# taz.de -- Gefängnisse in Griechenland: Kaum Platz zum Stehen | |
> Die Gefängnisse in Griechenland sind unter allen Ländern der EU am | |
> stärksten überbelegt. Die Zahl der Häftlinge nimmt zu, die Finanzmittel | |
> schrumpfen. | |
Bild: Korydallos hat Platz für 800 Häftlinge. Am 1. November saßen dort 2.12… | |
ATHEN ap | Mehr als 30 Männer waren in die Zelle gepfercht, Tag und Nacht | |
für Wochen oder Monate. Weil die Pritschen nicht ausreichten, mussten viele | |
auf dem Boden schlafen. Die Fenster waren mit Farbe bestrichen und ließen | |
kein Sonnenlicht durch, in der Luft hingen dichter Zigarettenrauch und der | |
Geruch der einzigen Toilette, die sich alle teilten. | |
In dieser etwa 40 Quadratmeter großen Zelle für Polizeigewahrsam in der | |
nordgriechischen Stadt Serres verbrachte Giorgos Aslanis etwa drei Monate. | |
Im Oktober entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass | |
die Haftbedingungen gegen europäisches Strafrecht verstießen und sprach ihm | |
8.000 Euro Entschädigung zu. | |
Nach Zahlen des jährlichen [1][Gefängnisberichts des Europarats] vom Mai | |
sind die Haftanstalten in Griechenland unter allen Ländern der EU am | |
stärksten überbelegt. Die Zahl der Insassen erreichte in diesem Jahr ein | |
Rekordhoch, viele Gefängnisse nehmen schlicht keine neuen mehr auf. | |
Hunderte Untersuchungshäftlinge sitzen daher über Monate in | |
Gewahrsamszellen, die nur für einen Aufenthalt von Stunden oder Tagen | |
gedacht sind. „Es ist ein System, das zusammenbricht“, sagt Spyros | |
Karakitsos, Leiter der Griechischen Föderation von Gefängnisangestellten. | |
## Neuer Gefängnisflügel, neue Strafmethoden | |
In der Wirtschaftskrise nimmt die Zahl der Häftlinge zu, während die | |
Finanzmittel für Wachpersonal und Anstalten schrumpfen – eine gefährliche | |
Mischung, vor deren Folgen Vertreter von Polizei und Justiz warnen. Die | |
Regierung will gegensteuern. Es werde versucht, neue Gefängnisse zu bauen, | |
erklärte Justizminister Charalambos Athanasiou. | |
Und der damalige Vizejustizminister Costas Karagounis verwies vor einigen | |
Monaten auf die Eröffnung neuer Gefängnisflügel und die Einführung neuer | |
Strafmethoden wie die elektronische Überwachung von Verurteilten ohne deren | |
Einweisung in ein Gefängnis. | |
Da viele Haftanstalten doppelt oder dreifach überbelegt sind, sitzen | |
mehrere hundert Menschen in Polizeizellen ohne Zugang ins Freie. Etwa 34,1 | |
Prozent der Insassen griechischer Gefängnisse warteten 2012 nach Zahlen des | |
[2][Internationalen Zentrums für Gefängnisstudien] auf ihren Prozess. | |
Untersuchungshaft sei inzwischen die Norm statt die Ausnahme, kritisieren | |
Menschenrechtsorganisationen. | |
Die jüngste Statistik des Europarats, veröffentlicht im Mai mit Zahlen für | |
2011, weist für den Stichtag 1. September eine 151,7-prozentige Belegung | |
griechischer Gefängnisse auf. 12 479 Insassen belegten 8 224 Haftplätze. | |
Und die Zahl der Häftlinge ist seither stetig gestiegen. | |
## Polizeizelle statt Gefängnis | |
Am 1. November saßen 13.147 Personen ein, wie aus offiziellen Zahlen | |
hervorgeht, die der Nachrichtenagentur AP vorliegen. Nicht darin enthalten | |
sind Untersuchungshäftlinge wie Aslanis, die auf Polizeiwachen festgehalten | |
werden. Aslanis wurde im Juni 2009 wegen mehrfachen Diebstahls | |
festgenommen. Weil er eine Kaution in Höhe von 1000 Euro nicht zahlte, | |
