# taz.de -- Aufbau in Afghanistan: Frieden schaffen ohne Waffen | |
> Schulen bauen und Bauern die Rosenzucht nahebringen. Entwicklungshelfer | |
> in Afghanistan müssen bald ohne Militärschutz arbeiten. | |
Bild: Jonglieren, baden und ohne Angst ins Kino gehen: „Afghanistan hat wenig… | |
BERLIN taz | Derzeit ist es ruhig. Drei Tage sind seit der letzten Warnung | |
per SMS vergangen. „Kabul explosion reported / avoid the area“ – Explosion | |
in Kabul gemeldet / meiden Sie die Region. Das war an einem Samstag im | |
Januar um 16.47 Uhr. Um 18.16 Uhr kam die nächste SMS: „back to green | |
area“. Entwarnung. | |
Manchmal bekommt Suzana Lipovac sieben Alarmmeldungen am Tag aus dem Risk | |
Management Office der deutschen Gesellschaft für Internationale | |
Zusammenarbeit. Sie arbeitet seit 2002 immer wieder in Afghanistan. | |
Lipovacs Verein Kinderberg International betreibt dort Kranken- und | |
Hilfsstationen. | |
Für Lipovac gibt es ein paar Faustregeln: Im Winter ist es ruhiger als im | |
Sommer, ohne Wahlen ist es ruhiger als mit. Im April sind Wahlen, dann | |
kommt der Sommer. „Die Sicherheitslage wird in den nächsten Monaten | |
schlechter“, sagt sie. | |
Bis Ende 2014 wollen die internationalen ISAF-Truppen und mit ihnen die | |
Bundeswehr aus Afghanistan abrücken. Offen ist noch, ob eine kleine | |
Ausbildungsmission zurückbleibt oder nicht. Präsident Hamid Karsai und die | |
USA haben sich noch nicht auf ein Truppenstatut geeinigt. | |
Die afghanische Armee und Polizei sind in wenigen Monaten für die | |
Sicherheit zuständig. Niemand mag sagen, was dies für das Land bedeutet – | |
und ob die Aufbauhilfe weiter funktionieren wird. | |
## Mehr zivile Gelder | |
„Wir bleiben, solange wir die Sicherheit unserer Leute, Patienten und | |
Kliniken gewährleisten können“, sagt Benoit De Gryse, Landeskoordinator von | |
Ärzte ohne Grenzen in Kabul. | |
Die USA haben ihre zivile Hilfe bereits halbiert: Bei ihnen folgt die Hilfe | |
den Truppen, hinein wie hinaus. Der neue deutsche Entwicklungsminister Gerd | |
Müller (CSU) lässt sich von den beklemmenden Aussichten noch nicht | |
beeindrucken. Er kündigte zu Jahres- und Amtsbeginn an, er denke an eine | |
Aufstockung der insgesamt 430 Millionen Euro, die Deutschland an ziviler | |
Aufbau- und Entwicklungshilfe pro Jahr zugesagt hat. Das zivile Engagement | |
müsse noch aufgewertet werden. | |
Das klingt erst einmal gut: Endlich mehr zivile Gelder statt Militär. | |
Viele deutsche staatliche Helfer sehen von ihren Entwicklungsprojekten | |
schon seit Jahren nur Fotos: Sie wagen es längst nicht mehr, außerhalb der | |
Städte Kabul oder Mazar-i-Scharif nach dem Rechten zu schauen. Oft führt | |
nur eine einzige Straße durch ein enges Tal dorthin. Wer da entlang fährt, | |
wird gesehen. Er muss den Rückweg fürchten: Aufständische oder Kriminelle | |
könnten die Route zur Falle gemacht haben. „Bewegung ist gefährlich“, sagt | |
auch Benoit De Gryse von Ärzte ohne Grenzen. | |
Mehr Geld macht aus Afghanistan außerdem nicht unbedingt einen besseren | |
Ort. Nur der geringere Teil der Entwicklungsgelder landet wirklich im Land. | |
Die Weltbank zitierte jüngst eine Studie, dass etwa 38 Cent von jedem | |
Hilfsdollar überhaupt in Afghanistan bleiben, der Rest fließe in Form von | |
Gehältern wieder in die Geberländer zurück. | |
Andere Angaben liegen weit darunter. Von dem, was im Land bleibt, ist nicht | |
alles nutzbringend. Es gibt Hinweise, dass große Teile der Gelder etwa für | |
den Straßenbau in den Privat- und Kriegskassen von Regionalfürsten landen. | |
## Abreisen ist keine Option | |
So wie die Sicherheit soll aber auch der zivile Aufbau in die Hände von | |
