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# taz.de -- Das Internet als Retter des Fernsehens: Linearer Sternenstaub
> Das TV-Signal verpufft, die Jugend klickt lieber statt zu zappen. Wie
> Jugendkanäle von morgen aussehen und ob das Netz die Rettung
> journalistischer Inhalte ist.
Bild: Und Tschüss. Ist da noch was zu machen?
Der schnelle Klick tötet das lineare Fernsehen. Im Internet gibt es alles
on demand, auf Knopfdruck, ein Klick genügt. Für das Fernsehen heißt das:
Die Jugend haut ab ins Netz. Die Jugend, das ist für Fernsehmacher die
begehrte Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen. Was tun, um sie wieder
einzufangen?
ARD und ZDF wollen es mit einem Jugendkanal versuchen. Rund 45 Millionen
Euro veranschlagten sie für das Projekt - und scheiterten damit im Herbst
am Veto der Ministerpräsidenten der Länder. Zu kostspielig das Ganze, das
inhaltliche Konzept überzeuge nicht. Bis März 2014 arbeiten sie an einem
neuen Konzept. Crossmedial soll es sein, alle Kanäle bespielend, Fernsehen,
Radio und: Internet.
Tatsächlich ist die crossmediale Idee nicht neu. Auch die ARD
experimentierte damit. Die „Tageswebschau“ ging lief ab Juni 2012 gut ein
Jahr lang auf den Digitalkanälen Eins Plus, Eins Festival und tagesschau24
und war in der Mediathek abrufbar. Das Konzept: Ein junges Team, junge
Protagonisten als Moderatoren, Themen aus dem Internet. Eine Mischung aus
„Tagesschau“ und den jungen ARD-Hörfunkwellen.
„Wir haben versucht, unsere Quellen aus dem Internet zu beziehen, aus
Sozialen Netzwerken. Wir haben geschaut, was Trending-Topic bei Twitter
ist“, sagt Redaktionsleiter Marcello Bonventre. Die Zielgruppe ging ihm
trotzdem durch die Maschen: Im Mai 2013 kappte die ARD die Finanzierung
wegen ungenügend hoher Abrufzahlen.
Bonventre machte trotzdem weiter, mit der [1][„Wochenwebschau“], einem
Wochenmagazin mit weniger Budget, das nun alleine aus dem Topf von Radio
Bremen finanziert wird. Das ist die kleinste ARD-Anstalt und chronisch
defizitär. Die Ausgaben sind keine reinen Nachrichtenformate mehr. „Es ist
magaziniger, mit jungen Protagonisten“, sagt Bonventre.
In einer Ausgabe geht es um Online-Adventskalender, eine Comic-App und
einen Blog mit einem Hund, der komische Sachen auf dem Kopf hat.
Funktioniert nur leichte Kost? Nein, sagt Bonventre. Bisher am meisten
geklickt worden sei ein Beitrag über die Diskriminierung von Homosexuellen
in Russland. Es solle ja auch ein journalistisches Produkt sein, etwas
Verlässliches. Aber: "Wir brauchen mehr Klicks."
## Privatsender probiert's mit Social-TV
Am Berliner Ostbahnhof steht eine alte Fabrik aus Backstein, der braune
Putz bröckelt von den Wänden im Treppenhaus. Ein mit schwarzer Farbe
gemalter Pfeil weist den Weg nach oben: in die Zukunft, die hier ein großer
Raum ist, hellweiß beleuchtet, in dem junge Menschen geschäftig wuseln. Von
hier sendet Joiz. Der private Jugendkanal startete im August in
Deutschland, via Kabel und Satellit empfangbar. Das Motto: Die Jugend
bestimmt, was im Fernsehen passiert.
Social TV, die Couch-Kartoffel wird aktiver Nutzer. Jugendliche sollen
Inhalte mitgestalten, per Chat, Skype und in den Sozialen Netzwerken. Für
die Macher ist das Internet Primärquelle. Mittzwanziger quatschen in Talks
über den Syrienkrieg, den Internetminister, einen Pornodarsteller oder
guten Sex.
Oliver Pocher, Casper und Selena Gomez saßen schon auf der Couch.
Dauergast: das Internet. Ein Bildschirm im Hintergrund zeigt die
Chatkommentare. Wer dabei sein will, wird nach kurzem Vorgespräch per
Videotelefonie in die Sendung geschaltet - und hinterher fürs interaktive
Dabeisein mit Werbegeschenken belohnt.
