# taz.de -- Künstler in der Ukraine: Janukowitschs Kopf ist nicht genug | |
> Die Ukrainer wollen nicht nur den Präsidenten stürzen. Ein Blick auf die | |
> Kulturszene des Landes zeigt, dass ihre Forderungen viel tiefer ansetzen. | |
Bild: Europa und die Ukraine. Dazwischen ein Denkmal des Dichters Taras Schewts… | |
Die Berichterstattung über die Ukraine ist in westlichen Medien auf | |
prominente Oppositionspolitiker wie den Exboxer Vitali Klitschko | |
fokussiert. Das ergibt ein schiefes Bild. Es geht den Demonstranten | |
keineswegs darum, systemimmanent einen Präsidenten gegen einen anderen | |
auszutauschen. Wie tief die gegenwärtigen Proteste ansetzen, kann man eher | |
sehen, wenn man auf die ukrainischen Schriftsteller und Künstler schaut. | |
Irena Karpa, eine der populärsten jungen Autorinnen des Landes, hat eine | |
„Agenda 5/12“ initiiert. Inzwischen haben sie 6.700 Menschen | |
unterschrieben, darunter auch im deutschsprachigen Raum so bekannte Namen | |
wie Serhij Zhadan, Juri Andruchowytsch, Taras Prochasko oder Andrej Kurkow | |
[1][(hier im Interview)]. | |
In der Agenda wird neben dem Schutz der Demonstranten vor Polizeigewalt | |
auch der Rücktritt der ukrainischen Regierung und ein neues Wahlgesetz | |
gefordert. Ein dritter Schwerpunkt betrifft aber auch die emotionale Ebene | |
und fordert die Oppositionspolitiker nachdrücklich auf, ein Reformprogramm | |
für das erste Regierungsjahr aufzustellen. Man werde sie mit allen Kräften | |
unterstützen. | |
Dabei betonen die Unterzeichner, dass „sie trotz ihrer tiefen Abneigung | |
gegen Janukowitsch nicht seinen Kopf wollen, sondern vielmehr das eigene | |
Land zurückhaben wollen". Ein Land, so heißt es weiter, in dem für | |
„Kreaturen“ wie den Präsidenten Janukowitsch oder den Regierungschef Asarow | |
kein Platz sein wird, „und ebenso wenig für ihre Schläger“. | |
## Wie im Steinzeitkapitalismus | |
Die Proteste richten sich also auch auf eine ganz andere politische Kultur. | |
Die Schriftstellerin Larysa Denysenko schreibt nach dem blutigen | |
Polizeieinsatz am vergangenen Wochenende auf dem Maidan an Präsident | |
Janukowitsch adressiert: „Sie haben keine Lebens- und Schicksalslinie mehr. | |
Gegen Sie hat sich die Jugend des Landes erhoben. Sie haben keine Zukunft | |
mehr.“ | |
Es gilt sich daran zu erinnern, dass diese Proteste ursprünglich darin | |
gründeten, wie schlecht die herrschenden Politiker mit dem ihnen | |
anvertrauten Staat und den Menschen umgehen. Immer noch sehen diese | |
Politiker den Staat und seine Menschen wie in einem Steinzeitkapitalismus | |
als Ressource zur persönlichen Bereicherung an. | |
Der Schriftsteller Juri Andruchowytsch bezeichnet Janukowitsch deshalb auch | |
als jemanden, der sich „seit seinem Regierungsantritt wie ein Okkupant in | |
der Ukraine aufführt“. Dieser „Okkupant“ kam durch das Versagen der | |
Politiker nach der Orange Revolution 2004/2005 an die Macht. Schon deshalb | |
wird es nun kein Déjà-vu-Erlebnis einer zweiten Orange Revolution geben, | |
die aktuellen Proteste sind anders. Sie werden von einer jüngeren | |
Alterskohorte getragen, die das politische System der Ukraine viel | |
grundsätzlicher infrage stellt. | |
## Unpolitisch bleiben – trotz Revolution | |
Diese Alterskohorte – „Me Me Me-Generation“ genannt – wird oft als | |
politisch uninteressiert und extrem ichbezogen charakterisiert. | |
Repräsentiert wird sie von Autoren wie Irena Karpa, Larysa Denysenko oder | |
auch Serhij Zhadan. Die popkulturelle Ästhetik ihrer Werke hat im | |
ukrainischen Kontext zunehmend Fragen der Identität, des kulturellen | |
Gedächtnisses und der individuellen Verortung in einer globalisierten Welt | |
aufgeworfen. | |
Die politische Instrumentalisierung der Proteste lehnen sie rigoros ab, | |
ebenso wie viele Studenten und jugendliche Demonstranten. Auch die | |
ukrainische Popdiva Ruslana hat die Parole ausgegeben: „Ich bleibe in | |
dieser Revolution unpolitisch.“ | |
Es mag paradox klingen: Aber genau dieser Satz ist Ausdruck einer | |
politischen Haltung. „Sie wollen nicht“, wie Andrej Kurkow schreibt, „dass | |
ihre Vorstellungen in Losungen der Oppositionsparteien verpackt werden. Sie | |
lassen sich ihre Eigenständigkeit und ihre Würde nicht nehmen. Und deshalb | |
lautet ihr Ziel nicht, jemanden an die Regierung zu bringen, sondern in | |
einer zivilisierten europäischen Ukraine zu leben.“ | |
Damit interpretieren die Unterzeichner der Agenda 5/12 auch die | |
traditionelle Rolle der Schriftsteller in der Ukraine neu: Sie treten | |
keineswegs mehr als ehrwürdige Autoritäten auf. | |
Der Autor Serhij Zhadan bezeichnet die Jugend auf dem Euro-Maidan als | |
„nicht verlorene Generation“, die freilich Kannibalen gegenüberstehe. | |
„Kannibalen, die ihre Gegner auch innerhalb der Grenzen eines Dialogs | |
einfach auffressen können. Aber was diese Gegner mit den Kannibalen machen | |
werden, ist noch nicht ganz raus.“ Und das lässt hoffen. | |
11 Dec 2013 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Kratochvil | |
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