afghanischen BürgerInnen gelegt werden. Hierbei wurde Zeit verspielt. „Die | |
ersten zehn Jahre des ISAF-Einsatzes wurden nicht dafür genutzt, Afghanen | |
zur Führung der Entwicklungsprojekte auszubilden“, sagt Conrad Schetter, | |
Direktor des Friedensforschungsinstituts BICC und Afghanistan-Kenner. | |
„Inzwischen hat man das Problem immerhin erkannt.“ | |
Derzeit werden 350 entsandte (nicht nur deutsche) staatliche Entwickler | |
laut Entwicklungsministerium in Afghanistan durch 2.000 Ortskräfte ergänzt. | |
Hinzu kommen die vielen nichtstaatlichen Organisationen, oft schon weit | |
länger vor Ort. Für die meisten kommt Fortgehen nicht in Frage. | |
Die Welthungerhilfe zum Beispiel bleibt. Sie sorgt sich schon seit Anfang | |
der 1990er Jahre um Nothilfe für Flüchtlinge, kümmert sich um die | |
Wasserversorgung, unterstützt Agrarprojekte wie den Anbau von Rosen statt | |
von Opium. | |
„Wir machen weiter“, sagt Klaus Lohmann, der für die Welthungerhilfe in | |
Afghanistan ist. Am Donnerstag war er zu Besuch in Berlin. „Wir sind nicht | |
auf die Bundeswehr angewiesen“, sagt Lohmann. Sie würden allenfalls daran | |
denken, das Büro während der Wahlen mal für eine Woche zu schließen. | |
Lohmann lebt seit 2007 in Kabul. | |
## Wellenbad in Kabul | |
„Das heutige Afghanistan hat nur wenig mit dem alten Klischee von Bomben | |
und Burkas zu tun“, sagt er. In Kabul habe gerade das zehnte Schwimmbad | |
aufgemacht – „ein Wellenbad!“. Man hört das Ausrufezeichen, das Lohmann | |
setzen möchte. „Noch vor wenigen Jahren war nicht daran zu denken, dass | |
Leute nur mit Badehose ins Wasser springen.“ | |
Die Welthungerhilfe unterstützt eine Zirkusschule für Kinder, den Mobile | |
Mini Children’s Circus und die Skateschule der Organisation Skateistan. Es | |
gebe Basketballplätze, eine Bowlingbahn. In den Städten gebe es „etwas | |
Normalität“, die weitere Unterstützung verdient habe. „Mindestens noch ze… | |
Jahre“, meint Lohmann. Allerdings, das sagt er dann auch, gebe es | |
Unterschiede zwischen Stadt und Land, von Region zu Region. | |
„Wer schon lange da ist, wer sagen kann, welcher Ort wann der falsche ist, | |
kann dort weiter arbeiten“, sagt auch Kinderberg-Gründerin Lipovac. Die von | |
ihr betreuten und vom Auswärtigen Amt finanzierten Medizinprojekte sind auf | |
fünf Provinzen verteilt: Kabul, Logar, Kundus, Takhar und Badakhshan. | |
## Indien, nicht Pakistan | |
Zwei ihrer Projekte wurden schon an den afghanischen Staat weitergereicht. | |
Das klappte einmal gut, einmal weniger gut. Als die Gesundheitsstation in | |
Kundus übergeben werden sollte, erhielt Lipovac’ Kollege einen Anruf: Die | |
Übergabedokumente gebe es nur gegen 60.000 Euro. Dann ging es runter auf | |
40.000, danach auf zwei Autos. Die Übergabe war Ende Oktober. Mitte | |
Dezember wendeten sich die Leute aus der Station nochmal an Lipovac: Die | |
Medikamente seien aus, das Gehalt für Hebammen und Ärzte nicht gezahlt. | |
Lipovac setzt auf die vielen jungen Afghanen, 20 bis 30 Jahre alt, die | |
studieren, im Internet surfen, sich nicht nach Pakistan, sondern nach | |
Indien orientieren, die ohne Angst abends ins Kino gehen wollen. Da reife | |
eine Schicht moderner Leute heran, „eine Generation, für die es keine | |
Alternative zur Freiheit gibt, weil sie diese schon gespürt und genossen | |
haben.“ | |
Im schlechtesten Fall aber würden viele Städte unregierbar, fielen ganze | |
Regionen an die Aufständischen, fürchtet Lipovac. Als eine der wenigen | |
NGO-Vertreterinnen sagt sie deshalb: „Die Truppen sollten da bleiben.“ | |
17 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
Hanna Gersmann | |
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