Geschäftsführer Carsten Kollmus glaubt an das Medium. Der Sender trägt sich
zwar noch nicht, in der Schweiz war er aber bereits nach zwei Jahren
rentabel. "Wir holen die Leute ins Fernsehen zurück. Es ist eher so, dass
der Trend zum Second Screen geht." Kollmus ist sicher: "Fernsehen wird nie
tot sein." Zur Not erhalten eben kleine Geschenke die Freundschaft.
## Das Fernsehen ist kein relevantes Medium mehr
"Social TV ist kein Rettungsanker", sagt Christopher Buschow vom Institut
für Journalistik in Hannover. Er forscht seit zwei Jahren zu dem Phänomen
Social TV. "Es wird Bewegtbild geben - aber ob so etwas wie Fernsehen mit
linearen Programmabläufen überhaupt noch eine Rolle spielen wird, da bin
ich mir nicht sicher." Das Fernsehen sei kein relevantes Medium mehr für
Jugendliche. "Die würden auf eine einsame Insel nicht den Fernsehen
mitnehmen, sondern ihr Smartphone."
## Nachrichten auf Youtube brauchen mehr Klicks
Fünfter Stock in einer Dachgeschosswohnung in Berlin. Im Wohnzimmer stehen
große Sessel, auf einem goldenen Schwein reitet eine Spiderman-Puppe. Hier
entsteht [2][„Was geht ab“], ein Youtube-Kanal mit Nachrichten für
Jugendliche. Seriös sollen die sein, aber dabei nicht so steif rüberkommen.
Florian, Frodo, Steven und Rick reden in ihren privaten Kanälen über
Onlinespiele, Vaginapilze und Schlussmachen. Für "Was geht ab" sprechen sie
Nachrichten ein. Ihre Zielgruppe: 13- bis 21-jährige Youtube-User.
Vier bis fünf Videos werden am Tag gedreht, mindestens 18 in der Woche.
Ohne das Unternehmen Mediakraft würde das nicht gehen. Das Netzwerk nimmt
Youtuber unter Vertrag, übernimmt die Vermarktung, akquiriert Werbepartner.
Ähnlich wie eine Plattenfirma bekommt Mediakraft dafür einen Anteil der
Einnahmen. Die Firma macht noch keinen Gewinn, sondern wird von
Gesellschaftern und Investoren finanziert.
Redaktionsleiter Alex Moebius spricht von "früher Bildung" als Konzept.
Ganz schön ambitioniert, denn die Youtuber klicken am liebsten Schabernack.
"Du kriegst eben mehr Klicks mit lustigen Sketchen, wenn du über
Celebrities herziehst oder aus deinem Alltag erzählst." 180.000 Abonnenten
hat der Kanal. Um die 40.000 Klicks haben die "Flash-News", knapp
dreiminütige Videos im Themenmix, von Angela Merkels neuem Kabinett, über
Nelson Mandelas Tod bis zur Debatte um die Legalisierung von Marihuana.
"Um uns zu finanzieren bräuchten wir das zehn- bis zwanzigfache an Klicks."
Der Nachrichtenkanal profitiert von den Youtubern als bekannte Marke. Die
Fans wollen wissen, ob Steven eine neue Brille hat. Und vielleicht
tatsächlich etwas über Merkels neues Kabinett erfahren.
## Ein öffentlich-rechtliches Youtube
Soll das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich also einfach ein Beispiel an
Youtube nehmen? Nicht Fernsehen mit ein bisschen Internet, sondern Internet
mit Fernsehen? Da wäre dann der Rundfunkstaatsvertrag im Weg: ein Angebot,
das ausschließlich oder primär im Web existiert, ist nicht vorgesehen.
Doch im Prinzip wäre ein öffentlich-rechtliches Youtube die Zukunft, sagt
Markus Hündgen, Veranstalter des Deutschen Webvideo-Preises. Bewegtbild
ohne Fernseher, ohne den Staub des Linearen. Er sagt: „Journalismus und
Bildung sind weiße Flecken auf der deutschen Webvideo-Landkarte.“ Es fehle
an Videos mit journalistischen, edukativen Inhalten.
Die hätten dann auch nichts zu tun mit Youtubern, die „vermeintlich hippe
Fließbandware über die Kanäle schieben“. Da gebe es für die
Öffentlich-Rechtlichen eine Lücke - wenn sie sie den nutzen dürften.
21 Dec 2013
## LINKS
[1] http://wochenwebschau.tumblr.com/
[2] http://www.youtube.com/user/wasgehtab
## AUTOREN
Julia Neumann
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