# taz.de -- Lohndumping in Europa: Schutzlose Wanderarbeiter | |
> Viele Arbeitgeber halten die Rechte von Wanderarbeitern nicht ein. Die | |
> EU-Kommission will die Kontrollen nun weiter einschränken. | |
Bild: Werden sie korrekt bezahlt? Arbeiter auf dem Bau. | |
BERLIN taz | Es ist ein typischer Fall, erzählt Mihai Balan: „Irgendwo in | |
Osteuropa werden über eine Briefkastenfirma Arbeitnehmer zum Arbeiten nach | |
Deutschland geschickt. Hier werden sie über Subunternehmer beispielsweise | |
auf dem Bau beschäftigt. Auf dem Papier bekommen sie den Bau-Mindestlohn | |
von mindestens 13,55 Euro. Aber es werden pauschal nur Gehälter von 1.000 | |
oder 1.500 Euro ausbezahlt, die Leute arbeiten jedoch mehr Stunden. So | |
werden Mindestlöhne unterlaufen.“ | |
Balan hat täglich mit Fällen wie diesen zu tun. Er arbeitet in Frankfurt am | |
Main bei „Faire Mobilität“, einer von bundesweit sechs Anlaufstellen für | |
Wanderarbeiter, die beim Deutschen Gewerkschaftsbund angesiedelt sind. | |
Schon jetzt, sagt Balan, führten er und seine Kolleginnen einen ungleichen | |
Kampf. | |
„Es gibt keine gute staatenübergreifende Zusammenarbeit der Behörden, und | |
wir als einfache Berater können nicht prüfen, ob in Rumänien oder Bulgarien | |
tatsächlich eine Firma existiert, die ihre Arbeiter rechtmäßig hierher | |
entsendet. Wenn Arbeiter um Löhne geprellt werden, ist es schwierig, diese | |
einzutreiben.“ | |
Künftig könnte der Kampf noch ungleicher ausfallen, denn die EU-Kommission | |
hat eine Richtlinie vorgelegt, mit der sie nach eigenen Angaben den Schutz | |
von Wanderarbeitern verbessern will. | |
„Aber genau das Gegenteil wird passieren, wenn der Kommissionsvorschlag so | |
kommt“, sagt Harald Wiedenhofer, Generalsekretär der europäischen | |
Gewerkschaft für Nahrungsmittel, Landwirtschaft und Tourismus. | |
Mehrere europäische Gewerkschaftsverbände haben deswegen für Montag in | |
Brüssel zu Protesten aufgerufen. Dann beschließt der Rat der EU, wie es mit | |
den Verhandlungen zwischen ihm, dem Parlament und der Kommission | |
weitergeht. | |
## Schutz vor Lohndumping | |
Auf EU-Ebene existiert seit 1996 eine Entsenderichtlinie, die Beschäftigte | |
vor Lohn- und Sozialdumping schützen soll. So hat ein Arbeitnehmer, der von | |
seiner Firma nach Deutschland geschickt wird, unter anderem Anspruch auf | |
deutsche Urlaubsregelungen oder gegebenenfalls auch auf Mindestlöhne, | |
sofern sie für die entsprechende Branche bereits existieren. | |
Mit einer Durchsetzungsrichtlinie will die EU-Kommission die | |
Entsenderichtlinie nun konkretisieren. „Nicht zum Besseren“, sagt Elisabeth | |
Schroedter, Europaabgeordnete der Grünen. „Die Kommission versucht seit | |
Jahren, flexible Kontrollen der Mitgliedstaaten einzuschränken. Kontrollen, | |
die die Arbeitnehmerrechte sicherstellen sollen. Und das Parlament | |
versucht, es abzuwehren.“ | |
Schicken Firmen Beschäftigte nach Deutschland, müssen bisher wichtige | |
Unterlagen wie Lohnzettel, Verträge oder Arbeitszeitnachweise für den Zoll | |
in Deutschland einsehbar sein. Künftig soll es ausreichen, dass solche | |
Dokumente am Sitz der Firmen im Ausland vorliegen. | |
Übersetzungen ins Deutsche soll der Zoll nur noch verlangen dürfen, wenn | |
diese „nicht übermäßig lang“ sind, so die Kommission, und unangekündigte | |
Kontrollen vor Ort nur als letztes Mittel stattfinden. „Das alles läuft auf | |
eine Vereitelung von Strafverfolgung hinaus“, sagt Wiedenhofer. | |
## Vier oder fünf Euro Stundenlohn | |
Nicht nur die Gewerkschaften, auch die deutsche Bauwirtschaft protestiert, | |
in der der größte Teil der entsendeten Beschäftigten arbeitet: „Es ist | |
wichtig, dass der Zoll volle Kontrollmöglichkeiten hat. Der Wettbewerb in | |
der Baubranche darf nicht über Löhne funktionieren, er muss über Qualität | |
funktionieren“, sagt Nadine Wulf, Expertin für Tarif- und Sozialpolitik | |
beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. | |
Das EU-Parlament hat den Kommissionsvorschlag nachgebessert. Es will die | |
schärferen Kontrollmöglichkeiten erhalten und die Behörden der Länder zu | |
mehr Zusammenarbeit verpflichten. Am Montag will der Rat der EU zu einer | |
einheitlichen Position finden. Dann müssen sich Rat und Parlament auf eine | |
endgültige Richtlinie einigen. | |
Wie viele entsandte Beschäftigte es in Europa gibt, ist unklar. Die EU geht | |
von einer Million aus. Nach Deutschland sollen jährlich rund 180.000 | |
kommen, schätzt die Bundesregierung. | |
Schroedter geht davon aus, dass es mindestens doppelt so viele sind. „Aber | |
viele werden als Scheinselbstständige hierher geschickt“, sagt sie. Damit | |
aber fallen sie offiziell nicht unter die Entsenderichtlinie. Die Folge: | |
Die Beschäftigten haben selbst auf Mindeststandards des Ziellandes, in dem | |
sie vorübergehend arbeiten, keinen Anspruch. | |
„Die EU muss endlich festschreiben, dass für entsandte Beschäftigte auch | |
bei Scheinselbstständigkeit und insgesamt für alle mobilen Arbeitnehmer das | |
Ziellandprinzip gilt“, fordert deswegen Gewerkschafter Wiedenhofer. | |
Doch darauf konnte sich selbst das EU-Parlament nicht einigen. Nur so aber | |
könnten auch die zuletzt viel beklagten Stundenlöhne von vier oder fünf | |
Euro in der Stunde für rumänische oder bulgarische Arbeiter in der | |
deutschen Schlachtindustrie eingedämmt werden. Denn für diese Branche | |
existiert bisher noch kein Mindestlohn. | |
9 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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