# taz.de -- Militanzdebatte unter Linken: Mit Molli oder ohne | |
> Die Krawalle in Hamburg haben eine neue Gewaltdebatte entfacht. Die | |
> Angriffe auf Polizisten stoßen auf Widerspruch. | |
Bild: Wie weit gehen? Die autonome Szene ist sich da uneinig. | |
BERLIN/HAMBURG taz | Die Polizei in Frankfurt am Main weiß noch nicht | |
genau, was da am Montag los war. 150 Demonstranten, Böller, zerstörte | |
Schaufenster. Die Beamten glauben: Das muss einen Bezug zu Hamburg haben. | |
Die Göttinger Polizei weiß sehr wohl, was das am Wochenende war: „Flora | |
bleibt“ hatten Unbekannte an die Parteizentrale der dortigen SPD gesprüht. | |
Selbstgebastelte Sprengsätze, „Model Gasaki“, fanden Beamte dort schon Ende | |
Dezember. Die Absender nannten sich „Flora und Fauna“. Hamburg ist längst | |
ein bisschen überall. | |
Seit dort im Dezember der Konflikt um den linken Szenetreff Rote Flora in | |
Krawallen eskalierte, findet der stadtpolitische Konflikt bundesweit | |
Widerhall; Farbbeutel und Steinwürfe in Berlin und Dresden. Das | |
Bundeskriminalamt warnt vor bundesweiten „Nachahmertaten“ und | |
CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach fühlt sich an die RAF erinnert und | |
fordert härtere Strafen für Randalierer. Kommt da etwa eine neue Militanz? | |
Dass es zuerst in Hamburg knallte, liegt am Zusammentreffen mehrerer | |
Faktoren: das drohende Ende der Roten Flora, der Abriss der Esso-Häuser, | |
der Konflikt um die Flüchtlinge der sogenannten Lampedusa-Gruppe. Dazu kam | |
eine SPD, die auf Law and Order setzt. Mieten, Flüchtlinge und Repression – | |
alles drei zählt derzeit zu den linksradikalen Top-Mobilsierungsthemen. | |
## Heißes Pamphlet | |
Es war [1][ein heißes Pamphlet], das kurz nach den Ausschreitungen am 21. | |
Dezember im Szeneportal Linksunten Indymedia veröffentlicht wurde. | |
„Irgendwann werden wir schießen müssen“, schrieb da eine mutmaßliche | |
Autorengruppe, die sich „Das unverbesserliche Kollektiv“ nannte. Da hieß | |
es: „Unsere Hypothese für die Flora-Räumung: 200 Leute, 400 Mollis und dazu | |
50 GenossInnen mit Zwillen, jeweils 15 Schuss Stahlkugeln – und die Bullen | |
werden den Abstand einhalten, der geboten ist.“ | |
Irgendein Text, geschrieben von einem anonymen Verfasser – lohnt das eine | |
Aufregung? Im Netz jedenfalls gab es viel Resonanz: weitgehend ablehnend, | |
aber auch einige zustimmende Notizen. | |
Der Auseinandersetzung war am 21. Dezember eine Demonstration zum Erhalt | |
des linken Kulturzentrums Rote Flora vorausgegangen. Es war das stärkste | |
Aufmuskeln der autonomen Szene seit Langem – Hunderte Autonome reisten aus | |
dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland an. Ein bisschen wie das | |
Weihnachtsfest der Militanten, Leuchtraketen auf die „Bullen“ statt | |
Kerzenschein am Tannenbaum. Am Ende gab es Hunderte Verletzte auf beiden | |
Seiten. | |
Was war das? Eine gezielte Provokation der Autonomen? Oder Verteidigung | |
gegen eine Polizei, die den Aufzug schon auflöste, bevor dieser überhaupt | |
begonnen hatte? Bis heute streiten sich die Protagonisten, wer Schuld an | |
der Eskalation trägt. | |
## Vorlage für die Polizei | |
Die Polizei hat ihre Antwort schon gefunden. Sie erklärte am Samstag Teile | |
der Hansestadt zum Gefahrengebiet und gönnt sich seitdem üppige | |
Kontrollrechte für Passanten. Täglich gibt es nun in Hamburg kleine Demos, | |
Kessel. In der Nacht zu Mittwoch flogen wieder Raketen, hinterher gab es | |
Scharmützel, 17 Festnahmen. | |
Auf der gleichen Demo liefen allerdings vor allem jene mit, für die sich | |
der Boulevard weniger interessiert: Bürger, die gegen hohe Mieten und | |
Rassismus demonstrieren, mit Seifenblasen und einem Schild „Make Love, not | |
Gefahrengebiet“. | |
Was die linke Szene eint, ist die Einsicht, dass die harte Linie des | |
Senats, ob gegen die Flüchtlinge oder die Bewohner der Esso-Häuser, nicht | |
geeignet ist, die stadtpolitischen Konflikte zu lösen. Aber es gibt noch | |
etwas, das der größte Teil dieser Szene als ganz und gar nicht links | |
erachtet: Gewalt gegen Menschen. | |
Der Journalist und Stadtaktivist im Hamburger Bündnis „Recht auf Stadt“, | |
Christoph Twickel, meldete sich als einer der ersten dazu zu Wort. Er | |
klagte [2][auf Spiegel Online über „autonome Hooligans“] und schrieb: | |
„Heutige Militante interessieren sich nicht übermäßig dafür, ob ihre | |
Militanz gewollt ist von den politischen Initiativen, auf die sie sich | |
berufen.“ | |
## Solidarität und Skepsis | |
Auch in Berlin, wo Autonome zuletzt für eine mögliche Räumung eines | |
