | |
Aufwärtsbewegungen zu vereiteln, sondern Rückwärtsbewegungen auch hin zu | |
chaotischer Finsternis zu verhindern“. | |
12 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
## TAGS | |
Wladimir Putin | |
Russland | |
Kreml | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Russland | |
Wladimir Putin | |
Russland | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Russland | |
Russland | |
Wladimir Putin | |
Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Russisch-amerikanische Beziehungen: Raketenvereinbarung gebrochen | |
Russland soll laut den USA gegen einen Kernwaffen-Abrüstungsvertrag | |
verstoßen haben. Das Land soll unerlaubterweise Mittelstreckenraketen | |
getestet haben. | |
Dirigent für Münchner Philharmonie: Mehr als nur taktlos | |
Waleri Gergijew soll Chefdirigent der Münchner Philharmonie werden. Nach | |
einer homofeindlichen Aussage schlägt ihm nun heftige Kritik entgegen. | |
Wladimir Putin ist Mann des Jahres 2013: Ypa! Ypa! Ypa! | |
Zum 13. Mal wurde Russlands Präsident zum „Mann des Jahres“ gewählt. Eine | |
Auslese der Großtaten des Männlichsten der Männlichen. | |
Amnestiegesetz in Russland: Keine Hoffnung für Chodorkowski | |
Die russische Duma verabschiedet das angekündigte Amnestiegesetz. Bis zu | |
25.000 Häftlinge könnten freikommen, darunter die Pussy-Riot-Musikerinnnen. | |
Machtkampf in der Ukraine: Regierung und Opposition mobilisieren | |
Am Sonntag will die Opposition erneut einen „Marsch der Millionen“ | |
organisieren. Aber auch Anhänger der Regierung wollen auf die Straße. | |
Krise in der Ukraine: Bürgermeister von Kiew abgesetzt | |
Präsident Janukowitsch feuert den Bürgermeister von Kiew wegen des brutalen | |
Vorgehens gegen Protestler. Unterdessen demonstrieren beide Seiten erneut. | |
Runder Tisch in der Ukraine: Die Fronten bleiben verhärtet | |
Der erste Krisengipfel in der Ukraine bringt die Kontrahenten nicht | |
zueinander. Oppositionspolitiker Klitschko rechnet mit einem „Marsch von | |
Millionen“. | |
Provinz in der Ukraine: Der nächste Trouble Spot | |
Seit drei Wochen ist die Lage in der Ukraine mehr als angespannt. Im | |
Zentrum steht Kiew. Aber auch auf der Krim regt sich was. | |
Proteste in der Ukraine: Klitschko und Janukowitsch reden | |
Regierung und Opposition führen nun Gespräche. Janukowitsch bietet eine | |
Amnestie für alle Regierungsgegner an, denen Strafverfahren drohen. | |
Bei Neuwahlen in der Ukraine: Klitschko will antreten | |
Vitali Klitschko will für das Amt des Präsidenten in der Ukraine | |
kandidieren. Das kündigte er in der ARD an. Die Demonstranten in Kiew | |
weiten die Protestlager aus. | |
Russland zentralisiert die Medien: Die Propaganda-Megamaschine | |
Wladimir Putin löst eine staatliche Nachrichtenagentur auf. Eine neu | |
gegründete Agentur soll an einem freundlicheren Image arbeiten. | |
20 Jahre russische Verfassung: Massenamnestie für Häftlinge | |
Wird Kremlchef Putin viele seiner inhaftierten oder angeklagten Gegner im | |
Zuge einer Amnestie gehen lassen? Entscheiden soll nun die Staatsduma. | |
Debatte Russlands Außenpolitik: Putins Status quo | |
Bis vor kurzem sah es aus, als ob Russland außenpolitisch alles richtig | |
machte. Doch die Proteste in Kiew legen die narzisstische Statuspolitik | |
offen. | |
Russisch-ukrainisches Verhältnis: Slawische und andere Werte | |
Putin plant die Zollunion mit der Ukraine. Sollte das gelingen, käme | |
Russland seinem Ziel einer „Eurasischen Union“ sehr nahe. |