# taz.de -- Alice Schwarzer und die Steuer: Das privilegierte Opfer | |
> Sie ist die erste Frau in der Reihe prominenter Reicher, die Steuern | |
> hinterziehen. Sie reagiert so, wie sie immer argumentiert hat: mit | |
> schwarzerschem Crescendo. | |
Bild: Hat es getan, wie es Reiche tun: Alice Schwarzer. | |
„Der Motor meines ganzen Handelns ist Gerechtigkeit. Ein Leben, in dem ich | |
nicht alles in meiner Macht Stehende getan hätte, um dieses Ideal zu | |
verwirklichen, wäre für mich ein verpasstes Leben.“ Große Worte der jungen | |
Alice Schwarzer, an die sich die älter Gewordene gern heute noch öffentlich | |
erinnert, so wahr erscheinen sie ihr. Natürlich wurden sie ihr nun um die | |
Ohren gehauen. Steuergerechtigkeit kann sie schon mal nicht gemeint haben. | |
Beziehungsweise: Wir sind ZeugInnen eines verpassten Lebens als | |
Steuerbürgerin. Was macht das mit unserem Bild von Alice Schwarzer? | |
„Statt ’mein Bauch gehört mir‘ “, wird nun gekalauert, „ ’mein Kon… | |
mir‘.“ Nur wenige können sich erwehren, Schwarzer ihren eigenen Leitsatz | |
entgegenzuhalten: „Das Private ist politisch“ – nun, da sie das | |
Steuergeheimnis für sich reklamiert und von Rufmord redet. Und die | |
KommentatorInnen haben recht: Das Steuergeheimnis wurde offenbar gebrochen, | |
aber 30 Jahre Steuern in sechsstelligen Beträgen zu hinterziehen, das wiegt | |
im Vergleich allemal schwerer. | |
Die Fakten: Seit den 80er Jahren hat Alice Schwarzer ein Konto in der | |
Schweiz. 30 Jahre später macht sie eine Selbstanzeige und zahlt 200.000 | |
Euro Steuern plus Säumnisgebühren für zehn Jahre nach. Die restlichen 20 | |
Jahre, womöglich mit weiteren 400.000 Euro hinterzogenen Steuern, sind | |
verjährt. Alice Schwarzer ist eine Steuerbetrügerin größeren Ausmaßes, die | |
dem Staat womöglich eine knappe halbe Million schuldig geblieben ist. | |
Sie hat damit jahrelang dem Hobby der Reichen gefrönt. Den vermögenden | |
Schichten in Deutschland kommt in schöner Regelmäßigkeit das Gefühl für den | |
Rest der Gesellschaft abhanden. Die staatliche Infrastruktur? Brauchen sie | |
nicht, sie können ja alles privat bezahlen. Warum sollte man also dem Staat | |
so dermaßen viel Geld zur Verfügung stellen. Allenfalls könnte man später | |
mal eine Stiftung gründen und sich besonders wohltätig fühlen. Auch diesem | |
Muster ist Schwarzer gefolgt. Jetzt also will sie eine Million stiften für | |
Zwecke, die sie selbst bestimmt und nicht der Staat. | |
## Frauen sollen alles tun, was Männer auch tun | |
Alice Schwarzer, die mit ihren vielen Büchern und Auftritten offenbar sehr | |
gut verdient hat, ist also zunächst mal genauso wie etwa Theo Sommer, der | |
große ideelle Gesamtherausgeber der Zeit: moralische Instanz, mit Ausnahme | |
privater Finanzen – gelinde gesagt. Das entbehrt nicht einer gewissen | |
Logik. Schwarzer, die erste Frau, deren massive Steuerhinterziehung sie | |
allein in eine lange Reihe reicher Männer stellt, wollte immer alle | |
Privilegien auch für Frauen. Es gab keine böse Männergesellschaft, der sie | |
die hehre Frauenwelt entgegengesetzt hätte. Frauen sollten sich bewaffnen | |
dürfen, in den Krieg ziehen, als Bundeskanzlerin zweifelhafte | |
Rüstungsvorhaben beschließen und europäische Krisenländer aushungern | |
dürfen. Warum sollten sie keine Steuern hinterziehen – es den Reichen | |
gleichtun? | |
Alice Schwarzer selbst stellte sich öfter mal in einen zweifelhaften | |
Kontext. Sie schrieb Kolumnen in der ansonsten sexistischen Bild. Sie warb | |
für das Blatt auf Großplakaten. „Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie | |
ausspricht“, stand dort – an sich schon eine grausige Anmaßung der Zeitung, | |
die damals auch Figuren wir Gandhi oder Willy Brandt für sich vereinnahmte. | |