wurde er im Dezember des Jahres in Untersuchungshaft genommen. | |
Da das örtliche Gefängnis voll war, landete er in der Polizeizelle. Nach | |
eigenen Angaben hatte er etwa 35 Zellengenossen. Die Betten wurden nach | |
Hierarchie vergeben: Wer am längsten da war, bekam die nächste freie | |
Pritsche, es sei denn, ein Neuzugang war krank oder alt. | |
„Es gibt keine Belüftung, es gibt Schmutz, es gibt keine Hygiene“, sagte | |
Aslanis der AP. Er wurde schließlich verurteilt und verbüßte seine Strafe | |
bis zu seiner Freilassung im Januar 2011 in zwei Gefängnissen. Der | |
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine ganze Reihe von | |
Urteilen gegen Griechenland gefällt, in denen Athen zur Zahlung von | |
zehntausenden Euro an Dutzende Kläger verurteilt wurde. | |
Erst am 12. Dezember sprach das Gericht einem 51-Jährigen wegen der | |
Zustände im Gefängnis von Larissa von Juli 2009 bis März 2011 insgesamt | |
8.500 Euro zu. Die Polizeizellen stellen auch ein Sicherheitsrisiko dar. | |
Ein vertraulicher Polizeibericht vom Oktober, der der AP vorliegt, warnt | |
vor der „unmittelbaren Gefahr der Flucht“ von Häftlingen in Thessaloniki. | |
## 20 Männer mit neun Pritschen | |
Als Gründe werden Überfüllung, ausgedünntes Wachpersonal und geringere | |
Sicherheitsstandards genannt. Demnach werden dort 15 bis 20 Männer in | |
Zellen mit neun Pritschen und kleinen Fenstern über Monate rund um die Uhr | |
festgehalten. | |
Der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Thessaloniki richtete Anfang | |
November deutliche Worte an den Justizminister. Die Bedingungen in der | |
Einrichtung „stellen nicht die Mindestgrenze würdigen Lebens dar“, schrieb | |
Panagis Yiannakis. „Ich habe mich geschämt, Herr Minister, für den | |
griechischen Staat und für jeden von uns einzeln“, heißt es in dem Brief. | |
In der Stadt Igoumenitsa stellte ein Gericht im vergangenen Jahr sogar | |
fest, dass 15 Migranten zu Recht aus dem Polizeigewahrsam geflohen seien, | |
weil die Zustände dort „erbärmlich und für Menschen extrem gefährlich“ | |
gewesen seien. Im [3][Zuge der Finanzkrise] wurden die Mittel für die | |
Gefängnisse nach Angaben des Justizministeriums von 136 Millionen Euro 2009 | |
auf 111 Millionen in diesem Jahr gekürzt. | |
Zum Vergleich: Die Niederlande, wo ähnlich viele Häftlinge einsitzen wie in | |
Griechenland, hatten 2012 ein Gefängnisbudget von rund zwei Milliarden | |
Euro. Im größten Gefängnis Korydallos kommen in manchen Schichten 250 | |
Häftlinge auf einen Aufseher. Nach Gewerkschaftsangaben kam es bereits zu | |
Angriffen auf Aufseher. | |
## Nichts funktioniert | |
Korydallos hat offiziell Platz für 800 Häftlinge, doch am 1. November saßen | |
dort laut Statistik der Gefängnisverwaltung 2.127 Häftlinge ein. „Im | |
Winter, wenn die Fenster geschlossen sind, kann man nicht atmen“, sagt ein | |
früherer Insasse. | |
Vier weitere ehemalige Häftlinge beschreiben schäbige Zellen, in denen kaum | |
Platz zum Stehen war. „Das Sanitärsystem funktioniert nicht, die | |
Abwassertechnik funktioniert nicht, die Heizung funktioniert nicht, nichts | |
funktioniert“, sagt ein 47-Jähriger. | |
1 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://hub.coe.int/web/coe-portal/what-we-do/human-rights/european-prison-r… | |
[2] http://www.prisonstudies.org/ | |
[3] /!t238/ | |
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