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# taz.de -- Politik und Polio in Pakistan: Lähmendes Misstrauen
> Pakistans Taliban kämpfen gegen die Polio-Impfung als „Instrument des
> Westens zur Unterjochung der Muslime“. Die Zahl der Erkrankten steigt.
Bild: Kinderlähmung ist bitter – und der Job der Impfteams in Pakistan gefä…
ISLAMABAD taz | Die Pakistan-Karte im Büro von Dr. Nima Saeed Abid spricht
eine deutliche Sprache: Der Direktor des Büros der
Weltgesundheitsorganisation WHO in Islamabad markiert darauf alle
Polio-Neuinfektionen mit roten Nadeln. In diesem Jahr musste er schon 74mal
hineinstechen. In keinem anderen Land der Welt hat es soviele neue Fälle
von Kinderlähmung gegeben.
Der Blick auf die Karte von Dr. Abid zeigt aber nicht nur, wie sich eine
schreckliche – und durch Impfung vermeidbare – Krankheit bis heute immer
wieder ausbreiten kann. Sie verrät auch, welch dramatische Folgen
internationale politische Konflikte, der wachsende Einfluss der
pakistanischen Taliban und Verschwörungsängste für das Leben und die
Gesundheit der Menschen dieser Region haben.
Die meisten roten Nadeln drängen sich an der Grenze zu Afghanistan: in
Nordwasiristan (23) und im Distrikt Khyber Agency (19) nördlich davon.
Beide gehören zur Fata genannten Stammesregion unter Bundesverwaltung
(ingesamt 51 Fälle), einer Hochburg militanter Islamisten. Betroffen ist
auch die Nachbarregion um die Stadt Peschawar.
Im Sommer des vergangenen Jahres hatten Pakistans Taliban Polioimpfungen
verboten und gedroht, das Impfpersonal zu töten. Impfungen dienten nur
dazu, die Bevölkerung auszuspionieren, erklärten die Islamisten. Der Westen
nutze die Impfung als Instrument, Muslime zu unterjochen. Folge: „In
Nordwasiristan wird seit Juli 2012 gar nicht mehr gegen Polio geimpft,“
sagt Abid. „Das ist zu gefährlich.“
## Wer impft, muss um sein Leben fürchten
Seitdem muss das Impfpersonal, das in landesweiten Kampagnen rund 35
Millionen Kinder unter fünf Jahren immunisieren soll und von Haus zu Haus
geht, von der Polizei geschützt werden. „Bisher wurden 28 Personen bei
Impfungen getötet – 10 Polizisten und 18 Impfhelfer,“ sagt Abid. Zuletzt
wurden am 13. Dezember zwei Polizisten bei Swabi (Provinz Khyber
Pakhtunkwa) erschossen und ein Impfhelfer bei Jamrud (Khyber Agency).
Dabei sind nicht alle Islamisten gegen das Impfen: „Die afghanischen
Taliban haben mit Polio-Impfungen kein Problem,“ sagt Abid. „Das erklärten
sie sogar schriftlich.“ Seine Karte mit den roten Nadeln zeigt auch das
benachbarte Afghanistan – mit viel weniger Fällen. Die dort Erkrankten
kamen aus Pakistan, wie sich herausstellte.
## Normalerweise kein Problem
In Kriegsgebieten zu impfen sei normalerweise kein Problem: „Wir reden mit
den Konfliktparteien und dann gibt es eine Feuerpause zum Impfen.“ Doch in
Pakistan würden die Teams gezielt angegriffen. Impfungen „sind in Pakistan
politisiert“, sagt Abid. „Die Polizei kann keinen absoluten Schutz bieten,
denn Impfkampagnen können nicht bewaffnet durchgeführt werden. Die
Bevölkerung muss sie aktiv wollen, nur dann funktionieren sie.“ Die Zahl
der Impfverweigerer liegt laut Abid unter einem Prozent, doch das
Misstrauen sei groß. Zugleich lobt er die Regierung in Islamabad. „Die ist
engagiert. Sonst hätte sie nicht einen 270-Millionen-Dollar-Kredit zur
Polio-Bekämpfung bei der Islamischen Entwicklungsbank aufgenommen.“
Misstrauische Pakistaner fragten ihn, warum es nur Polio-Impfungen gäbe?