Kreuzberger Flüchtlingscamps „Hamburger Verhältnisse“ ankündigten, gibt … | |
Kritik aus der Unterstützerszene. Am Ende unbedachter Militanz stehe eine | |
verhärtete Innenpolitik, sagte ein Helferin, die nicht genannt werden will. | |
Und für die Flüchtlinge ein „Scherbenhaufen“. | |
Ein Aktivist, aus dem Umfeld der Roten Flora, sagte der taz: „Die | |
Auseinandersetzungen um den angeblichen Angriff auf die Davidwache nach der | |
Flora-Demonstration wurden in der Szene von Anfang an kritisch diskutiert.“ | |
Dabei sei es auch um die Frage gegangen, ob man sich mal wieder über den | |
eigenen Konsens und den Umgang mit Gewalt austauschen müsse, dass | |
Polizisten nicht angegriffen werden. Es ist keine Frage mehr: Längst | |
verhandelt die linke Szene wieder über ihre roten Linien, die in den | |
vergangenen Wochen ab und an überschritten wurden. | |
Einige der Militanten hatten sich da mehr erhofft: Hamburg als Wiederkehr | |
eines Straßenkampfs. In einem Aufsatz, den Autonome Montagnacht ins Netz | |
stellten, klingt der Frust deutlich mit: Sie kritisierten, dass es im | |
Hamburger Gefahrengebiet derzeit „keine Angriffe aus dem Hinterhalt, keine | |
militanten Aktionen in anderen Stadtteilen“ gebe. Ihr Wunsch: Es möge doch | |
bitte noch mehr scheppern. | |
Doch der Wunsch allein zeigt schon: Was da im vermeintlichen Gewand einer | |
neuen Militanz präsentiert wird, ist kein neuer Krieg, kein neuer Kampf. Es | |
ist ein Manöver. Eines, über das bei den Beteiligten dringender | |
Diskussionsbedarf besteht. | |
9 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://linksunten.indymedia.org/de/node/102039 | |
[2] http://www.spiegel.de/panorama/debattenbeitrag-zu-ausschreitungen-in-hambur… | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
Konrad Litschko | |
Martin Kaul | |
## TAGS | |
Hamburg | |
Indymedia | |
Gefahrengebiet | |
Autonome | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Militanz | |
Rote Flora | |
Hamburg | |
Hamburg | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Gefahrengebiet | |
Hamburg | |
Hamburg | |
US-Botschaft | |
Hamburg | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jahrestag des „Hamburger Kessels“: Die Mutter aller Kessel | |
Heute vor 30 Jahren hielt die Polizei 861 Demonstranten stundenlang auf dem | |
Heiligengeistfeld fest. Der „Hamburger Kessel“ machte Schule. | |
Anschlag auf Berliner S-Bahn-Netz: Losgelöste Militanz | |
Das Bekennerschreiben der Saboteure ist ein Armutszeugnis. Es zeigt, der | |
Szene fehlt es an Empathie, Theorie und Rückkopplung. | |
Verfassungsschutzbericht: Linke und Neumann gegen USA | |
Die Polizei hat 2013 mehr linksextremistisch motivierte Straftaten gezählt | |
als im Vorjahr. CDU und FDP sehen darin ein Versagen des Senats. | |
Hamburgs Linke diskutiert über Gewalt: Militanz bleibt Handlungsoption | |
Auf einer Podiumsdiskussion geht es um Demogewalt und Polizeitaktik im | |
Streit um die Rote Flora. Ist Kritik an der Militanz unsolidarisch? | |
Debatte Kampfschrift nach Flora-Demo: Ein Stück Bullshit | |
Um den Ausnahmezustand zu rechtfertigen, wird ein pseudolinkes Pamphlet | |
hochgejazzt. Das ist zu viel der Ehre für so einen Text. | |
Kommentar Ende des Gefahrengebiets: Sieg oder Niederlage? | |
Es ist keine gute Idee, die Polizei selbst über ihre Befugnisse entscheiden | |
zu lassen. Denn sie neigt dazu, ihre eigenen Interessen über die der | |
Allgemeinheit zu stellen. | |
Gefahrengebiet in Hamburg: Behördengerechte Satire | |
Ein besorgter Bürger möchte seine Tante besuchen und bittet um | |
Informationen über Hamburgs Gefahrenzone. Darf er einreisen? | |
Kommentar Militanz in Hamburg: Du eitle Hanse | |
Rote Flora und Elbphilharmonie sind zwei gegensätzliche Symbole ein und | |
derselben Stadt. Das spiegelt sich auch in der Militanzdebatte wider. | |
Gefahrengebiet in Hamburg: Polizei im Dauerstress | |
Eine Region mit 80.000 Menschen befindet sich im Ausnahmezustand. Die | |
Polizei kontrolliert, Anwohner machen Stadtteilrundgänge. | |
Neue Proteste: USA warnen vor Hamburg | |
In der Hansestadt gehen die Demonstrationen gegen die eingerichtete | |
Gefahrenzone weiter. Die US-Botschaft mahnt alle Reisenden zur Vorsicht. | |
Kommentar Hamburger Übergriffe: In der Rolle nützlicher Idioten | |
Von Deeskalation ist in Hamburg derzeit nichts zu sehen. Der Innenminister | |
und sein Polizeichef verfolgen vielmehr die Strategie „Viel Feind, viel | |
Ehr“. | |
Kritischer Polizist über Hamburg: „Das ist irre“ | |
Thomas Wüppesahl kritisiert die Hamburger Polizei für ihre Strategie der | |
Härte. Mit politischer Rückendeckung agiere sie gegen das Gesetz und lüge | |
systematisch. |