Das machte eben auch Alice Schwarzer mit. Ihre Begründung: Es sei nicht | |
schlecht, wenn in dieser Reihe auch eine Frau auftauche, und dazu noch eine | |
lebendige. Und warum sollte es dann nicht einfach sie selbst sein? | |
Und so wird aus einer zweifelhaften Imagekampagne plötzlich eine | |
frauenpolitische Großtat. Schwarzersches Crescendo könnte man das nennen: | |
Am Schluss wird es immer groß und laut. | |
Zwei Erkenntnisse lassen sich ableiten: Der Zweck heiligt für Alice | |
Schwarzer die Mittel. Und wenn der Zweck und ihr persönlicher Vorteil | |
zusammenfallen, dann schreckt sie vor solchen Konstellationen keinesfalls | |
zurück. Im Gegenteil, der schwarzersche Imperativ lautet: Was Alice | |
Schwarzer nützt, nützt allen Frauen. | |
## Der große Opfertopf | |
Nun steht also auch eine Frau in der Reihe prominenter Steuerhinterzieher. | |
Sie hat sich die Privilegien nicht entgehen lassen in einer Zeit, in der | |
Promis sich gegenseitig die „besten“ Bankberater empfahlen, weil sie es | |
normal fanden, eine hübsche Summe „in Sicherheit zu bringen“. Così fan | |
tutte – so machen’s alle. Entsprechend dünn klingen heute die Erklärungen. | |
Nun aber setzt das schwarzersche Crescendo ein. Denn eine Frau, gerade eine | |
Feministin, die ist natürlich immer auch ein Opfer. Es hat ja einen Grund, | |
dass sie da so allein als Frau in dieser unrühmlichen Reihe steht. Nicht | |
etwa den, dass sie die einzige Frau Deutschlands sein dürfte, die mit | |
Feminismus reich geworden ist. Sondern: Sie habe sich verfolgt gefühlt! Von | |
einer „Hatz“ in den 80er Jahren spricht sie. Einer derartigen, dass sie | |
eventuell sogar ins Ausland hätte gehen müssen. Und um den Opferstatus zu | |
dramatisieren, fantasiert Schwarzer, dass der deutsche Männerstaat ihr die | |
Konten gesperrt hätte, wäre sie denn ins Ausland geflohen. Aber warum | |
sollte ein nichtfaschistischer Rechtsstaat das tun? | |
Spätestens jetzt sind wir in den großen Opfertopf von Alice Schwarzer | |
gefallen. Darin befinden sich missbrauchte Kinder, Tiere, Prostituierte, | |
Musliminnen und Pornostars, Magersüchtige, Juden, Topmodels, Kachelmanns | |
Geliebte und wahlweise andere Frauen, die sie kurzerhand zu Opfern erklärt, | |
diesmal eben sich selbst. In einer ihr eigenen typischen Crescendofigur: In | |
der Tat gab es eine Hatz auf Schwarzer in den 70ern und 80ern. Unter der | |
Hand setzt sie diese nun aber mit der Judenverfolgung gleich – und will | |
dadurch wohl erklären, warum es in einer derartigen Situation nicht | |
verwunderlich sei, ein Konto in der Schweiz zu unterhalten. | |
Ähnlich geht Schwarzer mit Musliminnen vor, denen im Laufe von Alice’ | |
Erzählung irgendwann immer das Kopftuch an den Kopf genagelt wird. Oder mit | |
Prostituierten, die scheibchenweise zu Zwangsprostituierten erklärt werden, | |
weil ökonomischer Zwang schließlich auch Zwang ist. Pornografie wird zu | |
Gewaltpornografie umdefiniert. Und eine Steuerhinterzieherin wird zu einer | |
Verfolgten. | |
Das komische Gefühl, das nun zurückbleibt, hätte also schon öfter auftreten | |
können. Denn das schwarzersche Crescendo ist nicht neu. Der schwarzersche | |
Imperativ auch nicht. Das Lied, das dazu passt: „Ich mach mir die Welt, wie | |
sie mir gefällt.“ | |
Diesmal wird das nicht klappen. Alice Schwarzer ist kein Opfer. Sie ist die | |
reichste Feministin Deutschlands. Sie hat die Hybris der Reichen an den Tag | |
gelegt. Und sie hat betrogen. Uns alle. Allerdings: Sie hat es gemacht wie | |
alle. Es gibt also keinen Grund, sie nun allein an den Pranger zu stellen. | |
9 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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