Die Menschen bräuchten doch auch Wasser und Medikamente. „Wir sagen, Polio
sei eben vermeidbar und auszuschalten. Wir erklären, auch dass die
Impfungen keine westliche, sondern eine globale Initiative sind.“ Doch
würden viele nicht verstehen, warum die USA Pakistaner bei Impfungen
unterstützte, sie zugleich aber mit Drohnen beschieße.
## Argwöhnisch gegenüber den USA
„Der Fall Afridi hat das Misstrauen stark vergrößert,“ beklagt Abid. Dabei
habe der Fall des Arztes Shakil Afridi (siehe unten), der mit einem
vorgetäuschten Hepatitis-Impfprogramm für die CIA den al-Qaida-Chef Osama
bin Laden in der Stadt Abbottabad identifiziert haben soll, mit Polio
nichts zu tun gehabt. Dennoch: „Das Verbot der Polio-Impfungen sprachen die
Taliban erst nach dem Fall Afridi aus,“ sagt Abid. „Und erst danach wurde
gezielt Impfpersonal angegriffen.“
Viele Pakistaner sind gegenüber den USA sehr misstrauisch.
Verschwörungstheoretiker sahen sich durch Afridis Dienste für den
US-Geheimdienst bestätigt: „Ohne Afridi hätten die Taliban die
Polio-Impfungen nicht verboten,“ glaubt der Talibanexperte Mansur Khan
Mahsud vom Fata-Forschungszentrum in Islamabad. „Sammelt nur ein Prozent
der Impfhelfer Informationen für Geheimdienste, rechtfertigt das aus
Talibansicht ein Verbot“, sagt Mahsud. Nach dieser Logik hätten den Anstieg
der Polio-Fälle „die zu verantworten, die eine Impfkampagne als Deckmantel
für die Suche nach Bin Laden wählten.“
## Nach Mekka nur geimpft
Die Sozialarbeiterin Tayyaba Gul bestätigt, dass die Probleme erst
losgingen, als der Fall Afridi bekannt wurde. Gul macht Polio-Kampagnen für
den Rotary Club, einen elitären Zirkel mit karitativen Projekten. Die
Rotarier hatten sich für vorgenommen, die Kinderlähmung bis 2005 weltweit
auszurotten. In Pakistan organisiert Gul lokale Impfkomitees, in denen
örtliche Mullahs, Großgrundbesitzer, Lehrer und lokales Gesundheitspersonal
zusammenarbeiten.
„Wir sprechen zuerst nicht von Polio-Impfung,“ sagt Gul. „Das ist zu
gefährlich, das Misstrauen zu groß. Wir reden zuerst nur von Impfungen und
Hygiene.“ Manche glaubten, Impfungen würden Kinder später unfruchtbar
machen. Oder ihnen würden westliche Werte eingeimpft. Guls Teams erfahren
von Hebammen, wo Kinder geboren werden, und fragen die Eltern dann, ob sie
geimpft sind. „Eine Familie haben wir sechs Jahre lang bearbeitet, bis die
Kinder gegen Polio geimpft werden konnten,“ sagt Gul.
Wie sie sieht auch der WHO-Arzt Abid in den islamischen Geistlichen den
Schlüssel für den Erfolg: „Wir weisen die Mullahs darauf hin, dass auch
Saudi Arabien Kinder gegen Polio impft. Und wer nach Mekka pilgern will,
muss eine solche Impfung nachweisen,“ sagt Abid.
19 Dec 2013
## AUTOREN
Sven Hansen
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